Gefangener Aktivist in sehr schlechter Verfassung

© Amnesty International
Der Gesundheitszustand von Mohamed Lamine Haddi ist nach 69 Tagen im Hungerstreik kritisch. Mit dem Streik protestierte der sahrauische Aktivist gegen seine Misshandlungen in Haft. Er wird seit mehr als drei Jahren im Gefängnis Tiflet II in Rabat in Isolationshaft festgehalten. Im Juli 2017 war der Aktivist nach einem unfairen Massenverfahren mittels "Geständnissen", die unter Folter erpresst worden waren, zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Das Verfahren stand im Zusammenhang mit Zusammenstößen in Gdeim Izik (Westsahara) im Jahr 2010, bei denen es Tote gegeben hatte.
Appell an
Premierminister
Saad Dine El-Othmani
Palais Royal Touarga
10070 Rabat
MAROKKO
Sende eine Kopie an
Botschaft des Königreichs Marokko
I.E. Frau Zohour Alaoui
Niederwallstraße 39
10117 Berlin
Fax: 030–2061 2420
E-Mail: kontakt@botschaft-marokko.de
Amnesty fordert:
- Sorgen Sie bitte dafür, dass die Einzelhaft von Mohamed Lamine Haddi umgehend beendet wird, dass er sofort Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung erhält und dass seine Haftbedingungen internationalen Standards entsprechen, einschließlich den UN-Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln).
- Gestatten Sie Mohamed Lamine Haddi regelmäßigen Zugang zu seiner Familie und seinen Rechtsbeiständen. Veranlassen Sie bitte die Überstellung von Mohamed Lamine Haddi und den anderen Sahrauis, die im Fall Gdeim Izik verurteilt worden waren, in das Gefängnis El-Ayoun, das näher an den Wohnorten ihrer Angehörigen liegt. Sofern keine nachvollziehbaren Gründe für eine Verweigerung dieser Verlegungen vorliegen, sollen so ihren Familien – entsprechend der Nelson-Mandela-Regeln (Regel 59) – Besuche erleichtert werden.
- Leiten Sie bitte außerdem sofort eine unabhängige Untersuchung der Foltervorwürfe von Mohamed Lamine Haddi ein und überprüfen Sie seine Haftbedingungen.
Sachlage
Am 13. Januar trat Mohamed Lamine Haddi in einen Hungerstreik, um Besuchsgenehmigungen für seine Rechtsbeistände und Familienangehörigen sowie ein Ende seiner Isolationshaft zu fordern. Außerdem möchte er in ein anderes Gefängnis verlegt werden, nachdem er im Gefängnis Tiflet II Misshandlungen und Schikanen durch die Gefängnisbehörden ertragen musste. Auch eine medizinische Behandlung wird ihm verweigert. Am 23. März erzählte er seiner Familie in einem Telefongespräch, dass er nach 69 Tagen Hungerstreik von Gefängniswärter_innen durch einen Schlauch in der Nase zwangsernährt worden war. Außerdem habe man ihm drei Injektionen mit unbekannten Substanzen verabreicht. Nach internationalen Menschenrechtsnormen gilt Zwangsernährung als grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Mohamed Lamine Haddi teilte seiner Familie in dem Telefonat außerdem mit, dass er während seines Hungerstreiks nie ärztlich untersucht worden sei. Seine linke Körperhälfte sei teilweise gelähmt, er leide an Zittern in den Beinen, dem Gefühl, einen Stein in der linken Hand zu haben, Gedächtnisverlust und starken Schmerzen in Magen und Nieren.
Seit dem 17. September 2017 halten die Behörden Mohamed Lamine Haddi im Gefängnis Tiflet II in Rabat in Isolationshaft fest. Neben ihm werden dort noch weitere Aktivist_innen in Einzelhaft festgehalten, die im Zusammenhang mit Zusammenstößen in Gdeim Izik (Westsahara) im Jahr 2010 zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren. Rabat liegt 1.227 Kilometer vom Wohnort ihrer Familien, El-Ayoun, entfernt. El-Ayoun ist die größte Stadt der Westsahara. Mohamed Lamine Haddi ist mindestens 23 Stunden am Tag allein in seiner Zelle eingesperrt, ohne Kontakt zu anderen Häftlingen. Aufgrund von Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie waren Familienbesuche seit März 2020 untersagt. Selbst nachdem die Behörden das Besuchsverbot wieder aufgehoben hatten, wurden seine Angehörigen mindestens zweimal (am 1. und 3. März 2021) daran gehindert, ihn zu besuchen.
Hintergrundinformation
Internationale Menschenrechtsstandards, wie die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung der Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln), definieren Einzel- oder Isolationshaft als Aufenthalt von 22 Stunden oder mehr pro Tag ohne sinnvollen menschlichen Kontakt. Die Mindestgrundsätze legen fest, dass Einzelhaft von mehr als 15 aufeinanderfolgenden Tagen als grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung angesehen wird. Nach dem marokkanischen Strafvollzugsgesetz ist die Einzelhaft eine außergewöhnliche Maßnahme, die nur als Sicherheits- oder Schutzmaßnahme für Inhaftierte angeordnet wird. Auch das marokkanische Strafgesetzbuch stellt Folter unter Strafe.
Die Westsahara ist Gegenstand eines Territorialstreits zwischen Marokko und der Polisario-Front. Marokko hat das Gebiet 1975 annektiert und die Souveränität darüber, während die Polisario-Front einen unabhängigen Staat in dem Gebiet fordert. In den vergangenen Jahren ist der Zugang zur Westsahara für externe Beobachter_innen immer schwieriger geworden, da sich die Menschenrechtssituation weiter verschlechtert hat. Der UN-Sicherheitsrat hat Forderungen von Amnesty International und anderen ignoriert, der UN-Mission für das Referendum in der Westsahara (MINURSO) eine Menschenrechtskomponente hinzuzufügen, die eine Überwachung und Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen ermöglichen würde.
– Fortsetzung auf Englisch –
Mohamed Lamine Haddi started a hunger strike on 17 January 2021. His weekly 15-minute calls to his family were banned from 22 February 2021. His family issued a statement on 13 March 2021 declaring that his fate was unknown to them. Mohamed Lamine Haddi was allowed to call his mother for one and a half minutes on 23 March to tell her that the prison authorities force-fed him. His mother told Amnesty International that he sounded very weak and he could barely speak. He told her that he was suffering a partial paralysis on his left side. On 25 March, Mohamed Lamine Haddi was permitted to call his mother to tell her that he had been temporarily transferred to Kenitra prison to sit university exams. This transfer was made without any prior notification to Mohamed Lamine Haddi or his family. Mohamed Lamine Haddi told his family that he is still experiencing partial paralysis, as well as memory loss and pain in his left hand. Prison authorities continue to deny him access to a doctor. Authorities followed this same procedure with detained Sahrawi activist Abdeljalil Laaroussi in 2017. His lawyer told Amnesty International that, in order to hide his health status, authorities transferred Laaroussi to Bouzarkene prison to take university exams and forced him to be photographed.
Two other Gdeim Izik prisoners, Sidi Abdallah Abbahah and Bachir Khadda, are also held in solitary confinement in Tiflet II, 1227km from their families who all live in El-Ayoun. According to their lawyer, they are all victims of psychological torture, harassment and ill treatment. They are held in cells of around 5m² for at least 23 hours a day. Sidi Abdallah Abbahah told their lawyer that the prison guards and prison director frequently insult them and threaten them with torture, death and taking away their right to have showers. Since 2017 they have held several hunger-strikes against the prolonged isolation and ill-treatment.
Mohamed Lamine Haddi is a Sahrawi activist who participated in the 2010 Gdeim Izik camp protesting Sahrawis’ social and economic conditions. In November 2010, he was arrested in the violent clashes following the dismantling of the camp. In 2013, he was sentenced to 25 years in prison on charges of participation in and aiding a "criminal organisation," and participation in violence against public forces which caused intended death under Articles 293, 129 and 267 of the Moroccan Penal Code. The military court which tried him and other Sahrawis did not investigate the defendants’ claims that they had been forced to sign confessions under torture. A civilian court confirmed his sentence in 2017, using the statements that he said had been made under torture.
According to Mohamed Lamine Haddi’s lawyer, during his first year in Tiflet II prison, he was only permitted to leave his cell for 15 minutes once per day, alone. Since then, he has been allowed out of his cell for maximum 1 hour per day, alone. During the winter, he is not allowed hot showers like other prisoners and on 14 December 2020, the prison director ordered all his private belongings be confiscated. Since being in Tiflet II, Mohamed Lamine Haddi has been banned from visits by his lawyer and family visits were banned in March 2020. The context of COVID-19 does not justify family visits being banned for such a prolonged period of time. On 16 January 2021, Mohamed Lamine Haddi’s lawyer wrote to the King's prosecutor and the Director of Tiflet II prison asking for an investigation into his prison conditions. Neither replied. Before starting his hunger strike, Mohamed Lamine Haddi told his lawyer that he would rather die than be kept in the conditions of Tiflet II.