DEINE SPENDE KANN LEBEN RETTEN!
Mit Amnesty kannst du dort helfen, wo es am dringendsten nötig ist.
DEINE SPENDE WIRKT!
Iran: Verurteilung von Deutsch-Iraner steht unmittelbar bevor
Jamshid Sharmahd, ein Deutsch-Iraner und politischer Dissident, ist im Iran dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen. Zudem wird er gefoltert. Er steht wegen "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) unter Anklage und könnte jederzeit in einem grob unfairen Verfahren vor einem Revolutionsgericht zum Tode verurteilt werden. Seit Juli 2020 wird Jamshid Sharmahd willkürlich in Haft gehalten, und die Behörden weigern sich, der Familie seinen Haftort mitzuteilen.
Bitte beachten: Allen Personen mit persönlichen Beziehungen in den Iran raten wir, eine Teilnahme zu prüfen. Dieses Schreiben wird mit deinem Vor- und Nachnamen und Mail-Adresse an den Adressaten im Land gesandt.
Appell an
Oberste Justizautorität
Head of Judiciary, Gholamhossein Mohseni Ejei
c/o Embassy of Iran to the European Union
Avenue Franklin Roosevelt No. 15
1050 Brüssel
BELGIEN
Sende eine Kopie an
Botschaft der Islamischen Republik Iran
S. E. Herr Mahmoud Farazandeh
Podbielskiallee 65-67
14195 Berlin
Fax: 030-83 222 91 33
E-Mail: info@iranbotschaft.de
Amnesty fordert:
- Hiermit fordere ich Sie auf, den Aufenthaltsort von Jamshid Sharmahd offenzulegen und ihn freizulassen, da er willkürlich inhaftiert wurde und für ihn als ältere Person mit Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko besteht, schwer zu erkranken oder zu sterben, sollte er sich in seiner Haft mit Covid-19 infizieren.
- Bitte stellen Sie bis zu seiner Freilassung sicher, dass er eine angemessene medizinische Versorgung, einen Rechtsbeistand seiner Wahl und konsularische Unterstützung durch die deutschen Behörden erhält und regelmäßig mit seiner Familie sprechen kann.
- Sollte er einer international als Straftat anerkannten Handlung angeklagt werden, sorgen Sie bitte dafür, dass er in Übereinstimmung mit internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren in einem Verfahren vor Gericht gestellt wird, das erzwungene "Geständnisse" und einen Rückgriff auf die Todesstrafe ausschließt.
Sachlage
Der inzwischen 67-jährige Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd ist dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen und läuft Gefahr, in einem grob unfairen Verfahren vor der Abteilung 15 des Teheraner Revolutionsgerichts zum Tode verurteilt zu werden, wenn er der "Verdorbenheit auf Erden" (efsad-e fel-arz) für schuldig befunden wird. Während des gesamten Verfahrens, das am 26. Juli 2022 abgeschlossen wurde, wurde ihm der Zugang zu einem unabhängigen Rechtsbeistand seiner Wahl und das Recht auf Verteidigung verweigert. Sein von der Regierung bestellter Anwalt teilte seiner Familie am 2. Juli 2022 mit, dass es für ihn "keinen Sinn" habe, Einspruch dagegen einzulegen, dass das Revolutionsgericht die erzwungenen "Geständnisse" von Jamshid Sharmahd als Beweismittel zugelassen hat. Zuvor, am 9. Mai 2021, hatte der von der Regierung beauftragte Anwalt erklärt, dass er Jamshid Sharmahd ohne die Zahlung von 250.000 US-Dollar durch die Familie nicht vor Gericht verteidigen und nur "dort [im Gericht] sitzen" würde. Nach der Entführung von Jamshid Sharmahd Ende Juli 2020 und seiner willkürlichen Inhaftierung strahlte das iranische Staatsfernsehen Propagandavideos aus, die Jamshid Sharmahd zeigen, wie er "gesteht", an einer Bombenexplosion im April 2008 in Shiraz in der Provinz Fars beteiligt gewesen zu sein, bei der 14 Menschen getötet wurden. Mit dieser Ausstrahlung wurde gegen die Unschuldsvermutung verstoßen sowie gegen das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen. Der Vorwurf der "Verdorbenheit auf Erden" steht im Zusammenhang mit dem Engagement von Jamshid Sharmahd für die Oppositionsgruppe Kingdom Assembly of Iran (auch bekannt als Anjoman-e Padeshahi-ye Iran), einer iranischen Oppositionsgruppe mit Sitz in den USA, die sich für ein Ende des Systems der Islamischen Republik einsetzt. Die Anklage "Verdorbenheit auf Erden" ist rechtlich nicht eindeutig definiert und verstößt somit gegen das Legalitätsprinzip. Jamshid Sharmahd hat diese Anschuldigung wiederholt bestritten, auch während des Prozesses.
Jamshid Sharmahd ist seit etwa 21 Monaten "verschwunden", und die Behörden weigern sich weiterhin, seiner Familie seinen Haftort mitzuteilen. Seit Ende September 2021 wurden ihm nur zwei kurze Telefongespräche mit seiner Familie gestattet – am 23. März 2022 und am 19. Juni 2022. Bei diesen kurzen Telefongesprächen in Anwesenheit von Angehörigen der Sicherheitskräfte gab Jamshid Sharmahd zu erkennen, dass er gefoltert und anderweitig misshandelt wird, u. a. indem er seit seiner Entführung im Juli 2020 über längere Zeit in Einzelhaft gehalten wird, ihm jeglicher Kontakt zu anderen Gefangenen verweigert wird und er gezwungen wird, in einer kleinen Zelle auf dem Boden zu schlafen, wo er nicht einmal ein paar Schritte gehen oder zwischen Tag und Nacht unterscheiden kann. Die Behörden verweigern ihm auch eine angemessene medizinische Versorgung, einschließlich einer zahnärztlichen Behandlung, und verzögern routinemäßig seinen Zugang zu Medikamenten, die er zur Behandlung seiner Parkinson-Erkrankung benötigt, was zu starken Schmerzen und Atembeschwerden führt.
Hintergrundinformation
Am 1. August 2020 gab das Geheimdienstministerium in einer Erklärung bekannt, dass seine als "unbekannte Soldaten von Imam Zaman" bezeichneten Geheimdienstagenten Jamshid Sharmahd nach einer "komplexen Operation" festgenommen hätten, ohne weitere Details zu nennen. Am selben Tag erklärte der iranische Geheimdienstminister Mahmoud Alavi, dass Jamshid Sharmahd "starke Unterstützung von den Geheimdiensten der USA und Israels" erhalte und er im Rahmen "komplexer Operationen" in den Iran "geführt" worden und in den Gewahrsam des Geheimdienstministeriums genommen worden sei. Dies wurde weithin so verstanden, dass er von Angehörigen des iranischen Geheimdienstes aus dem Ausland entführt – Jamshid Sharmahd hatte sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgehalten – und gegen seinen Willen in den Iran gebracht wurde. Die erzwungenen "Geständnisse" von Jamshid Sharmahd wurden während seiner Untersuchungshaft mehrfach im iranischen Staatsfernsehen ausgestrahlt. In einem Propagandavideo, das im Januar 2021 veröffentlicht wurde, werden seine "Geständnisse" mit Ausschnitten aus seinen Sendungen für die Kingdom Assembly of Iran vermischt und er als Anführer der Gruppe und als "Terrorist" bezeichnet. Nach seiner Entführung und willkürlichen Inhaftierung berichtete seine Familie in den USA, dass Mitarbeiter*innen des Geheimdienstministeriums sie unter Druck gesetzt und gefordert hätten, dass sie auf dem Heimcomputer von Jamshid Sharmahd erzwungene "Geständnisse" verfassen sollten. Dies lehnten sie ab. Nach seiner Entführung teilten Angehörige des Geheimdienstministeriums Jamshid Sharmahd mit, dass er im Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert sei, doch Ende 2020 teilte er seiner Familie mit, dass er sich nicht mehr dort befinde, ohne mehr über seinen Aufenthaltsort sagen zu dürfen. In einem Telefongespräch am 23. März 2021 sagte Jamshid Sharmahd, dass er fast 20 kg abgenommen habe und dass nur noch zwei seiner Zähne intakt seien, ohne dies weiter ausführen zu können. Er fügte hinzu, dass er nur noch mit dem Zahnfleisch kauen könne, um zu versuchen, Nahrung zu zerkleinern.
Der in den USA lebende Jamshid Sharmahd war Sprecher der Gruppe Kingdom Assembly of Iran. Er hat auch die Webseite der Gruppe, Tondar.org, erstellt und verwaltet sowie ihre Radio- und Videoübertragungen moderiert. Auf der Webseite finden sich auch Erklärungen der Kingdom Assembly of Iran, in denen sie die Verantwortung für Bombenanschläge im Iran übernimmt. Jamshid Sharmahd hat seine Beteiligung an den ihm von den Behörden zugeschriebenen Gewalttaten jedoch bestritten, auch während des Gerichtsverfahrens. Amnesty International befürchtet, dass Jamshid Sharmahd die Todesstrafe droht, da im Januar 2010 zwei Männer, Mohammad Reza Ali Zamani und Arash Rahmanipour, im Iran hingerichtet wurden, nachdem sie im Zusammenhang mit ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Mitgliedschaft in der Kingdom Assembly of Iran in grob unfairen Prozessen wegen "Feindschaft zu Gott" (moharebeh) zum Tode verurteilt worden waren.
Amnesty International hat seit 2019 zwei weitere Fälle dokumentiert, in denen Dissidenten von iranischen Sicherheits- und Geheimdienstangehörigen im Ausland entführt und in den Iran zurückgebracht wurden. Der regierungskritische Journalist Rohoullah Zam, dem in Frankreich Asyl gewährt worden war, wurde während eines Besuchs im Irak im Oktober 2019 offenbar mit Unterstützung irakischer Geheimdienste von den Revolutionsgarden entführt und gegen seinen Willen in den Iran zurückgebracht. Er wurde nach einem grob unfairen Gerichtsverfahren im Dezember 2020 hingerichtet. Ein weiteres Beispiel ist der politische Dissident Habib Chaab. In einer Antwort der türkischen Behörden vom Januar 2021 auf eine Mitteilung mehrerer UN-Sonderberichterstatter*innen hieß es, er sei "am Tag nach seiner Ankunft in der Türkei illegal in den Iran geschmuggelt worden". Habib Chaab ist in unmittelbarer Gefahr, zum Tode verurteilt zu werden. +++ Update 8. Mai 2023: Der schwedisch-iranische Habib Chaab ist am 6. Mai 2023 im Iran hingerichtet worden. +++
Auch wenn jede Regierung die Pflicht hat, die Verantwortlichen für Gewalttaten vor Gericht zu stellen, müssen alle, die aufgrund einer strafrechtlichen Anschuldigung festgenommen oder inhaftiert werden, in voller Übereinstimmung mit den Menschenrechtsverpflichtungen des Iran behandelt werden, einschließlich des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren. Dies gilt auch bei Vorwürfen, die mit "Terrorismus" in Verbindung stehen. Das Recht auf ein faires Verfahren beinhaltet: das Recht auf die Wahl des eigenen Rechtsbeistands; das Recht auf Zugang zu einem wirksamen Rechtsbeistand ab dem Zeitpunkt der Festnahme und während des gesamten Ermittlungs- und Gerichtsverfahrens; das Recht, unverzüglich einer*einem Richter*in vorgeführt zu werden; das Recht, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung vor einem unabhängigen, unparteiischen Gericht anzufechten; das Recht auf die Unschuldsvermutung; das Recht, zu schweigen und nicht gezwungen zu werden, sich selbst zu belasten oder sich schuldig zu bekennen; das Recht, umfassenden Zugang zu relevantem Beweismaterial zu erhalten; das Recht, nicht aufgrund vager Anschuldigungen inhaftiert zu werden; das Recht, Zeug*innen zu benennen und ins Kreuzverhör zu nehmen; das Recht auf eine faire, öffentliche Anhörung vor einem zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gericht; und das Recht auf ein öffentliches und rechtlich begründetes Urteil. Die Verhängung der Todesstrafe nach einem Strafverfahren, das bei weitem nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht, ist ein willkürlicher Entzug des Rechts auf Leben. Gemäß dem Völkerrecht ist dies eine Straftat.
Amnesty International hat im Iran häufige systematische Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren ab dem Zeitpunkt der Festnahme und während der gesamten Ermittlungs-, Gerichts- und Berufungsverfahren dokumentiert. Iranische Gerichte ignorieren routinemäßig Vorwürfe von Folter und anderen Misshandlungen, ohne eine Untersuchung anzuordnen, und verlassen sich auf durch Folter erlangte "Geständnisse", um Urteile und Strafen zu erlassen, auch in Fällen, in denen Angeklagten die Todesstrafe droht.