Journalist von Behörden schikaniert

Porträt von einem Mann, der eine Lederjacke trägt und vor einem Gebäude steht.

Der marokkanische Journalist Omar Radi in Casablanca (Archivaufnahme)

Der marokkanische Journalist Omar Radi wurde wegen "Gefährdung der Staatssicherheit" und "Vergewaltigung" angeklagt. Seit im Juni 2020 ein Bericht von Amnesty International offenlegte, dass die Behörden rechtswidrig das Telefon von Omar Radi abhörten, belästigen ihn diese zunehmend. Omar Radi ist ein erklärter Kritiker der Menschenrechtsbilanz der Regierung und untersucht auch Korruptionsfälle.

Appell an

Saad Dine El-Othmani

Palais Royal Touarga

10070 Rabat

MAROKKO

Sende eine Kopie an

Botschaft des Königreichs Marokko

I.E. Frau Zohour Alaoui


Niederwallstraße 39

10117 Berlin


Fax: 030–2061 2420

E-Mail: kontakt@botschaft-marokko.de

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie die Anklage wegen "Gefährdung der Staatssicherheit" gegen Omar Radi fallen.
  • Bitte untersuchen Sie die Anschuldigung, die der Anklage wegen "Vergewaltigung" zugrunde liegt, unparteiisch und gründlich. Sorgen Sie bitte dafür, dass das Recht von Omar Radi auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren gewährleistet wird.
  • Im Rahmen des Rechtes auf Unschuldsvermutung bitte ich Sie, Omar Radi aus der Untersuchungshaft freizulassen, es sei denn, Sie können vor Gericht beweisen, dass ein Freiheitsentzug nötig und angemessen ist.

Sachlage

Der Journalist Omar Radi wird von den marokkanischen Behörden schikaniert. Das Zentralbüro für juristische Ermittlungen (Bureau central d'investigation judiciaire - BCIJ) lud ihn am 25. Juni 2020 und an sechs nachfolgenden Terminen im Juli 2020 vor. Sie befragten ihn zu Telefonanrufen und Textnachrichten, die zurück bis 2011 reichten, sowie zu Geldüberweisungen auf sein Bankkonto. Am 29. Juli wurde Omar Radi angeklagt und abgeführt. Nun muss er sich am 22. September 2020 vor einem erstinstanzlichen Gericht in Casablanca verantworten.

Omar Radi steht wegen "Gefährdung der Staatssicherheit" unter Anklage. Die marokkanischen Behörden stützen sich dabei auf die Anschuldigung, dass Omar Radi Geld von Quellen erhalten habe, die Verbindungen zu ausländischen Nachrichtendiensten hätten. Amnesty International geht dagegen davon aus, dass es sich bei den aus dem Ausland überwiesenen Geldern um Forschungsgelder im Rahmen eines Journalismus-Stipendiums sowie um die Bezahlung von Beratungsleistungen handelt, die Omar Radi im Rahmen seiner freiberuflichen Tätigkeit anbietet. Aus diesem Grund geht Amnesty International davon aus, dass die Anklage falsch ist und somit auf eine zunehmende Schikane durch die Regierung hinweist.

Omar Radi ist zudem wegen "Vergewaltigung" angeklagt. Die Behörden stützen diese Anklage auf die Anschuldigung einer Frau, die angab, am 12.Juli von ihm vergewaltigt worden zu sein. Omar Radi streitet dies ab und betont, dass er einvernehmlichen sexuellen Kontakt mit ihr hatte. Ein sexualisierter Übergriff ist eine schwerwiegende Straftat. Deshalb rechtfertigen die bestehenden Anschuldigungen die Untersuchung und Strafverfolgung im Rahmen eines gerechten Strafprozesses. Obschon solche Anschuldigungen im Einzelfall überprüft werden müssen und Amnesty International sich nicht zuspricht, über ihre Glaubwürdigkeit zu urteilen, gibt es Bedenken, weil in einem anderen Fall der Herausgeber einer oppositionellen Zeitung der "Vergewaltigung" angeklagt und willkürlich inhaftiert wurde. In jenem Fall stellte sich heraus, dass dies alles juristische Schikane war, die allein im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Enthüllungsjournalist stand.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Omar Radi ist Investigativjournalist und Aktivist. Er ist einer der Gründer der unabhängigen marokkanischen News-Website Le Desk, für die er als Journalist tätig ist. Er hat bereits mit mehreren nationalen und internationalen Medien gearbeitet, darunter der Radiosender Atlantic Radio, die Zeitschriften Le Journal Hebdomadaire und TelQuel sowie die News-Website Lakome. Bei seinen Untersuchungen lag der Fokus auf politischen Themen, darunter die Beziehungen zwischen politischen Kräften und der Wirtschaftselite in Marokko sowie Korruptionsvorwürfe gegen die Behörden. 2013 gewann er für eine Reportage über die Ausbeutung von Sandsteinbrüchen den ersten Preis für investigativen Journalismus der NGO International Media Support (IMS) und der Association of Moroccan Investigative Journalists (AMJI). Die Reportage wurde auf Lakome publiziert. Außerdem war Omar Radi 2016 Autor eines Berichts, der unter dem Namen "Servants of the State" bekannt wurde, in welchem er die Namen von ca. 100 hohen Beamt_innen veröffentlichte, denen der rechtswidrige Erwerb von Staatsländereien vorgeworfen wurde.

Omar Radi wurde von Beamt_innen des Zentralbüros für juristische Ermittlungen (Bureau central d'investigation judiciaire - BCIJ) in Casablanca siebenmal verhört. Die erste Befragung am 25. Juni 2020 dauerte über fünf Stunden. Die Ermittlungsbeamt_innen beschuldigten ihn, von Quellen Gelder erhalten zu haben, die mit ausländischen Nachrichtendiensten in Verbindung stünden. Er wurde am 2., 9., 13., 17., 20. und 25. Juli erneut zu Befragungen vorgeladen. Die Staatsanwaltschaft des erstinstanzlichen Gerichtes in Casablanca klagte Omar Radi wegen "sexueller Belästigung", "Vergewaltigung" sowie "Untergrabung der äußeren Sicherheit des Landes" an. Er hätte "durch die Aufrechterhaltung von Beziehungen zu Agenten ausländischer Behörden der militärischen und diplomatischen Lage Marokkos schaden (wollen)". Außerdem wird ihm die "Gefährdung der Staatssicherheit" vorgeworfen: Er habe Gelder aus dem Ausland erhalten, was die "Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit des Königreichs beeinträchtigen oder die Loyalität der Bürger gegenüber dem Staat und den Institutionen des marokkanischen Volkes erschüttern könnte". Die Vorwürfe gegen ihn fußen auf den Paragrafen 485, 486, 191 und 206 des Strafgesetzbuches. Der Prozess gegen ihn zu diesen Anklagepunkten soll am 22. September 2020 beginnen.

In einem weiteren Fall wurden Omar Radi und sein Kollege Imed Stitou in der Nacht vom 4. Juli 2020 festgenommen und für 48 Stunden in Polizeigewahrsam gehalten. Am 6. Juli wurden sie der Staatsanwaltschaft des Distrikts Aïn Sebaâ von Casablanca vorgeführt. Die Anklagepunkte lauteten "Öffentliche Trunkenheit" und "Gewalt". Am selben Tag eröffnete das Gericht einen Prozess gegen sie, legte die erste Anhörung auf den 24. September und ordnete bis dahin ihre Freilassung an. Omar Radi gab an, dass er und Imed Stitou auf der Straße von einem Journalisten des Fernsehsenders ChoufTV verfolgt und in eine Auseinandersetzung verwickelt worden seien. ChoufTV wird als regierungstreuer Fernsehsender angesehen.

Am 17. März 2020 verhängte ein marokkanisches Gericht eine viermonatige Gefängnisstrafe auf Bewährung sowie eine Geldstrafe von 500 marokkanischen Dirham (knapp 50 Euro) gegen Omar Radi, weil er in einem Tweet einen Berufungsrichter kritisierte, der langjährige Gefängnisstrafen gegen Hirak El-Rif-Aktivist_innen aufrechterhalten hatte. Omar Radi wurde schon zuvor von der Regierung schikaniert. 2016 und 2017 berichtete er über Proteste von Hirak El-Rif, einer sozialen Bewegung, die sich für soziale und wirtschaftliche Rechte in der Randregion Rif im Norden von Marokko einsetzt. 2018 war er Co-Regisseur eines Dokumentarfilms mit dem Namen Death Over Humiliation, der die Kämpfe von Hirak El-Rif in der Al Hoceima-Provinz dokumentiert.

Der Bericht von Amnesty International vom 22. Juni 2020 enthüllte Beweise, dass die marokkanischen Behörden Omar Radi gezielt mit einer Spyware der israelischen NSO-Gruppe überwachten. Nach der Veröffentlichung des Berichts starteten die marokkanischen Behörden eine Verleumdungskampagne gegen Amnesty International. Damit wollten sie die Forschungsergebnisse der Organisation diskreditieren und von den rechtswidrigen Überwachungsaktionen gegen Menschenrechtsverteidiger_innen und Journalist_innen ablenken. Bereits im Oktober 2019 hatte Amnesty International einen Bericht publiziert, der bewies, dass die marokkanischen Menschenrechtsverteidiger Maati Monjib und Abdessadak El Bouchattaoui – ähnlich wie Omar Radi – mit der Überwachungstechnologie der NSO-Gruppe überwacht wurden. Amnesty International betont die Bedrohung für die Rechte der freien Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit in Marokko durch diese unrechtmäßige, gezielte Überwachung.