Aktivistin nach Abschiebung festgenommen

default_picture

Sam Sokha wurde am 8. Februar trotz ihres UNHCR-Flüchtlingsstatus aus Thailand abgeschoben und nach ihrer Rückkehr umgehend von den kambodschanischen Behörden festgenommen und inhaftiert. Aufgrund ihres friedlichen Aktivismus  war sie in Abwesenheit wegen "Anstiftung zur Diskriminierung" zu über zwei Jahren Haft und einer Geldstrafe verurteilt worden. Amnesty International betrachtet Sam Sokha als gewaltlose politische Gefangene.

Appell an

Innenminister und stellv.

Premierminister

Sar Kheng

75 Norodom Blvd

Khan Chamkarmon

Phnom Penh, KAMBODSCHA

 

Sende eine Kopie an

Aussenminister
Prak Sokhonn
No. 3 Samdech Hun Sen Street Khan
Chamcar Mon
Phnom Penh, KAMBODSCHA
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 855) 23 216 141

Botschaft des Königreichs Kambodscha
I. E. Frau Sopharat Touch
Benjamin-Vogelsdorff-Straße 2
13187 Berlin
Fax: 030–48 63 79 73
E-Mail: rec-Berlin@t-online.de

 

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie Sam Sokha umgehend und bedingungslos frei und heben Sie ihren Schuldspruch und ihre Strafe auf, da diese lediglich auf der friedlichen Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung basieren.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass sie bis zu ihrer Freilassung regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu ihrer Familie, Rechtsbeiständen ihrer Wahl und unabhängiger medizinischer Versorgung hat, die sie unter anderem aufgrund der schlechten Bedingungen während ihrer Haft im IDC in Suan Phlu benötigt.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass Aktivist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen, Journalist_innen, Akademiker_innen und Mitglieder der politischen Opposition ihre Menschenrechte friedlich und ohne Angst vor Bestrafung, Repressalien oder Einschüchterung ausüben können.

 

Sachlage

Die Gewerkschaftsaktivistin Sam Sokha wurde am 8. Februar von den thailändischen Behörden nach Kambodscha abgeschoben. Zuvor war sie vom UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) in Thailand als Flüchtling mit Bedarf nach internationalem Schutz anerkannt worden. Polizist_innen des kambodschanischen Innenministeriums verhafteten sie bei ihrer Ankunft an der Grenze. Am 9. Februar wurde sie in das Gefängnis der Provinz Kampong Speu gebracht, um eine zweijährige Haftstrafe anzutreten. Zuvor hatte sie das Provinzgericht Kampong Speu am 25. Januar 2018 in Abwesenheit wegen "Beleidigung eines Amtsträgers" und "Anstiftung zur Diskriminierung" verurteilt, weil sie zweimal eine Sandale auf eine Plakatwand geworfen hatte, die vor den Kommunalwahlen im Jahr 2017 von der Regierungspartei am Straßenrand aufgestellt worden war. Sam Sokha hat laut Abschnitt 3 der kambodschanischen Strafprozessordnung das Recht, innerhalb von 15 Tagen Einspruch gegen das in Abwesenheit ergangene Urteil einzulegen.

Sam Sokha war aus Kambodscha geflohen, nachdem sie von Unterstützer_innen der Regierungspartei bedroht worden war. Außerdem hatte das Gericht der Provinz Kampong Speu Anklage gegen sie erhoben und einen Haftbefehl ausgestellt. Ein Video des Sandalenwurfs war auf Facebook gepostet worden und hatte in den Sozialen Medien viel Aufmerksamkeit erregt.

Kambodschanische Regierungsbeamt_innen baten wegen der Rückführung von Sam Sokha nach Kambodscha mehrfach um die Mitarbeit der Hafteinrichtung für Asylsuchende in Suan Phlu, Bangkok (Suan Phlu Immigration Detention Centre - IDC). Mit Sam Sokha selbst trafen sie sich jedoch nicht. Auch am 7. Februar 2018, einen Tag vor Sam Sokhas Abschiebung, trafen sich die kambodschanischen Beamten mit denen des IDC.

Anfang Januar 2018 wurde Sam Sokha von der thailändischen Polizei festgenommen, weil sie sich ohne gültige Genehmigung im Land aufhielt. Bis zu ihrer Abschiebung wurde sie dann im IDC in Bangkok festgehalten. Sam Sokha, wurde nach dem Einwanderungsgesetz als "Ausländerin mit abgelaufener Aufenthaltserlaubnis" angesehen. Sie wurde vor Gericht gestellt und wegen "Überschreitung der Aufenthaltsdauer" zu einer Bewährungsstrafe von zwei Monaten und einer Geldstrafe von 3.000 Baht (rund 77 Euro) verurteilt.

 

Hintergrundinformation

Hintergrund

Im Jahr 2017 wurde Sam Sokha in Abwesenheit vom Gericht der Provinz Kampong Speu in Kambodscha wegen "Beleidigung eines Amtsträgers" und "Anstiftung zur Diskriminierung" nach den Artikeln 494, 496 und 502 des kambodschanischen Strafgesetzbuches angeklagt. Im April und Juni 2017 wurde sie zweimal vom Gericht zur Vernehmung vorgeladen, doch befand sie sich beide Male im Ausland. Im Juni stellte das Gericht einen Haftbefehl aus. Vor ihrer Flucht nach Thailand war Sam Sokha von Unterstützer_innen der Regierungspartei (Cambodia People's Party - CPP) verbal bedroht worden, nachdem sie eine Sandale auf ein Plakat am Straßenrand geworfen hatte, das den Premierminister und den Präsidenten der Nationalversammlung zeigte. Der Vorfall ereignete sich während des verschärften Vorgehens der Behörden gegen unabhängige Medien, die Zivilgesellschaft und die politische Opposition im Zuge der Kommunalwahlen im Juni 2017. Am 25. Januar 2018, wenige Tage vor ihrer Abschiebung, wurde sie in Abwesenheit vom Gericht der Provinz Kampong Speu der oben genannten Anklagepunkte schuldig gesprochen und zu zwei Jahren Haft sowie einer Geldstrafe in Höhe von 5 Millionen Riel (etwa 1.012 Euro) verurteilt.

2017 gab es zunehmend Berichte darüber, dass die thailändische Polizei gemeinsam mit Angehörigen der kambodschanischen Regierung Asylsuchende und Flüchtlinge aus Kambodscha sowie kambodschanische Menschenrechtsverteidiger_innen überwachten, schikanierten und einschüchterten. Ein Auslieferungsabkommen zwischen Thailand und Kambodscha besteht seit dem 6. Mai 1998. Es besteht die Gefahr – wenn dies nicht schon geschieht – dass auf dieser Grundlage gegen friedliche kambodschanische Aktivist_innen vorgegangen wird, die in Thailand Asyl suchen. Sie werden an Kambodscha ausgeliefert und dort strafrechtlich verfolgt. Dasselbe gilt in umgekehrte Richtung. Dieses Vorgehen verstößt gegen den völkerrechtlichen Grundsatz der Nichtzurückweisung. Aufgrund der verstärkten Zusammenarbeit der ASEAN-Staaten bei Auslieferungen und Abschiebungen besteht diese Gefahr nicht nur in Kambodscha und Thailand. Thailand und Vietnam führen seit 2016 Gespräche über ein vergleichbares Auslieferungsabkommen. Die thailändische Regierung hat sich bereits zuvor dem Druck von anderen Regierungen gebeugt und Menschen in Länder abgeschoben, in denen ihr Leben und ihre Freiheit in Gefahr sind. Die Abschiebung von Sam Sokha nach Kambodscha ist ein solcher Fall.

Die vergangenen zwei Jahre waren in Kambodscha von der Vorbereitung auf die Parlamentswahlen im Juli 2018 und von einem verstärkten Vorgehen gegen Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen geprägt, die lediglich wegen der friedlichen Ausübung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit willkürlich festgenommen und inhaftiert werden. Die Wohnrechtsverteidigerin Tep Vanny aus der Boeung-Kak-Gemeinde ist beispielsweise seit dem 15. August 2016  aufgrund ihrer friedlichen Teilnahme an den sogenannten "Black Monday"-Protesten willkürlich inhaftiert, wo sie sich für die Freilassung von fünf Menschenrechtsverteidiger_innen einsetzte. Seitdem sah sie sich verschiedenen politisch motivierten Anklagen und falschen Verurteilungen ausgesetzt, die auf ihrem friedlichen Aktivismus beruhten. Im August 2017 wurde der politische Berichterstatter Kem Sok aufgrund einer konstruierten Anklage verurteilt. Ihm wurden "Verleumdung und Anstiftung zum Begehen einer Straftat" vorgeworfen, weil er angeblich während eines Radiointerviews die Regierung mit dem Mord an dem politischen Berichterstatter Kem Ley in Verbindung gebracht hatte. Seit den Kommunalwahlen in Kambodscha wird im Land verstärkt gegen unabhängige Medien vorgegangen. Betroffen sind vor allem unabhängige Zeitungen, Radiosender und Radiofrequenzen, auf denen Programme wie die amerikanischen Sender Radio Free Asia und Voice of America sowie das kambodschanische Programm Voice of Democracy übertragen werden.

Seit 2017 wird in Kambodscha verstärkt und immer unnachgiebiger gegen die politische Opposition und ihre Unterstützer_innen vorgegangen. Die Regierung hat zwei kontroverse Gesetzesänderungen im Parlament durchgepeitscht: eine zum Gesetz über politische Parteien, die das Auflösen von Parteien erlaubt, und eine zweite, die das Wahlrecht betrifft. Am 3. September 2017 wurde Kem Sokha, der Präsident der größten Oppositionspartei, der Nationalen Rettungspartei Kambodschas (Cambodia National Rescue Party - CNRP) willkürlich inhaftiert. Ihm werden politisch motivierte Anschuldigungen, beispielsweise ein "Komplott mit einer ausländischen Macht", zur Last gelegt und er befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Durch eine Entscheidung des Obersten Gerichts vom 16. November 2017, die offensichtlich auf Wunsch der Regierung getroffen wurde, wurde die CNRP aufgelöst. Grundlage ist der unbegründete Vorwurf, dass die Partei mit Hilfe aus dem Ausland eine sogenannte "Farbrevolution" ausgerufen hätte. Zudem wurde 118 Mitarbeiter_innen der CNRP für fünf Jahre jegliche politische Aktivität verboten. Dieses harte Vorgehen hat dazu geführt, dass mehr als die Hälfte der Parlamentsmitglieder der CNRP aus Angst vor einer Festnahme das Land verlassen haben.