Drohende Amnestie für schwerste Verbrechen

Abgeordnete des guatemaltekischen Kongresses brachten einen Gesetzesvorschlag ein, mit dem die Strafverfolgung schwerster Verbrechen während des internen bewaffneten Konflikts (1960–1996) eingestellt würde. Bei einer Verabschiedung drohen die Aussetzung laufender Ermittlungen sowie die Freilassung bereits verurteilter Personen. Will der Kongress das Recht der Opfer auf Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung respektieren, darf er diesen Gesetzentwurf nicht verabschieden. Der Entscheidungsprozess ist in vollem Gange.

Appell an

Alvaro Enrique Arzú Escobar

Palacio Legislativo

9 Avenida 9-44, Zona 1

Ciudad de Guatemala, 01001

GUATEMALA

Sende eine Kopie an

VIZEPRÄSIDENT DES KONGRESSES
Felipe Alejos Lorenzana
Palacio Legislativo, 9 Avenida 9-44
Zona 1, Ciudad de Guatemala, 01001
GUATEMALA

E-Mail: falejos@congreso.gob.gt
Twitter: @FelipeAlejos

BOTSCHAFT DER REPUBLIK GUATEMALA
S. E. Herrn José Francisco Cali Tzay
Joachim-Karnatz-Allee 47, 2.
OG
10557 Berlin
Fax: 030-2064 3659

E-Mail: sekretariat@botschaft-guatemala.de

Amnesty fordert:

Ich fordere Sie auf, das Recht auf Gerechtigkeit für die Opfer in Guatemala zu respektieren, indem Sie den Gesetzentwurf 5377 nicht zur Debatte stellen und nicht als Gesetz verabschieden. Die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs würde einen schweren Verstoß gegen die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Guatemalas darstellen.

Sachlage

Obwohl sich der Menschenrechtsausschuss des Kongresses dagegen ausgesprochen hatte, wird in Guatemala über einen umstrittenen Gesetzentwurf entschieden: Am 17. Januar nahm der Kongress in erster Lesung den Entwurf 5377 an, der eine Reform des Nationalen Versöhnungsgesetzes vorsieht. Bisher werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die während des internen bewaffneten Konflikts begangen wurden, geahndet. Das Nationale Versöhnungsgesetz schließt solche Verbrechen von einer Amnestie aus. Die geplante Gesetzesänderung soll dies jedoch ändern: Er sieht auch für diejenigen eine Amnestie vor, denen Verbrechen wie Völkermord, Folter und Verschwindenlassen vorgeworfen werden. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, würde dies die Aussetzung laufender Ermittlungen zu diesen Verbrechen und die unmittelbare Freilassung bereits verurteilter Personen bedeuten.

Das Gesetz stellt einen schweren Rückschlag für das Recht Tausender von Opfern im Land dar, Wahrheit und Gerechtigkeit für die Gräueltaten zu erlangen, die sie und ihre Familien während des Konflikts erlebt haben. Es verstößt auch gegen die internationale Verpflichtung Guatemalas, schwere Verbrechen zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen.

Die guatemaltekischen Gerichte und der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte haben mehrfach entschieden, dass eine Amnestie für Verbrechen nach dem Völkerrecht nicht mit den Menschenrechtsverpflichtungen der Staaten vereinbar ist. Zahlreiche internationale Menschenrechtsgremien und -organisationen, darunter die Interamerikanische Menschenrechtskommission und die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, haben den Gesetzentwurf daher verurteilt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Der Gesetzentwurf 5377 wurde von dreizehn Kongressangehörigen unterzeichnet und im November 2017 vom Kongressabgeordneten Fernando Linares Beltranena eingebracht. Er soll die Artikel 2, 4 und 8 des Nationalen Versöhnungsgesetzes aufheben und die Artikel 1, 5 und 11 ändern. Die Folge wäre eine allgemeine Amnestie für Straftaten, die im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen in Guatemala begangen wurden – somit würden auch schwere Verbrechen nach dem Völkerrecht nicht mehr geahndet werden.

Nach Angaben der Kommission für historische Aufklärung, die zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen während des internen bewaffneten Konflikts (1960-1996) eingerichtet wurde, wurden während der Auseinandersetzungen etwa 200.000 Menschen getötet oder Opfer des Verschwindenlassens. 93 % der begangenen Menschenrechtsverletzungen wurden staatlichen Kräften und verwandten paramilitärischen Gruppen und 3 % aufständischen Gruppen zugeschrieben.

Nach jahrzehntelanger Straflosigkeit wurden ab 2008 mindestens 30 ehemalige Militärangehörige, Militärbeauftragte und ehemalige Mitglieder paramilitärischer Zivilschutzpatrouillen unter dem Völkerrecht für Verbrechen wie Folter, Verschwindenlassen, außergerichtliche Hinrichtungen, sexualisierte Gewalt und sexuelle Sklaverei verurteilt. Eine Verabschiedung des Gesetzentwurfs hätte die unmittelbare Freilassung aller bereits verurteilten Personen sowie die Aussetzung aller laufenden Ermittlungen zur Folge. 

Die vorgeschlagene Reform wurde in erster Lesung bereits angenommen. Um rechtskräftig zu werden, muss der Gesetzentwurf zwei weitere Lesungen durchlaufen und Artikel für Artikel genehmigt werden. Die zweite Lesung könnte bereits in den nächsten Wochen anberaumt werden.