Ägypten: Journalist erhebt schwere Foltervorwürfe
Diese Urgent Action ist beendet
Am 24. April wurde der Journalist Mohamed Salah von den ägyptischen Behörden auf freien Fuß gesetzt. Er war fast zweieinhalb Jahre willkürlich und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Haft. Er wurde nur aufgrund der friedlichen Ausübung seiner Menschenrechte festgehalten.

Polizisten gehen in Kairo gegen Demonstrierende vor (Dezember 2017)
© REUTERS/Mohamed Abd El Ghany
Der Journalist Mohamed Salah ist seit 20 Monaten willkürlich in Haft. Weder eine Anklage noch ein Gerichtsprozess liegen seiner Inhaftierung zugrunde. Nachdem das Gericht seine Freilassung anordnete, erhob die Staatsanwaltschaft in einem neuen Fall haltlose "Terrorismus"-Vorwürfe gegen ihn – und er blieb in Haft. Obwohl der Journalist angab, dass er im Dezember 2020 auf einer Polizeiwache geschlagen worden sei, wurde keine Untersuchung der Vorwürfe eingeleitet. Mohamed Salah war im November 2019 mit zwei weiteren Journalist_innen, dem Ehepaar Solafa Magdy und Hossam el-Sayed, festgenommen worden. Solafa Magdy und Hossam el-Sayed wurden am 14. April 2021 vorerst aus der Haft freigelassen – doch das Ermittlungsverfahren gegen sie ist anhängig.
Appell an
Public Prosecutor Hamada al-Sawi
Office of the Public Prosecutor
Madinat al-Rehab, Cairo
ÄGYPTEN
Sende eine Kopie an
Botschaft von Ägypten
S.E. Herrn Khaled Mohamed Galaleldin Abdelhamid
Stauffenbergstraße 6 – 7
10785 Berlin
Fax: 030-477 1049
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de
Amnesty fordert:
- Ich fordere Sie höflich auf, Mohamed Salah umgehend und bedingungslos freizulassen, da er nur deshalb strafrechtlich verfolgt wird, weil er friedlich seine Menschrechte wahrgenommen hat.
- Leiten Sie bitte sofort eine unabhängige, unparteiische und effektive Untersuchung von Mohamed Salahs Vorwürfen über Misshandlungen auf der Polizeiwache von Dar es-Salam ein, die möglicherweise den Tatbestand der Folter erfüllen.
- Bitte stellen Sie sicher, dass er bis zu seiner Freilassung regelmäßigen Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung und Kontakt zu seinen Rechtsbeiständen und seiner Familie erhält. Mohamed Salah muss vor weiterer Folter und Misshandlung geschützt werden.
Sachlage
Es besteht große Sorge um den Journalisten Mohamed Salah. Er war am 26. November 2019 im Fall Nr.488/2019, der im Zusammenhang mit den Anti-Regierungsprotesten vom März 2019 steht, willkürlich inhaftiert worden. Am 19. Juli 2020 ordnete ein Gericht seine Freilassung an, woraufhin er am 23. Juli 2020 zur Vorbereitung seiner Haftentlassung auf die Polizeiwache des Stadtteils Dar es-Salam in Kairo überstellt wurde. Doch am 23. August 2020 ordnete die Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit (Supreme State Security Prosecution – SSSP) seine Inhaftierung im Zusammenhang mit einem neuen Fall (Nr. 855/2020) haltloser "Terrorismus"-Vorwürfe gegen ihn an.
Angaben seiner Familie zufolge wurden ihm seit seiner Verlegung auf die Polizeiwache am 23. Juli 2020 bis zum 28. Dezember 2020 keine Besuche gestattet. Erst nachdem seine Angehörigen im Dezember 2020 mehrere Bitten und Beschwerden beim ägyptischen Kabinett eingereicht hatten, wurde ihnen ein Besuch von wenigen Minuten erlaubt. Nachdem weitere Angehörige seiner Zellengenossen dem Beispiel folgten und ähnliche Beschwerden einreichten, wurde Mohamed Salah am 8. Januar 2021 mit 13 Mitgefangenen auf die Polizeiwache in Dar es-Salam gebracht. Dort zogen Sicherheitskräfte die 14 Inhaftierten der Zelle Nr. 6 nackt aus, hängten sie an den Füßen auf und schlugen mit Schlagstöcken und Wasserrohren auf sie ein – vermutlich als Vergeltungsakt für die eingereichten Beschwerden der Angehörigen. Des Weiteren beschlagnahmten die Sicherheitskräfte ihre Decken und fluteten die Gefängniszelle mit kaltem Wasser. Man verweigerte ihnen jegliche medizinische Versorgung, sogar für die Verletzungen, die ihnen bei der körperlichen Misshandlung durch die Sicherheitskräfte zugefügt worden waren. Am 10. Januar wurde Mohamed Salah ins Tora-Gefängnis nach Kairo verlegt, jedoch wurden ihm Besuche seiner Familie bis Ende März 2021 verweigert. Verlässliche Quellen berichteten, dass sich die Wunden von Mohamed Salah entzündet hatten und seine zerrissene Kleidung mit Blut bedeckt war, als er ins Gefängnis verlegt worden war. Zwar wurde der Journalist im Gefängniskrankenhaus notdürftig behandelt – so erhielt er einen Verbandswechsel – doch die Behörden ignorierten die Bitte seiner Rechtsbeistände und Familienangehörigen, ihn zur Dokumentation seiner Verletzungen rechtsmedizinisch untersuchen zu lassen.
Hintergrundinformation
Solafa Magdy, Hossam el-Sayed und Mohamed Salah sind freie Journalist_innen, die für verschiedene Medienanstalten arbeiten. Gegen sie ermittelt die Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit (Supreme State Security Prosecution – SSSP) im Fall Nr. 488/2019, der im Zusammenhang mit den Anti-Regierungsprotesten vom März 2019 steht. Die SSSP ist für die Verfolgung von Straftaten zuständig, die sich auf die "Staatssicherheit" beziehen. Solafa Magdy und Hossam el-Sayed wurden am 14. April vorzeitig aus der Haft entlassen, doch das Ermittlungsverfahren gegen sie ist anhängig. Solafa Magdy und Mohamed Salah sehen sich den konstruierten Anklagen "Beitritt zu einer terroristischen Organisation" und "Verbreitung falscher Nachrichten" gegenüber, während Hossam el-Sayed der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation" beschuldigt wird.
Die Vorwürfe in dem neuen Fall (Nr. 855/2020) gegen Mohamed Salah lauten "Beitritt zu einer terroristischen Organisation", "Verbreitung falscher Nachrichten" und "Missbrauch sozialer Medien". Am 16. März 2021 wurde seine Untersuchungshaft, in seiner Abwesenheit, um weitere 45 Tage verlängert. Der Fall Nr. 855/2020 betrifft auch andere politische Gefangene, die im Zusammenhang mit separaten Ermittlungen wegen ähnlicher unbegründeter "Terrorismus"-Vorwürfe bereits in Untersuchungshaft sitzen – unter ihnen die Menschenrechtsverteidigerin Mahienour el-Masry, die Journalistin Esraa Abdelfattah und der Menschenrechtsanwalt Mohamed el-Baqer.
Nach Informationen von Amnesty International stützte die Staatsanwaltschaft ihre Anschuldigungen gegen Solafa Magdy und die anderen politischen Gefangenen vorwiegend auf Ermittlungsakten des Staatssicherheitsdienstes (NSA), die die Angeklagten und ihre Rechtsbeistände nicht einsehen durften. Seit dem letzten Jahr hat die SSSP vermehrt Entscheidungen von Gerichten oder Staatsanwaltschaften zur Freilassung von Inhaftierten aus verlängerter Untersuchungshaft umgangen, indem sie neue Haftbefehle mit ähnlichen Anschuldigungen erließ.
Seit dem Machtantritt von Präsident Abdel Fattah al-Sisi gehen die Behörden hart gegen unabhängige Berichterstattung vor. Sie haben willkürlich Hunderte von Websites gesperrt, die Büros von mindestens neun Medienanstalten durchsucht und/oder geschlossen und Dutzende Journalist_innen willkürlich inhaftiert. Die Festnahmen von Solafa Magdy, Hossam el-Sayed und Mohamed Salah erfolgten im Zusammenhang mit der Niederschlagung der Anti-Regierungs-Proteste ab September 2019 – der umfassendsten Aktion zur Unterdrückung von Gegenstimmen seit 2014. Amnesty International hat Massenverhaftungen von friedlichen Demonstrierenden, Journalist_innen, Menschenrechtsanwält_innen, Aktivist_innen und Politiker_innen durch ägyptische Sicherheitskräfte zur Unterdrückung von Kritiker_innen und der Verhinderung weiterer Proteste dokumentiert. Im Mai 2021 sitzen mindestens 28 Journalist_innen nur deshalb in Haft, weil sie ihrer legitimen Arbeit nachgegangen sind oder auf ihren persönlichen Seiten in den Sozialen Medien Kritik geäußert haben.
Folter und ähnliche Misshandlungen stellen rechtswidrige Handlungen gemäß dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte dar, zu dessen Vertragsstaaten Ägypten gehört: Jede vorsätzliche Handlung staatlicher Akteure, durch die einer Person "große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden", um ein Geständnis zu erlangen, sie einzuschüchtern oder zu nötigen, sie für eine begangene Tat zu bestrafen, oder auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, stellt Folter dar.
Solafa Magdy war im Frauengefängnis al-Qanater bereits in der Vergangenheit diskriminierender Behandlung ausgesetzt. Unter anderem hinderten die Gefängnisbehörden Solafa Magdys Mutter während der aufgrund der Covid-19-Beschränkungen ausgesetzten Gefängnisbesuche vom 12. bis zum 29. April 2020 daran, ihrer Tochter Geld, Lebensmittel und Hygieneartikel zu schicken. Andere Inhaftierte durften in diesem Zeitraum Pakete von ihren Angehörigen erhalten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Insassinnen des al-Qanater-Gefängnisses konnte Solafa Magdy während der Aussetzung der Gefängnisbesuche zudem keine Briefe senden oder empfangen, sodass sie faktisch ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert war.
Am 1. Februar 2021 veröffentlichte das Innenministerium eine Erklärung, in der die Vorwürfe, Solafa Magdy sei misshandelt worden und befinde sich in einem schlechten Gesundheitszustand, bestritten wurden. In der Erklärung wurde die Muslimbruderschaft beschuldigt, falsche Informationen zu verbreiten. Dem Antrag ihrer Rechtsbeistände, sie zur Untersuchung ihrer Verletzungen in die Gerichtsmedizin zu überweisen, wurde nicht stattgegeben.
Seit dem Machtantritt von Präsident Abdel Fattah al-Sisi gehen die Behörden hart gegen unabhängige Berichterstattung vor. Sie haben willkürlich Hunderte von Websites gesperrt, die Büros von mindestens neun Medienanstalten durchsucht und/oder geschlossen und Dutzende Journalist_innen willkürlich inhaftiert. Die Festnahmen von Solafa Magdy, Hossam el-Sayed und Mohamed Salah erfolgten im Zusammenhang mit der Niederschlagung der Anti-Regierungs-Proteste ab September 2019 – der umfassendsten Aktion zur Unterdrückung von Gegenstimmen seit 2014. Amnesty International hat Massenverhaftungen von friedlichen Demonstrierenden, Journalist_innen, Menschenrechtsanwält_innen, Aktivist_innen und Politiker_innen durch ägyptische Sicherheitskräfte zur Unterdrückung von Kritiker_innen und der Verhinderung weiterer Proteste dokumentiert.
Folter und andere Misshandlungen sind nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dem Ägypten als Vertragsstaat angehört, verboten. Vorsätzliche Handlungen von Staatsbediensteten, die "erhebliche Schmerzen oder Leiden" zufügen, sei es körperlich oder geistig, zu Zwecken der Bestrafung, Nötigung oder Einschüchterung, zur Erlangung eines "Geständnisses" oder aus jedwedem Grund, der auf Diskriminierung beruht, stellen Folter dar.