Ägypten: Lange Haftstrafen für inhaftiertes Paar

Porträtfoto von Aisha el-Shate, die auf einem Stuhl sitzt und ein Kopftuch trägt und in die Kamera lächelt.

Ist seit November 2018 in Ägypten willkürlich inhaftiert: Aisha el-Shater, Ehefrau des Anwalts Mohamed Abo Horeira und Tochter von Khairat el-Shater, einem führenden Mitglied der Muslimbruderschaft.

Am 5. März 2023 wurden Aisha el-Shater und ihr Ehemann, der Rechtsanwalt Mohamed Abo Horeira, durch ein Staatssicherheitsgericht jeweils zu zehn und 15 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil folgt auf ein grob unfaires Verfahren, das auf konstruierten Vorwürfen aufgrund ihrer familiären Bindungen und der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte basiert. Aisha el-Shater ist der Folter durch die ägyptischen Behörden ausgesetzt, die sie für lange Zeit in Einzelhaft festgehalten haben und ihr den Zugang zu der nötigen medizinischen Versorgung für ihre schwere Erkrankung verwehren. Das Paar darf schon seit mehr als vier Jahren keinen Familienbesuch erhalten. Angesichts alarmierender Berichte über Folter und andere Misshandlungen im Badr-3-Gefängnis, in dem Mohamed Abo Horeira festgehalten wird, besteht immer größere Sorge um sein Wohlergehen.

Appell an

Präsident

Abdelfattah al-Sisi


Office of the President

Al Ittihadia Palace


Cairo

ÄGYPTEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der arabischen Republik Ägypten

S. E. Herrn Khaled Mohamed Galaleldin Abdelhamid

Stauffenbergstraße 6 – 7

10785 Berlin


Fax: 030-477 1049

E-Mail:
embassy@egyptian-embassy.de

Amnesty fordert:

Gern auch per Twitter: @AlsisiOfficial

  • Sorgen Sie bitte dafür, dass Aisha el-Shater, Mohamed Abo Horeira und alle weiteren in Verbindung mit der Egyptian Coordination for Rights and Freedoms verurteilten Personen umgehend und bedingungslos freigelassen und alle Schuldsprüche und Strafen gegen sie aufgehoben werden, da sie lediglich wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte und ihren abweichenden Meinungen verfolgt werden.
  • Stellen Sie zudem sicher, dass sie bis zu ihrer Freilassung regelmäßig mit ihren Rechtsbeiständen und Familienangehörigen kommunizieren können und Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung haben, auch außerhalb des Gefängnisses.

Sachlage

Aisha el-Shater, die Tochter des hochrangigen Muslimbruderschafts-Mitglieds Khairat el-Shater, und ihr Ehemann Mohamed Abo Horeira wurden am 5. März 2023 durch ein Staatssicherheitsgericht (ESSC) zu jeweils zehn und fünfzehn Jahren Haft verurteilt. Sie wurden wegen konstruierter Vorwürfe im Zusammenhang mit ihrer Menschenrechtsarbeit und dem friedlichen Ausdruck ihrer abweichenden Meinungen schuldig gesprochen. Darüber hinaus wurden Ezzat Ghoniem, Gründer der Egyptian Coordination for Rights and Freedoms (ECRF), die Menschenrechtsanwältin Hoda Abdelmoneim und 26 weitere Personen durch das Gericht zu Haftstrafen von fünf Jahren bis zu lebenslanger Haft verurteilt. Lediglich eine der angeklagten Personen wurde freigesprochen. Das Gericht entschied außerdem, alle 30 verurteilten Angeklagten auf die "Terrorismusliste" zu setzen, was zur Folge hat, dass ihre Vermögenswerte eingefroren werden, sie Reiseverboten unterliegen, und sie noch fünf Jahre nach ihrer Entlassung unter Bewährung stehen. Der von den ägyptischen Medien als "ECRF-Fall" bezeichnete Prozess begann am 11. September 2022 und verlief grob unfair. Den Angeklagten wurde das Recht auf eine angemessene Verteidigung, das Recht, sich nicht selbst zu belasten, und das Recht auf eine ernsthafte Überprüfung durch ein übergeordnetes Gericht verwehrt. Nach über vier Jahren in willkürlicher Untersuchungshaft wurden die Angeklagten im August 2022 unter anderem wegen Mitgliedschaft, Finanzierung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (der Muslimbruderschaft) und wegen der Verbreitung "falscher Nachrichten" über Menschenrechtsverletzungen durch die ägyptischen Sicherheitskräfte auf der Facebook-Seite der ECRF angeklagt. Die Urteile der Staatssicherheitsgerichte sind endgültig und nicht anfechtbar.

Aisha el-Shater leidet an aplastischer Anämie, eine seltene und ernste Blutkrankheit. Sie wird seit Dezember 2020 in der Klinik des Frauengefängnisses Al-Qanater festgehalten. Ungeachtet ihrer Krankheit verweigern ihr die Behörden den Zugang zu angemessener und durchgängiger fachärztlicher Behandlung in einem Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses, die sie dringend benötigt. Mohamed Abo Horeira ist im Gefängnis Badr-3 inhaftiert, wo sich Berichte über die Misshandlung von Gefangenen häufen. Seit ihrer Verhaftung im November 2018 haben die Behörden Aisha el-Shater und Mohamed Abo Horeira sowohl Besuche als auch den schriftlichen und telefonischen Kontakt zu ihrer Familie und ihren Rechtsbeiständen verwehrt. Eine derartige Behandlung kommt Folter und anderen Formen der Misshandlung gleich, was völkerrechtlich untersagt ist.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 1. November 2018 wurden Aisha el-Shater und ihr Ehemann Mohamed Abo Horeira bei sich zuhause im Kairoer Stadtteil Nasr City festgenommen. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge wurde Aisha el-Shater daraufhin 20 Tage lang Opfer des Verschwindenlassens; in dieser Zeit wurde sie in der Zentrale des Geheimdiensts im Kairoer Stadtteil Abbasiya festgehalten und mit Schlägen und Elektroschocks gefoltert. Am 21. November 2018 erschien sie vor der Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP), die anordnete, sie basierend auf Terrorismusvorwürfen in Untersuchungshaft zu nehmen. Vor ihrer Festnahme hatte sich Aisha el-Shater auf Facebook zu Menschenrechtsverletzungen in Ägypten geäußert, u. a. zu Verschwindenlassen sowie Folter und anderen Misshandlungen. Mohamed Abo Horeira vertrat bis zu seiner Festnahme Personen, die sich wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft im Gefängnis befanden. Nach seiner Festnahme wurde er fast vier Monate lang an einem unbekannten Ort festgehalten, wo er Drohungen ausgesetzt war und in Handschellen und mit verbundenen Augen auf den Kopf geschlagen wurde. Die Menschenrechtsorganisation Egyptian Coordination for Rights and Freedoms (ECRF), die das Verschwindenlassen von Personen und die Anwendung der Todesstrafe dokumentierte sowie Opfern von Menschenrechtsverletzungen Rechtshilfe leistete, kündigte nach der Festnahme von Aisha el-Shater, Mohamed Abo Horeira und 29 weiteren Menschenrechtsverteidiger*innen und Anwält*innen am 1. November 2018 die Aussetzung ihrer Menschenrechtsarbeit an.

Von Januar 2019 bis Dezember 2020 wurde Aisha el-Shater im Frauengefängnis Al-Qanater in einer kleinen, schlecht belüfteten Zelle ohne Bad in Einzelhaft gehalten. Die aplastische Anämie, an der Aisha el-Shater leidet, ist eine Blutkrankheit, die mit einem erhöhten Risiko für Infektionen und unkontrollierten Blutungen einhergeht. Ungeachtet dessen verweigern ihr die Behörden den Zugang zu angemessener fachärztlicher Behandlung in einem Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses. Die einzige Ausnahme war im Oktober 2019, als sie wegen schwerer Blutungen zweimal in Handschellen in das Al-Qasr al-Ainy-Krankenhaus eingeliefert wurde, um Blutplättchen-Transfusionen zu erhalten. Am 15. Mai 2022 fand eine Anhörung vor einem Staatssicherheitsgericht (ESSC) statt, in der das Gericht anordnete, Aisha el-Shater von drei Ärzt*innen untersuchen zu lassen, um festzustellen, ob sie eine Behandlung außerhalb des Gefängnisses benötigt. Da Aisha el-Shater nicht mit der Außenwelt kommunizieren darf, wissen ihre Familienangehörigen und Rechtsbeistände nicht, ob diese Untersuchung durchgeführt wurde oder nicht.

Seit Februar 2023 besteht vermehrt Grund zur Besorgnis über die grausamen und unmenschlichen Haftbedingungen im Badr-3-Gefängnis, das sich etwa 70 Kilometer östlich von Kairo befindet. Es sind Briefe von dort inhaftierten Personen an die Öffentlichkeit gedrungen, die auf eine Zunahme der Suizidversuche unter den Inhaftierten hindeuten und die Folter und andere Formen der Misshandlung im Gefängnis belegen, u. a. durch die bewusste Verweigerung von medizinischer Versorgung, extreme Kälte, Kameraüberwachung und grelles Licht rund um die Uhr. Die Briefe der Inhaftierten zeichnen ein erschreckendes Bild von hungernden Isolationshäftlingen, deren Verzweiflung über die jahrelang erlittenen Ungerechtigkeiten einige zu Suizidversuchen und andere zu Hungerstreiks veranlasst haben. Darüber hinaus sagten einige Gefangene während einer Online-Anhörung über die Verlängerung ihrer Haft am 13. März 2023 aus, dass sie nackt ausgezogen und geschlagen worden waren. Familienbesuche für Gefangene im Badr-3-Gefängnis werden schon seit der Inbetriebnahme des Gefängniskomplexes Mitte 2022 nicht von den Behörden gestatten. Darüber hinaus ist jeglicher telefonischer oder schriftlicher Kontakt mit der Familie verboten, sodass die Gefangenen praktisch ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten werden. Da die Gefangenen von der Außenwelt abgeschnitten sind, liegen nur wenige Informationen über ihre derzeitige Situation vor und es besteht Grund zur Sorge um ihr Wohlergehen und ihre psychische Gesundheit. Berichten zufolge, werden Bestrafungsmaßnahmen gegen Gefangene verhängt, die sich über diese Behandlung beschweren. Sie werden u. a. an unbekannte Orte verlegt oder in Einzelhaft festgehalten. Die Gefängnisbehörden weigern sich außerdem, Lebensmittel, Kleidung und andere lebenswichtige Dinge, die Familienangehörige den Gefangenen schicken, anzunehmen, obwohl gut dokumentiert ist, dass sie selbst den Gefangenen nicht ausreichend Nahrung, Trinkwasser, Hygieneartikel, angemessene Kleidung und Bettwäsche zur Verfügung stellen.

Am 25. Oktober 2021 kündigte Präsident Abdel Fattah al-Sisi an, dass er den seit 2017 geltenden Ausnahmezustand nicht verlängern werde. Durch diesen Ausnahmezustand war die Einrichtung der Staatssicherheitsgerichte erst möglich geworden. Paragraf 19 des Gesetzes über den Ausnahmezustand sieht vor, dass laufende Verfahren auch nach der Aufhebung des Ausnahmezustands fortgesetzt werden können. Amnesty International hat dokumentiert, dass Verfahren vor den Staatssicherheitsgerichten per se unfair verlaufen. Die Angeklagten dürfen gegen ihren Urteilsspruch und das Strafmaß keine Rechtsmittel bei einem höheren, unabhängigen Gericht einlegen. Nur der Präsident ist befugt, Urteile zu genehmigen, aufzuheben oder umzuwandeln oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens anzuordnen. Während des gesamten Ermittlungs- und Gerichtsverfahrens, das am 11. September 2022 begann, durften die Angeklagten im "ECRF-Fall" nicht unbeobachtet mit ihren Rechtsbeiständen sprechen. Einige von ihnen wurden in Abwesenheit ihrer Rechtsbeistände durch die Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP) verhört. Die Anhörungen vor Gericht wurden im Geheimen in einer Abteilung des Badr-3-Gefängnis abgehalten. Beobachter*innen, die Öffentlichkeit und die Angehörigen der Angeklagten waren von den Anhörungen ausgeschlossen. Die Rechtsbeistände gaben an, dass sie während der Untersuchungen keinen Zugang zu den Akten ihrer Mandant*innen hatten. Sie sagten außerdem aus, dass sich das Gericht auf Augenzeug*innenaussagen von Beamt*innen der Abteilung für Innere Sicherheit berief, die ohne die notwendigen Kreuzverhöre akzeptiert wurden. Darüber hinaus durften nicht alle Angeklagten vor Gericht sprechen.