Drohendes Todesurteil

Evin-Gefängnis Teheran

Evin-Gefängnis Teheran

Mohammad Ali Taheri soll im Juli zu seiner zweiten Anhörung vor Gericht erscheinen. Die Behörden legen ihm "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" zur Last. Er befindet sich seit über sechs Jahren im Evin-Gefängnis in Einzelhaft. Sollte Mohammad Ali Taheri für schuldig befunden werden, könnte ihm die Todesstrafe drohen.

Appell an

Staatsanwalt von Teheran
Abbas Ja’fari Dolat Abadi
Office of the Prosecutor
Corner (Nabsh-e) of 15 Khordad Square
Tehran
IRAN

Sende eine Kopie an

Präsident
Hassan Rouhani
Pasteur Street, Pasteur Square
Tehran
IRAN

Botschaft der Islamischen Republik Iran
S. E. Herrn Ali Majedi
Podbielskiallee 65-67
14195 Berlin

 

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie Mohammad Ali Taheri sofort und bedingungslos frei, da er ein gewaltloser politischer Gefangener ist, der nur wegen der friedlichen Wahrnehmung seiner Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit inhaftiert ist.
  • Ich möchte Sie höflich daran erinnern, dass die Todesstrafe laut Völkerrecht nur für "schwerste Verbrechen" verhängt werden darf, zu denen laut internationaler Standards nur solche Verbrechen gehören, bei denen eine vorsätzliche Tötung vorliegt.
  • Bitte leiten Sie eine unabhängige und unparteiische Untersuchung seiner langen Einzelhaft ein, welche gegen das Verbot von Folter und anderer Misshandlung verstößt. Ziehen Sie die Verantwortlichen zur Rechenschaft.

Sachlage

Mohammad Ali Taheri soll im Juli zu seiner zweiten Anhörung vor Gericht erscheinen. Die Behörden legen ihm "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" zur Last. Er befindet sich seit über sechs Jahren im Evin-Gefängnis in Einzelhaft. Sollte Mohammad Ali Taheri für schuldig befunden werden, könnte ihm die Todesstrafe drohen.

Der gewaltlose politische Gefangene Mohammad Ali Taheri steht wegen "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" durch die Gründung der spirituellen Gruppierung Erfan-e-Halgheh und damit verbundene Lehren unter Anklage. Sein Gerichtsverfahren begann am 6. März vor der Abteilung 26 des Revolutionsgerichts in Teheran. Während des Verfahrens übergab der Richter dem Angeklagten mehrere schriftliche Fragen, die er ebenfalls schriftlich bis zur nächsten Anhörung beantworten sollte. Der Rechtsbeistand von Mohammad Ali Taheri geht davon aus, dass die Anhörung noch vor Ende Juli stattfinden wird. Die Fragen beziehen sich auf die Schriften von Mohammad Ali Taheri über Erfan-e-Halgheh. Die Gefängnisbehörden haben seine Bitte abgelehnt, Zugang zu seinen vorherigen Schriften zu erhalten, damit er seine Antworten formulieren kann. Mohammad Ali Taheri kann die Fragen so nicht vollständig beantworten.

Eine Woche vor der gerichtlichen Anhörung im März zeigte das staatliche iranische Fernsehen eine Sendung mit dem Titel "Satans Ring", in der Mohammad Ali Taheri als Leiter einer "perversen Sekte" proträtiert wurde. In der Sendung hieß es, dass die Lehren von Mohammad Ali Taheri Menschen verleitet habe, ihren islamischen Glauben und damit einhergehende Praktiken anzuzweifeln, und dass sie für die Betroffenen Angstzustände, Verzweiflung und eine instabile psychische Verfassung zur Folge hatten. Am Ende der Sendung wurden Personen gezeigt, die sich selbst als "Überlebende" bezeichneten und die Hinrichtung von Mohammad Ali Taheri forderten. Kurz darauf wurde gegen seine Anhänger_innen scharf vorgegangen.

Es ist das dritte Mal, dass Mohammad Ali Taheri wegen "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" vor Gericht steht. Zum ersten Mal verurteilte 2011 ein Revolutionsgericht in Teheran ihn wegen "Beleidigung islamischer Heiligkeiten" zu fünf Jahren Haft, fügte jedoch an, dass zur Entscheidung über die Anklage "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" weitere Ermittlungen nötig seien. In den folgenden vier Jahren hielten die Behörden ihn in Trakt 2A des Evin-Gefängnisses in Einzelhaft gefangen. Dort ist er bis heute inhaftiert, mit der Begründung der Behörden, weiter ermitteln zu müssen. Die Dauer dieser Inhaftierung wird seiner fünfjährigen Haftstrafe angerechnet, welche somit im Februar 2016 vollständig hätte verbüßt sein müssen. 2015 wurde er schließlich erneut der "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" angeklagt und zum Tode verurteilt, im Juni 2016 jedoch freigesprochen. Ungeachtet dessen ließ man ihn aber nicht frei, sondern klagte ihn Ende 2016 erneut der "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" an. Als Grundlage für die Anklage wurden dieselben Aktivitäten herangezogen, die schon 2011 zu seiner Verurteilung geführt hatten.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Mohammad Ali Taheri war zum ersten Mal im April 2010 festgenommen und nach zwei Monaten aus der Haft entlassen worden. Im Mai 2011 wurde er erneut festgenommen und der "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" sowie der "Beleidigung islamischer Heiligkeiten" angeklagt, weil er die spirituelle Lehre Erfan-e-Halgheh gegründet hatte. Im Oktober 2011 verurteilte die Abteilung 26 des Revolutionsgerichts in Teheran ihn wegen der Anklage "Beleidigung islamischer Heiligkeiten" zu fünf Jahren Haft, fügte jedoch an, dass zur Entscheidung über die Anklage "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" weitere Ermittlungen nötig seien. Diese Ermittlungen wurden in der Folge von den Behörden als Vorwand benutzt, ihn nicht in einen Trakt mit anderen Häftlingen zu verlegen, sondern weiterhin in Einzelhaft im Trakt 2A zu halten, wo er bis heute inhaftiert ist.

Im September 2014 schlossen die iranischen Revolutionsgarden ihre Untersuchungen im Falle der Anklage "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" ab und erklärten unter anderem, dass Mohammad Ali Taheri die "Verdorbenheit auf Erden" gefördert habe, indem er seine "perverse Sekte" bei 50.000 Iraner_innen beworben habe. Sie behaupteten außerdem, er habe Schritte unternommen, um einen "sanften Umsturz der heiligen Institution der islamischen Republik" voranzutreiben, indem er im großen Stil Zweifel unter den Gläubigen gesät habe. Infolgedessen wurde Mohammad Ali Taheri im März und Juli 2015 vor der Abteilung 26 des Revolutionsgerichts der Prozess gemacht, an dessen Ende er für schuldig befunden und im August 2015 zum Tode verurteilt wurde. Im Dezember 2015 hob das Gericht jedoch das Todesurteil wieder auf, nachdem es zu dem Schluss gekommen war, dass Mohammad Ali Taheris Aktivitäten vor seiner Festnahme 2011 nicht unter den Vorwurf der "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" fielen. Sein Fall ging daraufhin zurück an die Abteilung 26 des Revolutionsgerichts, welche nun entscheiden sollte, ob seine weiteren mutmaßlichen Aktivitäten, unabhängig von seiner spirituellen Lehre, die Anklage unterstützten. Im Juni 2016 entschied diese Abteilung endgültig, Mohammad Ali Taheri vom Vorwurf der "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" freizusprechen.

Im Februar 2016 hatte Mohammad Ali Taheri seine fünfjährige Haftstrafe, zu der er 2011 verurteilt worden war, abgeleistet. Dennoch weigerten sich die Behörden, ihn freizulassen und leiteten weitere Verhöre ein und klagten ihn Ende 2016 in derselben Sache erneut an. Außerdem verstärkten sie die Hetzkampagnen in den staatlichen Medien gegen ihn noch, indem er als Anführer einer "perversen Sekte" bezeichnet und offen seine Hinrichtung gefordert wurde.

Die spirituelle Lehre des Erfan-e-Halgheh, auch "Interuniversalismus" genannt, wurde von Mohammad Ali Taheri gegründet, nachdem er eigenen Angaben zufolge "spirituelle Eingebungen" hatte, die es ihm ermöglichten, Teil eines größeren "kosmischen Bewusstseins" zu werden. Die neue spirituelle Lehre praktizierte er gemeinsam mit seinen Anhänger_innen in "Heilsitzungen", die Berichten zufolge alternative, nicht-medizinische Heilmethoden zum Mittelpunkt hatten. Während seiner Zeit im Gefängnis ist Mohammad Ali Taheri bereits 16 Mal in den Hungerstreik getreten und hat vier Mal versucht, sich das Leben zu nehmen. Grund waren seine lange Einzelhaft, der fehlende Zugang zu seiner Familie und seinem Rechtsbeistand, sowie wiederholte Morddrohungen gegen ihn und seine Familie. Seinen jüngsten Hungerstreik begann er am 28. September 2016. Er dauerte 97 Tage an.

Der UN-Menschenrechtsausschuss, der die Umsetzung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) überwacht, erklärte in seinen Allgemeinen Bemerkungen Nr. 20, dass Einzelhaft über lange Zeiträume einen Verstoß gegen das in Artikel 7 des IPbpR enthaltene Verbot von Folter und anderen Formen der Misshandlung darstellen kann. Der Iran ist Vertragsstaat des IPbpR. Die UN-Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) verbieten Einzelhaft über lange Zeiträume hinweg, d. h. länger als 15 aufeinanderfolgende Tage.

Das Verbot der Doppelbestrafung, auch bekannt als der Grundsatz ne bis in idem (lateinisch für "nicht zweimal in derselben [Sache]"), schützt davor, dass derselbe Sachverhalt erneut zum Gegenstand einer richterlichen Entscheidung gemacht wird, wenn ein endgültiges Urteil (Freispruch oder Verurteilung) gefallen ist. Der Betroffene darf für dieselbe Straftat also nicht zum wiederholten Male bestraft werden. Artikel 14(7) des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte besagt: "Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des jeweiligen Landes rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, erneut verfolgt oder bestraft werden."