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Protestierende vor Gericht
Proteste der Regenschirm-Bewegung in der Nähe der Regierungsgebäude in Hongkong, China, im September 2014
© AFP/Getty Images
Neun Anführer_innen der Proteste der Hongkonger Regenschirm-Bewegung für mehr Demokratie von 2014 stehen wegen drei vage formulierter Straftaten unter Anklage. Ihnen droht jeweils eine Höchststrafe von sieben Jahren Gefängnis. Die anhaltende Strafverfolgung von bekannten Mitgliedern der Regenschirm-Bewegung hat negative Auswirkungen auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Hongkong.
Appell an
Teresa Cheng, Department of Justice
Secretary for Justice’s Office
5th floor, Main Wing, Justice Place
18 Lower Albert Road, Central
Hong Kong, CHINA
Sende eine Kopie an
Präsident des Legislativrats von Hongkong
Andrew Leung
Legislative Council, Legislative Council Complex
1 Legislative Council Road, Central
Hong Kong, CHINA
Fax: (00 852) 2537 1851
E-Mail: pid@legco.gov.hk
Botschaft der Volksrepublik China
S. E. Herrn Mingde Shi
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin
Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail: de@mofcom.gov.cn
Amnesty fordert:
- Bitte lassen Sie die Anklagen gegen die neun Anführer_innen der Kampagne "Occupy Central with Love and Peace" und der Regenschirm-Bewegung fallen, da die einzige Grundlage für die Anklagen die Wahrnehmung der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung ist.
- Beenden Sie die politisch motivierte Strafverfolgung von friedlichen Protestierenden, die einzig darauf abzielt, die Teilnahme an friedlichen Versammlungen zu verhindern und kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.
- Bitte überarbeiten Sie das Gesetz für öffentliche Ordnung, sodass es den internationale Menschenrechtsnormen und -standards entspricht und somit die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit respektiert und schützt.
Sachlage
Am 19. November wird das Gerichtsverfahren im Fall der neun angeklagten Anführer_innen der Regenschirm-Bewegung beginnen und voraussichtlich 20 Tage dauern. Drei von ihnen ("das Trio") sind Mitbegründer der "Occupy Central with Love and Peace"-Kampagne, die als späterer Teil der Regenschirm-Bewegung insbesondere den Finanz- und Regierungsbezirk Central besetzte. Der Kampagne ging es darum, durch zivilen Ungehorsam freie und demokratische Wahlen für den Posten der Regierungschefin bzw. des Regierungschefs von Hongkong einzufordern. Angeklagt sind: der Professor der Rechtswissenschaft Benny Tai Yiu-ting, der Soziologieprofessor Chan Kin-man und der pensionierte Pastor Chu Yiu-ming. Die anderen sechs Angeklagten sind die Studentensprecher Tommy Cheung Sau-yin und Eason Chung Yiu-wah, die Abgeordneten Tanya Chan und Shiu Ka-chun, sowie die führenden Politiker Raphael Wong Ho-ming und Lee Wing-tat. Nachdem zuletzt im Jahr 2017 drei studentische Sprecher_innen inhaftiert worden waren, ist dies der jüngste Fall von Strafverfolgung im Zusammenhang mit der Regenschirm-Bewegung.
Den neun Beschuldigten werden drei Anklagen im Zusammenhang mit der Erregung öffentlichen Ärgernisses zur Last gelegt. Als Grundlage dient dabei ihre friedliche Beteiligung an der Regenschirm-Bewegung: Sie haben Protestierende in verschiedene Straßen rund um das Regierungsviertel geleitet und über Lautsprecher sowie per Telefonaten und Textnachrichten weitere Personen zur Teilnahme an der Protestveranstaltung aufgerufen.
Eine Verurteilung der neun Protestierenden könnte weitreichende Folgen haben. Die Regierung Hongkongs könnte einen solchen Schuldspruch als Präzedenzfall heranziehen, um weitere Protestierende der Regenschirm-Bewegung strafrechtlich zu verfolgen, obwohl diese lediglich ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung wahrgenommen haben.
Hintergrundinformation
Die Behörden von Hongkong haben seit Beginn der Regenschirm-Bewegung im Jahr 2014 viele friedliche Protestierende festgenommen, meistens auf Grundlage von vage formulierten Anklagepunkten wie "rechtswidrige Versammlung", "nicht genehmigte Versammlung" und "Störung der öffentlichen Ordnung" unter dem Gesetz für öffentliche Ordnung. Der Inhalt und die Anwendung dieses Gesetzes sind vom UN-Menschenrechtsausschuss wiederholt kritisiert worden, weil es den internationalen Menschenrechtsabkommen und ‑normen zum Recht auf friedliche Versammlung nicht vollständig entspricht.
Bis zum Ende der Proteste, die insgesamt 79 Tage dauerten, hatte die Regierung 955 Teilnehmer_innen festnehmen lassen, und 48 weitere nachdem die Veranstaltung bereits beendet war. Viele von ihnen kamen nach kurzer Zeit wieder frei, allerdings wurden sie von der Polizei darüber informiert, dass die Ermittlungen gegen sie weiterlaufen und dass sie, sollte das Beweismaterial für ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren ausreichen, erneut festgenommen und angeklagt würden. Das Vorgehen, viel Zeit zwischen der ursprünglichen Festnahme und der Entscheidung über eine strafrechtliche Verfolgung verstreichen zu lassen, hat dazu geführt, dass erst eine kleine Anzahl von Protestierenden vor Gericht gestellt wurde.
Da prominente Mitglieder der Regenschirm-Bewegung auch nach unangemessenen Verzögerungen plötzlich strafverfolgt werden, leben Hunderte Protestierende in Unsicherheit, da sie nicht wissen, ob die Regierung auch sie anklagen wird oder nicht. Diese Unsicherheit, gepaart mit vage formulierten Anklagen und harten Strafen, hat eine abschreckende Wirkung auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Hongkong.
Drei Protestierende wurden im Juli 2016 verurteilt, nachdem sie am 26. September 2014 im Rahmen der Proteste der Regenschirm-Bewegung auf den "Civic Square", einen Versammlungsplatz vor dem Hauptsitz der Regierung, vorgedrungen waren. Joshua Wong, Alex Chow und Nathan Law wurden für schuldig befunden, an einer rechtswidrigen Versammlung teilgenommen beziehungsweise andere zur Teilnahme an einer rechtswidrigen Versammlung angestiftet zu haben. Das Gericht hatte ursprünglich keinen Freiheitsentzug als Strafe vorgesehen, aber die Staatsanwaltschaft legte Rechtsmittel ein und forderte härtere Strafen. Daraufhin wurden die drei Studentensprecher im August 2017 zu sechs bis acht Monaten Gefängnis verurteilt. Sie wurden inhaftiert, kamen aber im Oktober bzw. November 2017 gegen Kaution frei. Im darauffolgenden Rechtsmittelverfahren im Februar 2018 hob das Gericht die Freiheitsstrafen schließlich auf.