Afghanistan: Bildungsaktivist willkürlich festgenommen

Ein Mann mit Mikrofon in der Hand steht vor einer Gruppe Schülerinnen mit Kopftuch, die vor ihm auf dem Boden sitzen. Neben dem Mann steht ein Anhänger mit Bücher und aufgeklappten Tafeln, auf denen unter anderem steht: Education is the key to success.

+++ Update 07.11.2023: Matiullah Wesa wurde freigelassen! Vielen Dank für euren Einsatz! +++ Der Bildungsaktivist Matiullah Wesa kam gerade vom Abendgebet aus der Moschee, als er am 27. März von Angehörigen des Geheimdienstes willkürlich festgenommen wurde. Bei einer Hausdurchsuchung am Folgetag wurden sein privates Handy und sein Laptop beschlagnahmt. Am 29. März bestätigte ein Sprecher der Taliban seine Festnahme und beschuldigte ihn illegaler Aktivitäten. Seine Familie durfte ihn bisher nicht besuchen, außerdem gibt es keine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung anzufechten.

Appell an

Mr. Abdul Haq Wasiq
Director of Intelligence
General Directorate of Intelligence
Chaharahi Zanbaq
Kabul
AFGHANISTAN

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, Matiullah Wesa umgehend und bedingungslos freizulassen.
  • Bitte respektieren Sie das Übereinkommen gegen Diskriminierung im Bildungswesen, indem Sie Mädchen aller Altersgruppen unverzüglich den Schulbesuch und/oder eine Ausbildung ermöglichen. Dabei darf es keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben.
  • Darüber hinaus fordere ich Sie auf, Entführungen, willkürliche Festnahmen und Folter von Personen, die sich friedlich für das Recht auf Bildung einsetzen, unverzüglich einzustellen.

Sachlage

Die willkürliche Festnahme von Matiullah Wesa gibt Anlass zu großer Sorge. Der Bildungsaktivist ist Gründer und Leiter der Nichtregierungsorganisation PenPath, die sich für das Recht auf Bildung in Afghanistan einsetzt und in der rund 3000 Freiwillige tätig sind. Er hat allein sein Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung wahrgenommen. Matiullah Wesa kam gerade vom Abendgebet aus der Moschee, als er am 27. März von Angehörigen des Allgemeinen Geheimdienstes der Taliban (General Directorate of Intelligence, GDI) festgenommen wurde. Am nächsten Tag durchsuchte der GDI das Haus des Aktivisten. Die Geheimdienstangehörigen beschlagnahmten nicht nur seinen Laptop und sein Handy, sondern hielten darüber hinaus Matiullah Wesas Brüder stundenlang fest, weil sie dessen Festnahme in den Medien publik gemacht und sich an die internationale Gemeinschaft gewandt hatten. Am 29. März bestätigte ein Taliban-Sprecher, dass Matiullah Wesa inhaftiert sei und dass gegen ihn ermittelt werde. Er wird illegaler Aktivitäten beschuldigt und hat weder Zugang zu seiner Familie noch die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung anzufechten. Die Festnahme von Matiullah Wesa ist ein klarer Verstoß gegen die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung gemäß internationaler Menschenrechtsnormen, darunter der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dessen Vertragsstaat Afghanistan ist.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Matiullah Wesa ist Gründer und Leiter der Nichtregierungsorganisation PenPath, die sich insbesondere in abgelegenen Regionen und Provinzen Afghanistans für das Recht auf Bildung einsetzt, wobei der Schwerpunkt auf der Bildung von Mädchen liegt. Rund 3000 Freiwillige sind für PenPath aktiv. Die Organisation führt Freiwilligenprogramme zur Förderung der Menschenrechte und des Zugangs von Mädchen zu Bildung durch.

Zunächst arbeiteten Matiullah Wesa und seine Kolleg*innen im Rahmen von PenPath mit Religionsgelehrten und Stammesältesten zusammen, um die Unterstützung der örtlichen Gemeinschaften für die Bildung aller Kinder zu gewinnen. Sie richteten Schulen in Dörfern ein, in denen es keine staatlichen Bildungseinrichtungen gab, und schickten mobile Schulen und Bibliotheken in die entlegensten Gebiete des Landes.

Seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan im Sommer 2021 haben die militant-islamistischen Taliban die Rechte von Frauen und Minderheiten massiv eingeschränkt. Mädchen dürfen nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen, der Besuch einer Universität ist ihnen seit dem vergangenen Jahr verboten. Matiullah Wesa führte wiederholt öffentliche Kampagnen und Versammlungen durch, in denen er von den Taliban die Wiedereröffnung von Bildungseinrichtungen für Mädchen und Frauen forderte. Der Aktivist ist in der afghanischen Öffentlichkeit bekannt, da er vom Verlauf seiner Kampagnen und seines Engagements berichtete und Fotos und Videos von Protesten öffentlich teilte. Er betonte unentwegt die Bedeutung von Bildung für Mädchen und die Notwendigkeit der sofortigen Wiedereröffnung von Mädchenschulen. Auch nach islamischem Recht hätten Mädchen und Frauen ein Recht auf Bildung. Nach seiner willkürlichen Festnahme reisten zahlreiche Gemeindeälteste aus ganz Afghanistan nach Kabul, um die Taliban um Matiullah Wesas Freilassung zu bitten. Bisher blieb jede Reaktion aus.

Es ist zu befürchten, dass alle PenPath-Mitarbeiter*innen und Freiwilligen, die sich – in öffentlichen Kampagnen, mit friedlichen Protesten oder in der Lobbyarbeit – für die Bildung von Mädchen eingesetzt haben, gefährdet sind. Falls Matiullah Wesa nicht freigelassen wird, fürchten sie, selbst festgenommen zu werden. Deswegen sind viele von ihnen untergetaucht und haben ihre Social Media-Konten gelöscht. Matiullah Wesa ist nicht die erste Person, die vom GDI der Taliban willkürlich festgenommen wurde. Es gibt zahlreiche weitere Betroffene, darunter Journalist*innen, Frauenrechtsaktivist*innen und Akademiker*innen, die gegen die drakonische Politik der Taliban protestiert und sie öffentlich kritisiert hatten. Das Schicksal dieser festgenommenen Dissident*innen bleibt unbekannt.

Der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Afghanistan, Richard Bennett, dokumentierte in seinem zweiten Bericht an den UN-Menschenrechtsrat wie schnell der Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft in Afghanistan schrumpft. Menschenrechtsverteidiger*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Journalist*innen sind einem enormen Druck ausgesetzt. Richard Bennett stellte in seinem Bericht fest, dass die Behörden die Einschränkungen und die Überwachung von Menschenrechtsverteidiger*innen massiv verschärft haben. Mit Mitteln wie Drohanrufen, Hausbesuchen, körperlichen und verbalen Angriffen sowie willkürlichen Festnahmen sollen Kritiker*innen eingeschüchtert werden. Dieses Klima sorge für ein weit verbreitetes Gefühl von Angst und Verzweiflung. Der Sonderberichterstatter hat ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und des Schutzes von Menschenrechtsverteidiger*innen geäußert. Diese wechseln aus Angst vor den Taliban und vor deren Drohungen regelmäßig ihren Aufenthaltsort. In dem Bericht sind auch mehrere Durchsuchungen von Räumlichkeiten zivilgesellschaftlicher Organisationen dokumentiert. Dabei hätten die Taliban die Herausgabe von Namen und Kontaktdaten der Mitarbeiter*innen und ihnen nahestehenden Personen sowie manchmal auch von deren Familienangehörigen gefordert.