Elf Frauen misshandelt

Zeichnung von Symbolen der Religionen Christentum, Islam, Judentum und Hinduismus

Mindestens elf Frauen der religiösen Minderheit der Gonabadi-Derwische sind seit dem 20. Februar unter unmenschlichen Bedingungen willkürlich inhaftiert und haben keinen Zugang zu Rechtsbeiständen. Sie wurden nach der gewaltsamen Auflösung einer Protestveranstaltung der Gonabadi-Derwische in Teheran festgenommen. Einige benötigen dringend medizinische Versorgung für die Verletzungen, die sie von den Schlägen bei der Festnahme davongetragen haben.

Appell an

Hoher Rat für Menschenrechte

Mohammad Javad Larijani

Esfaniar Boulevard, Niayesh Intersection

Vali Asr Avenue, Tehran

IRAN

Sende eine Kopie an

Staatspräsident

Hassan Rouhani


Pasteur Street, Pasteur Square

Tehran, IRAN

Twitter:@HassanRouhani

Botschaft der Islamischen Republik Iran

S. E. Herrn Ali Majedi

Podbielskiallee 65-67

14195 Berlin

Fax: 030-8435 3535 oder 030-8322 29133

E-Mail: info@iranbotschaft.de

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie Shokoufeh Yadollahi, Sepideh Moradi, Maryam Farisani, Nazila Nouri, Sima Entesari, Shima Entesari, Shahnaz Kiani, Maryam Barakouhi, Elham Ahmadi, Avisha Jalaledin und Sedigheh Safabakht bitte umgehend und bedingungslos frei, da sie nur aufgrund der friedlichen Ausübung ihrer Rechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit inhaftiert sind.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass sie bis zu ihrer Freilassung vor Folter oder anderweitiger Misshandlung geschützt sind und Zugang zu ihrer Familie, einem Rechtsbeistand ihrer Wahl und angemessener medizinischer Versorgung erhalten.
  • Leiten Sie bitte umgehend entsprechend dem Völkerrecht und internationalen Standards, einschließlich der "Nelson-Mandela-Regeln", Maßnahmen zur Verbesserung der Haftbedingungen im Gefängnis Shahr-e Rey ein und ermöglichen Sie internationalen Menschenrechtsbeobachter_innen die Durchführung von Inspektionsbesuchen.
  • Führen Sie eine unabhängige und transparente Untersuchung der Berichte über exzessive Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte durch, mit der die Protestveranstaltung der Gonabadi-Derwische unterdrückt werden sollte und bringen sie die mutmaßlich Verantwortlichen in faires Verfahren vor Gericht.

Sachlage

Am 19. Februar nahmen iranische Sicherheitskräfte gewaltsam mindestens 60 Frauen der im Iran verfolgten Gemeinschaft der Gonabadi-Derwische fest, weil sie in Teheran an einer Protestveranstaltung teilgenommen hatten. Die Veranstaltung schlug in Gewalt um, als Sicherheitskräfte begannen Schläge auszuteilen und Schusswaffen, Wasserwerfer und Tränengas einzusetzen, um die Menge auseinanderzutreiben. Die Frauen wurden in das Haftzentrum Vozara gebracht, wo sie ihren Angaben zufolge übergriffigen Leibesvisitationen durch Beamtinnen, einschüchternden Verhören und Beleidigungen ausgesetzt waren und angeschrien wurden. In den folgenden 24 Stunden brachten die Behörden zehn Frauen in die Quarantäne-Abteilung des Gefängnis Shahr-e Rey in der Nähe von Teheran und ließen die übrigen frei. Bei den überstellten Frauen handelt es sich um Shokoufeh Yadollahi, Sepideh Moradi, Maryam Farisani, Nazila Nouri, Sima Entesari, Shima Entesari, Shahnaz Kiani, Maryam Barakouhi, Elham Ahmadi und Avisha Jalaledin. Nach einigen Tagen wurde eine elfte Frau, Sedigheh Safabakht, die zuvor offenbar im Evin-Gefängnis festgehalten worden war, ebenfalls in das Gefängnis Shahr-e Rey gebracht. Berichten zufolge werden einige der Frauen mitten in der Nacht zu Verhören geholt und dabei verbal misshandelt und bedroht.

Das Gefängnis Shahr-e Rey ist eine ehemalige Hühnerfarm, in der Hunderte wegen Gewaltverbrechen verurteilter Frauen unter Bedingungen in Haft sitzen, die weit unter den Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) liegen. Häufige Beschwerden nennen Böden voller Urin, Mangel an frischer Luft, ungenügende und schmutzige Bäder, ansteckende Krankheiten, schlechtes Essen, in dem sich kleine Steine befinden, und salziges Wasser. In den vergangenen Tagen haben sich die Frauen über Abwassergerüche beschwert, die aus der Kanalisation kommen und ihre Zellen mit Gestank füllen. Daraufhin hat Shima Entesari, die an Asthma leidet, große Atemprobleme bekommen und benötigte zusätzlichen Sauerstoff. Zudem haben Augenzeug_innen berichtet, dass Sicherheitskräfte Shokoufeh Yadollahi bei der Festnahme so schwer geschlagen haben, dass sie Kopfverletzungen davontrug. Die Behörden haben ihr den Zugang zu medizinischer Versorgung verweigert, offenbar nachdem sie sich geweigert hatte, in Hand- und Fußschellen zum Krankenhaus gebracht zu werden. Berichten zufolge leiden mehrere Frauen an Vaginalblutungen aufgrund von Schlägen auf die Geschlechtsorgane während der Festnahme.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Mehrere Hundert Männer und Frauen der Gonabadi-Derwische versammelten sich in der Nacht des 19. Februar vor dem Wohnsitz ihres geistigen Oberhaupts Noor Ali Tabandeh in Golestan Haftom in Teheran, um gegen die verstärkte Strafverfolgung ihrer Gemeinschaft zu protestieren und die mögliche Festnahme ihres Oberhaupts zu verhindern. Anwesende bei der Protestveranstaltung berichteten, dass die Polizei und Basiji-Kräfte in Zivil Menschen mit Stöcken, Elektrokabeln und scharfen Gegenständen schlugen und Tränengas, Wasserwerfer und scharfe Munition einsetzten, um die Menge auseinanderzutreiben. Sie nahmen mehr als 300 Personen, darunter 60 Frauen, fest. Die Anwesenden berichteten, dass die Sicherheitskräfte ein fünfstöckiges Apartmenthaus durchsuchten, in das die Protestierenden geflüchtet waren. Sie setzten die Treppenhäuser unter Tränengas, bildeten eine Art Schlagstocktunnel und schlugen die Protestierenden wiederholt auf Rücken, Kopf und ins Gesicht, als sie diese mit Gewalt die Treppen hinunter und in bereitstehende Polizeifahrzeuge zerrten. Fotos und Videos des Vorfalls zeigen Protestierende mit Platz- und anderen Wunden im Gesicht und am Körper sowie bandagierte Köpfe und andere Körperteile.

Amnesty International geht davon aus, dass etwa 170 der Inhaftierten, von denen viele ohne Bewusstsein waren, vom Ort des Geschehens in ein Krankenhaus gebracht wurden, um eine Notfallbehandlung zu erhalten. In den darauffolgenden Tagen wurden einige entlassen, andere wurden in das Gefängnis Fashafouyeh in der Nähe von Teheran gebracht, obwohl ihre medizinische Behandlung noch nicht abgeschlossen war. Einige Inhaftierte wurden dann zu Verhören ins Evin-Gefängnis oder das Haftzentrum Shapour – beide in Teheran – gebracht, wo sie sich in Einzelhaft befinden. Während dieser Zeit wussten ihre Familien nichts über ihr Schicksal und ihren Aufenthaltsort. Es besteht große Sorge, dass sie gefoltert oder anderweitig misshandelt werden und ihnen zum Beispiel die medizinische Versorgung für ihre Verletzungen verweigert wird und sie gezwungen werden, "Geständnisse" abzulegen. Am 15. März teilte die leitende Staatsanwaltschaft von Teheran mit, dass bislang 20 Anklageschriften gegen Gonabadi-Derwische aufgesetzt worden seien und sich diese Zahl auf 100 erhöhen könne.

Am 4. März wurde die Familie eines der Häftlinge, Mohammad Raji, von der Polizei darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Gefangene seinen durch wiederholte Schläge auf den Kopf verursachten Verletzungen erlegen sei. Einzelheiten über die genaue Todesursache, den Ort und den Zeitpunkt sind noch ungewiss. Die Behörden teilten lediglich mit, dass er während der Zusammenstöße tödlich verletzt worden sei und entweder beim Transport ins Krankenhaus oder nach seiner Aufnahme dort verstarb. Seine Familie betont, dass er bei seiner Festnahme am 19. Februar zwar verletzt, aber am Leben war und drückte ihre Empörung darüber aus, dass ihnen sein Schicksal und sein Aufenthaltsort nach seiner Festnahme über 15 Tage hinweg verheimlicht worden waren und die Behörden sich weigerten, den Ablauf und Zeitpunkt der Ereignisse, die zu seinem Tode führten, zu klären. Bei den Zusammenstößen am 19. Februar starben auch die drei Polizisten Reza Emami, Mohammad Ali Bayrami und Reza Moradi Alamdar sowie der Basij-Milize Mohammad Hossein Haddadian. Die Beamten wurden von einem Bus überfahren. Am 19. März wurde der Derwisch Mohammad Salas der Tat für schuldig erklärt und wegen vorsätzlichen Mordes zum Tode verurteilt. Er hatte die Anschuldigung im Verfahren bestritten und darauf bestanden, dass er nicht mit Vorsatz gehandelt habe. Zu seiner Verteidigung brachte er vor, dass der Unfall auf seine schlechten Augen, die desorientierende Wirkung der Verletzungen – er hatte einen Schädelbruch und einen gebrochenen Arm – und seinen panischen Versuch zurückzuführen seien, so schnell wie möglich dort wegzukommen, um weiteren Schlägen zu entgehen. Am 20. Februar sendete das staatliche iranische Fernsehen ein "Geständnis" von Mohammad Salas, das aufgenommen worden war, als er schwer verletzt im Krankenhaus lag. Dies verstößt gegen die Unschuldsvermutung und gibt Anlass zu der Befürchtung, dass die Aussage unter Druck zustande kam.

Die Gonabadi-Derwische im Iran betrachten sich als schiitische Muslime. Doch wegen ihrer Sufi-Überzeugungen und Praktiken werden sie von den Behörden diskriminiert, schikaniert, willkürlich festgenommen und inhaftiert und es kommt zu Angriffen gegen ihre Gebetshäuser. Am 6. März 2018 gab das geistliche Oberhaupt der Gonabadi-Derwische Noor Ali Tabandeh in einer gefilmten Erklärung bekannt, dass die Behörden ihm untersagen, dass Haus zu verlassen. Weitere Informationen über die genauen Umstände gab er nicht.