Inhaftierte Anwältin des Terrorismus beschuldigt
Diese Urgent Action ist beendet
Die Menschenrechtsanwältin und Aktivistin Mahienour el-Masry ist am 18. Juli vorläufig freigelassen worden. Sie war 22 Monate willkürlich in Untersuchungshaft gehalten worden. Es laufen immer noch Ermittlungen zu haltlosen Anschuldigungen wegen "Veröffentlichung und Verbreitung von Falschmeldungen" und "Beteiligung an terroristischen Straftaten" gegen sie.

Die Rechtsanwältin und Menschenrechtsverteidigerin Mahienour el-Masry im Februar 2019
© Amnesty International, Foto: Alaa Elkamhawi
Am 30. August verhörte die Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit die willkürlich inhaftierte Menschenrechtsanwältin Mahienour el-Masry in einem neu eingeleiteten Verfahren zu Anklagen wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation".
Appell an
Public Prosecutor
Hamada al-Sawi
Office of the Public Prosecutor
Madinat al-Rehab
Cairo, ÄGYPTEN
Sende eine Kopie an
Botschaft der Arabischen Republik Ägypten
S.E. Herr Khaled Mohamed Galaleldin Abdelhamid
Stauffenbergstraße 6-7
10785 Berlin
Fax: 030-477 1049
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de
Amnesty fordert:
- Ich fordere Sie höflich auf, Mahienour el-Masry umgehend und bedingungslos freizulassen und alle Anklagen gegen sie fallenzulassen.
- Stellen Sie bitte sicher, dass sie bis zu ihrer Freilassung Zugang zu Kommunikationsmitteln hat, damit sie regelmäßig ungestört mit ihrem Rechtsbeistand und ihrer Familie in Kontakt treten kann.
- Bitte lassen Sie alle Inhaftierten frei, die lediglich aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit inhaftiert sind. Bis dahin bitte ich Sie, Maßnahmen zum Schutz der Gefangenen vor der COVID-19-Pandemie zu ergreifen.
Sachlage
Die ägyptische Menschenrechtsanwältin Mahienour el-Masry ist seit dem 22. September 2019 willkürlich in Haft. Für Amnesty International steht fest, dass sie eine gewaltlose politische Gefangene ist, die allein wegen ihrer friedlichen Arbeit, sich für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen einzusetzen, inhaftiert wurde.
Am 30. August 2020 wurde sie vor die Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit gebracht, um im Zuge der Ermittlungen im neuen Fall (Nr. 855/2020) befragt zu werden. Zu Beginn war sie angeklagt wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation", "Veröffentlichung und Verbreitung von Falschmeldungen" sowie "Missbrauch sozialer Medien". Ihre Rechtsbeistände teilten Amnesty International mit, dass der Staatsanwalt der Staatssicherheit sie beschuldigte, mit Menschen außerhalb des Gefängnisses in Kontakt zu stehen und so Gerüchte und Falschmeldungen zu verbreiten. Seiner Darstellung zufolge soll sie beim Sport im Gefängnishof sowie während Gerichtsanhörungen und Terminen im Büro der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit gehabt haben, mit Außenstehenden zu kommunizieren. Laut ihren Rechtsbeiständen sind dies haltlose Anschuldigungen, weil die Angeklagte, ebenso wie andere Gefangene, vom 10. März 2020 bis zum 22. August 2020 im Zuge der Aufhebungen der Gefängnisbesuche wegen COVID-19 von der Außenwelt abgeschnitten war. Am Ende des Verhörs ordnete die Staatsanwaltschaft wegen des Anklagepunktes "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation" eine 15-tägige Untersuchungshaft an. Die anderen Vorwürfe wurden fallengelassen.
Das Innenministerium erlaubt seit August 2020 unter einigen Auflagen wieder Gefängnisbesuche. Am 5. September 2020 durfte die Mutter von Mahienour el-Masry sie im Frauengefängnis al-Qanater besuchen. Der Besuch fand im Büro des Ermittlungsleiters in seiner und der Gegenwart eines anderen Beamten statt. Ihre Mutter berichtete, dass Mahienour el-Masry bei guter Gesundheit sei.
Hintergrundinformation
Mahienour el-Masry ist seit dem 22. September 2019 im Zusammenhang mit einem anderen Fall (No. 488/2019) inhaftiert. Auch bei diesem Fall werden haltlose Anschuldigungen wie "Zusammenarbeit mit einer Terrorvereinigung zur Erlangung ihrer Ziele" und "Verbreitung von Falschmeldungen" gegen sie erhoben. Sie wurde damals von Angehörigen der Sicherheitsbehörden in Zivil festgenommen und später von einem Staatsanwalt zu den haltlosen Vorwürfen befragt. Bei diesem Fall geht es um die regierungskritischen Demonstrationen vom März 2019, die durch ein Zugunglück in Kairo ausgelöst wurden, bei dem 25 Menschen starben und Dutzende verletzt wurden. Der Staatsanwalt entschied, Mahienour el-Masry während der Ermittlungen im Frauengefängnis Al Qanater zu inhaftieren.
Am 30. August 2020 wurde ein neues Verfahren (Nr. 855/2020) gegen Mahienour el-Masry eröffnet. Sie steht nun vor weiteren Ermittlungen zum Anklagepunkt "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation". Der Fall betrifft auch andere Menschenrechtsverteidiger_innen, Anwält_innen und Journalist_innen, darunter Esraa Abdelfattah, Solafa Magdy und Mohamed el-Bager.
Seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie verbieten die Behörden des al-Qanater-Gefängnisses Mahienour el-Masry, ihrer Familie Briefe zu schreiben.
Die Festnahme von Mahienour el-Masry im September 2019 erfolgte im Kontext der größten Festnahmewelle in Ägypten seit 2014. Am 20. und 21. September 2019 brachen in mehreren ägyptischen Städten Proteste aus, bei denen der Rücktritt von Abdel Fattah al-Sisi gefordert wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren die Korruptionsvorwürfe des Armeelieferanten Mohamad Ali der Anlass für die Proteste. Er beschuldigte die ägyptische Militärführung und den Präsidenten, öffentliche Gelder für den Bau von Luxusimmobilien zu verschwenden. Allein Amnesty International hat im Zusammenhang mit den Protesten zwischen dem 20. und 29. September 2019 die Festnahme von 76 Einzelpersonen in sechs Städten dokumentiert. Menschenrechtsanwält_innen, die für Organisationen wie das Ägyptische Zentrum für wirtschaftliche und soziale Rechte und die Ägyptische Kommission für Rechte und Freiheiten tätig sind, haben bislang mindestens 2.300 Festnahmen dokumentiert. Nach Angaben von Rechtsanwält_innen sind zahlreiche Inhaftierte ohne Befragung wieder freigelassen worden, doch viele andere werden der Staatsanwaltschaft vorgeführt. Die Verhaftungswelle richtete sich gegen Journalist_innen, Menschenrechtsanwält_innen, Aktivist_innen, Protestierende und politische Persönlichkeiten. Damit wird versucht, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und weitere Proteste zu verhindern.
Mahienour El-Masry ist eine bekannte Menschenrechtsanwältin in Alexandria. Sie setzt sich dort für die Rechte von Arbeiter_innen, Frauen und Geflüchteten ein. Seit 2014 war sie bereits mehrmals wegen ihrer Tätigkeit als Menschenrechtsanwältin und der Ausübung ihrer Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit inhaftiert. Während ihrer Haft 2014 verlieh man ihr den angesehenen Ludovic-Trarieux-Menschenrechtspreis. Dieser wird jährlich an Rechtsanwält_innen vergeben, die sich für Menschenrechte engagieren.
Im Februar 2015 war Mahienour El-Masry zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Strafe wurde später von einem Berufungsgericht auf ein Jahr und drei Monate reduziert. Sie war des "Protests ohne Genehmigung", "Beschädigung von Polizeieigentum", "Angriff auf Sicherheitskräfte" und "Bedrohung der öffentlichen Sicherheit" schuldig gesprochen worden. Die Anschuldigungen bezogen sich auf ihre Beteiligung an einer Demonstration am 29. März 2013 vor der Polizeiwache Al-Raml in Alexandria. Der Protest fand in Solidarität mit Anwält_innen statt, die in der Polizeiwache festgehalten und verhört wurden, nachdem sie Polizeibeamt_innen beschuldigt hatten, sie verbal und tätlich angegriffen zu haben. Mahienour el-Masry wurde am 13. August 2016 nach Ableisten ihrer fünfzehnmonatigen Haftstrafe freigelassen.
Am 14. Juni 2017 hatten sich Mahienour el-Masry, und die Aktivist_innen Moatasem Medhat Asmaa Naeem, Walee el-Amry und Ziad Abu el-Fadl an Protesten gegen die Entscheidung der ägyptischen Regierung beteiligt, die beiden Inseln Tiran und Sanafir an Saudi-Arabien zu übergeben. Am 18. November 2017 ordnete das Gericht für geringfügige Vergehen des Bezirks Montazah von Alexandria die Inhaftierung von Mahienour El-Masry und Moataseem Medhat bis zur Urteilsverkündung im Dezember an. Am 30. Dezember 2017 verurteilte sie dasselbe Gericht wegen ihrer Teilnahme an einer friedlichen Protestveranstaltung gemäß der Anklagepunkte "Teilnahme an einer unerlaubten Protestveranstaltung" und "Machtdemonstration" zu zwei Jahren Haft. Das Gericht verurteilte die übrigen drei Aktivist_innen in Abwesenheit zu drei Jahren Haft. Am 13. Januar 2018 sprach das Gericht für geringfügige Vergehen des Bezirks Montazah von Alexandria Mahienour El-Masry und Moataseem Medhat von allen Anklagen frei.