Anwalt erhebt Foltervorwürfe

Portrait eines Mannes mittleren Alters, der in die Kamera lacht

Der Menschenrechtsanwalt Ding Jiaxi

Der ehemalige Menschenrechtsanwalt Ding Jiaxi ist seit dem 26. Dezember 2019 inhaftiert – bisher ohne Kontakt zur Außenwelt. Jetzt durfte er zum ersten Mal per Videoanruf mit seinem Rechtsbeistand sprechen. In zwei Gesprächen berichtete Ding Jiaxi, dass er während seiner Zeit unter "häuslicher Überwachung an einem dafür vorgesehenen Ort" gefoltert wurde. Außerdem beschrieb er die unerträglichen Haftbedingungen, denen er derzeit in einem Haftzentrum ausgesetzt ist. Inzwischen wurden die Vorwürfe gegen ihn verschärft: wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" droht ihm im Falle einer Verurteilung eine lebenslange Haftstrafe.

Appell an

Generalstaatsanwalt von Linyi Shi

Wang Qinjie

People Procuratorate of Linyi Shi


Jiefang East Road, Hedong Qu

Linyi Shi
, Shandong Sheng, 276034

VOLKSREPUBLIK CHINA

Sende eine Kopie an

Botschaft der Volksrepublik China

S. E. Herrn Ken Wu


Märkisches Ufer 54

10179 Berlin


Fax: 030-27 58 82 21

E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com

 

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie Ding Jiaxi bitte umgehend und bedingungslos frei, es sei denn es existieren glaubwürdige und zulässige Beweise dafür, dass er eine international als Straftat anerkannte Handlung begangen hat, und er erhält ein Verfahren, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass er bis zu seiner Freilassung regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu seiner Familie und Rechtsbeiständen seiner Wahl erhält, und dass er nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt wird.
  • Gewähren Sie ihm bitte außerdem auf Wunsch oder bei Bedarf sofortigen, regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung.

Sachlage

Der ehemalige Menschenrechtsanwalt Ding Jiaxi (丁家喜) ist seit 26. Dezember 2019 in Haft. Zunächst wurde ihm "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" vorgeworfen, doch die Volksstaatsanwaltschaft von Linyi Shi teilte seinem Rechtsbeistand am 20. Januar mit, dass die Anklage gegen seinen Mandanten in "Untergrabung der Staatsgewalt" (颠覆国家政权) geändert worden sei. Außerdem besteht angesichts der bisherigen Behandlung von Ding Jiaxi große Sorge, dass ihm weitere Folter und andere Misshandlungen drohen könnten.

Nach über einem Jahr ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft konnte Ding Jiaxi am 21. Januar und 4. Februar per Videoanruf mit seinem Rechtsbeistand sprechen. Doch die Berichte über seine Zeit unter "häuslicher Überwachung an einem dafür vorgesehenen Ort" sind erschütternd.

Ding Jiaxi erzählte seinem Rechtsbeistand, dass er stundenlangen Verhören ausgesetzt war. Er sei an eine Vorrichtung gefesselt gewesen, die als "Tigerstuhl" bekannt ist, außerdem hätte er sich nicht waschen dürfen. Auch seine derzeitigen Haftbedingungen im Gefängnis von Linshu seien unerträglich. Er habe keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und der Zustand seiner Zähne habe sich dramatisch verschlechtert.

Ding Jiaxi ist in Haft, weil er friedlich sein Recht auf Versammlung wahrgenommen hat. Die Berichte sowohl über die Folter und Misshandlungen, denen er unter "häuslicher Überwachung an einem dafür vorgesehenen Ort" ausgesetzt war, als auch über seine aktuellen Haftbedingungen verstärken die Sorge um sein gegenwärtiges und zukünftiges Wohlergehen erheblich.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Ding Jiaxi gehörte zu den vielen Rechtsbeiständen und Aktivist_innen, die im Dezember 2019 an einem informellen Treffen in Xiamen, einer Stadt an der Südostküste, teilnahmen. Viele der Teilnehmer_innen waren aktiv an der Neuen Bürgerbewegung beteiligt, einem Netzwerk, das sich in den 2010er-Jahren friedlich für mehr Transparenz in der Regierung und ein Ende der Korruption einsetzte. Auf dem Treffen wurden das Zeitgeschehen und die aktuelle Lage für die Zivilgesellschaft in China besprochen. Seit dem 26. Dezember 2019 lädt die Polizei im ganzen Land Teilnehmende dieses Treffens vor oder nimmt sie fest.

Nachdem Ding Jiaxi am 26. Dezember 2019 festgenommen worden war, wurde er über ein Jahr ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Im Juni 2020 erhielt die Familie von Ding Jiaxi einen Haftbefehl von der Polizei von Linyi in der Provinz Shandong, in dem es hieß, dass Ding Jiaxi wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" in Haft genommen worden sei. Im Dezember 2020 hieß es, dass seine Haftzeit erneut verlängert worden sei, da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen wären (长侦查期) – diesmal bis zum 19. Januar 2021.

Am 20. Januar informierte die Staatsanwaltschaft den Rechtsbeistand von Ding Jiaxi darüber, dass die Anklage gegen seinen Mandanten in "Untergrabung der Staatsgewalt" geändert worden sei. Falls Ding Jiaxi als "Rädelsführer" der ihm vorgeworfenen Aktivitäten eingestuft wird, droht ihm im Falle einer Verurteilung eine lebenslange Haftstrafe. Es wurde noch kein Verhandlungstermin festgelegt und Ding Jiaxi hat nach wie vor keinen Zugang zu seinen Familienmitgliedern.

Ding Jiaxi ist ein ehemaliger Menschenrechtsanwalt aus Peking, der aktiv an der Neuen Bürgerbewegung beteiligt war. Er machte sich für die Rechte der Kinder von Arbeitsmigrant_innen stark und forderte Transparenz in der Regierung. Im April 2014 wurde er wegen "Versammlung einer Menschenmenge, um die öffentliche Ordnung zu stören" zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Im Jahr 2018 hinderte man ihn daran, einen Flug in die USA anzutreten, wo seine Frau und seine Tochter leben. 2019 verboten ihm die Behörden, nach Hongkong zu reisen, da er "die nationale Sicherheit und die nationalen Interessen gefährden" könnte.

Im März 2020 äußerten sich UN-Menschenrechtsexpert_innen besorgt über das Verschwinden von Ding Jiaxi.

Seit 2015 gehen die chinesischen Behörden scharf gegen Rechtsbeistände und Aktivist_innen vor. Sie berufen sich seither systematisch auf Gesetze zum Schutz der nationalen Sicherheit, die äußerst vage Bestimmungen enthalten, um Anwält_innen, Wissenschaftler_innen, Journalist_innen, Aktivist_innen und NGO-Mitarbeiter_innen strafrechtlich zu verfolgen. Zu den Anklagepunkten zählen zum Beispiel "Untergrabung der Staatsgewalt" und "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt".