Anwalt unter Anklage

Portrait eines Mannes mittleren Alters, der in die Kamera lacht

Der Menschenrechtsanwalt Ding Jiaxi

Die Inhaftierung des ehemaligen Menschenrechtsanwalts Ding Jiaxi, der seit mehr als sechs Monaten ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten wird, wurde am 19. Juni offiziell bestätigt. Ihm wird "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" zur Last gelegt. Ding Jiaxi war gemeinsam mit anderen Menschenrechtler_innen am 26. Dezember 2019 nach der Teilnahme an einem Treffen in Xiamen von der Polizei festgenommen worden. Er wird in geheimer Haft gehalten und hat weder Zugang zu seiner Familie noch zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl. Ihm drohen daher Folter und andere Misshandlungen.

Appell an

Director Li Dengquan

Linyi Shi Public Security Bureau

7 Shanghai Lu, Lanshan Qu

Linyi Shi, Shandong Sheng

VOLKSREPUBLIK CHINA

 

Sende eine Kopie an

Botschaft der Volksrepublik China

S. E. Herrn Ken Wu

Märkisches Ufer 54

10179 Berlin


Fax: 030-27 58 82 21


E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie Ding Jiaxi bitte umgehend und bedingungslos frei, es sei denn es existieren glaubwürdige und zulässige Beweise dafür, dass er eine international als Straftat anerkannte Handlung begangen hat, und er erhält ein Verfahren, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass er bis zu seiner Freilassung regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu seiner Familie und Rechtsbeiständen seiner Wahl erhält, und dass er nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt wird.
  • Beenden Sie die Schikane und Festnahme anderer Menschenrechtler_innen, die lediglich friedlich ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit sowie andere Menschenrechte wahrnehmen.

Sachlage

Der ehemalige Menschenrechtsanwalt Ding Jiaxi (丁家喜) ist wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" (颠覆国家政权罪) angeklagt worden, weil er friedlich sein Recht auf Vereinigungsfreiheit wahrgenommen hat. Er wird seit mehr als sechs Monaten ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten, was auch bedeutet, dass er keinen Kontakt zu seiner Familie oder Rechtsbeiständen seiner Wahl hat.

Ding Jiaxi war gemeinsam mit anderen Menschenrechtler_innen am 26. Dezember 2019 nach der Teilnahme an einem informellen Treffen in Xiamen von der Polizei festgenommen und inhaftert worden. Während andere festgenommene Personen Mitte Juni gegen Kaution freigelassen wurden, erließ man am 19. Juni offiziell Haftbefehl gegen Ding Jiaxi.

Die Festnahme und Inhaftierung von Ding Jiaxi und der anderen Menschenrechtsverteidiger_innen, die an dem Treffen in Xiamen teilgenommen hatten, widerspricht internationalen Menschenrechtsnormen und verstößt u. a. gegen die Rechte auf Freiheit und Vereinigungsfreiheit. Am 23. März 2020 zeigten sich Menschenrechtsexpert_innen der Vereinten Nationen äußerst besorgt um Ding Jiaxi und zwei weitere Menschenrechtler, die nach dem Treffen in Xiamen dem Verschwindenlassen zum Opfer fielen. Die UN-Expert_innen sahen es als besorgniserregend an, dass die chinesische Regierung nach wie vor Gesetze über die nationale Sicherheit anwendet, um Menschenrechtler_innen ins Visier zu nehmen, die friedlich von ihrem Recht auf Vereinigungsfreiheit und anderen Rechten Gebrauch machen.

Ding Jiaxi wird weiterhin ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Seine Familie und sein Rechtsbeistand haben keinerlei Möglichkeit, seinen körperlichen und psychischen Zustand zu überprüfen. Aufgrund fehlender Schutzmechanismen drohen ihm unmittelbar Folter und andere Formen der Misshandlung.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Ding Jiaxi, Dai Zhenya und Zhang Zhongshun gehörten zu den vielen Rechtsbeiständen und Aktivist_innen, die im Dezember 2019 an einem informellen Treffen in Xiamen, einer Stadt an der Südostküste, teilnahmen. Viele der Teilnehmer_innen waren aktiv an der Neuen Bürgerbewegung beteiligt, einem Netzwerk, das sich in den 2010er-Jahren friedlich für mehr Transparenz in der Regierung und ein Ende der Korruption einsetzte. Auf dem Treffen wurden das Zeitgeschehen und die aktuelle Lage für die Zivilgesellschaft in China besprochen. Seit dem 26. Dezember 2019 lädt die Polizei im ganzen Land Teilnehmende dieses Treffens vor oder nimmt sie fest.

Dai Zhenya und Zhang Zhongshun wurden am 18. Juni gegen Kaution aus der Haft entlassen. Am 19. Juni erhielt die Familie von Ding Jiaxi einen Haftbefehl von der Polizei von Linyi in der Provinz Shandong, in dem es hieß, dass Ding Jiaxi wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" in Haft genommen worden sei. Er wird derzeit in der Hafteinrichtung von Linyi festgehalten. Laut Angaben seiner Ehefrau befindet sich Ding Jiaxi nun in Quarantäne und hat immer noch keinen Kontakt zu seinem Rechtsbeistand. Es ist nicht bekannt, ob er nach seiner Quarantäne Kontakt mit dem Rechtsbeistand aufnehmen darf.

Ding Jiaxi ist ein ehemaliger Menschenrechtsanwalt aus Peking, der aktiv an der Neuen Bürgerbewegung beteiligt war. Er machte sich für die Rechte der Kinder von Arbeitsmigrant_innen stark und forderte Transparenz in der Regierung. Im April 2014 wurde er wegen "Versammlung einer Menschenmenge, um die öffentliche Ordnung zu stören" zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Im Jahr 2018 hinderte man ihn daran, einen Flug in die USA anzutreten, wo seine Frau und seine Tochter leben. 2019 verboten ihm die Behörden, nach Hongkong zu reisen, da er "die nationale Sicherheit und die nationalen Interessen gefährden" könnte.

Im März 2020 kritisierten die Menschenrechtsexpert_innen der Vereinten Nationen zudem den Einsatz der "Überwachung an einem dafür vorgesehenen Ort" in China – eine Maßnahme, mit der strafrechtliche Ermittler_innen Personen unter bestimmten Umständen für bis zu sechs Monate außerhalb des formellen Haftsystems festhalten können. Dies kann unter bestimmten Umständen einer Form der geheimen Haft ohne Kontakt zur Außenwelt gleichkommen. Diese Art der Haft wird benutzt, um die Aktivitäten von Menschenrechtsverteidiger_innen, darunter Rechtsbeistände, Aktivist_innen und Religionsausübende, einzuschränken.

Seit 2015 gehen die chinesischen Behörden scharf gegen Rechtsbeistände und Aktivist_innen vor. Sie berufen sich seither systematisch auf Gesetze zum Schutz der nationalen Sicherheit, die äußerst vage Bestimmungen enthalten, um Anwält_innen, Gelehrte, Journalist_innen, Aktivist_innen und NGO-Mitarbeiter_innen strafrechtlich zu verfolgen. Zu den Anklagepunkten zählen zum Beispiel "Untergrabung der Staatsgewalt" und "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt".