Amnesty Journal Bangladesch 25. Juli 2016

Tage des Terrors

Tage des Terrors

Amnesty Journal August/September 2017

Islamisten überziehen Bangladesch seit drei Jahren mit Terror. Nun hat die Gewalt eine neue ­Eskalationsstufe ­erreicht.

Von Bernhard Hertlein

Bangladesch hat in den vergangenen drei Jahren so viele Tage des Terrors erlebt, dass im Ausland kaum noch Notiz davon genommen wurde. Doch dann kam die Nacht vom 1. auf den 2. Juli 2016. Sechs islamistische Terroristen stürmten ein Restaurant in Gulshan, dem Diplomatenviertel in der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka. Sie töteten mehr als 20 Menschen – nicht nur alle Ausländer und Nicht-Muslime, die sich in dem Restaurant befanden, sondern auch alle anwesenden Frauen, die kein Kopftuch trugen. Ein junger Muslim starb, weil er seine ausländischen Freunde nicht alleinlassen wollte.

Dabei genügte es den Attentätern nicht, die Andersgläubigen zu töten. Dazu hätten sie ihre Pistolen einsetzen können, die sie bei sich trugen. Stattdessen richteten die selbsternannten Gotteskrieger mit Messern und Macheten ein Blutbad an. Das Kalkül der Terroristen: Die Horrorbilder der grausam zugerichteten Leichen sollten sich über das Internet verbreiten. Und genau so geschah es. Wie bereits bei allen Anschlägen zuvor, die der sogenannte "Islamische Staat" und Ansarullah, der südasiatische Ableger von Al-Qaida, in Bangladesch verübt hatten.

Die Liste der islamistischen Attentate ist inzwischen lang: Am 15. Januar 2013 wurde in Dhaka ein Anschlag auf den religionskritischen Blogger Asif Mohiuddin verübt. Er überlebte knapp und wohnt heute, wie einige andere bedrohte Aktivisten, in Deutschland. Nur einen Monat nach dem Angriff auf Mohiuddin töteten Attentäter den säkularen Blogger Ahmed Rajib Haider mit Macheten. Am 26. Februar 2015 wurde der in den USA lebende bangladeschische Philosoph und Naturwissenschaftler Avijit Roy nach einem Besuch der Buchmesse in Dhaka ermordet. Seine Frau Bonya wurde verletzt. Im weiteren Jahresverlauf starben unter anderem Washiqur Rahman, Ananta Bijoy Das, Niloy Neel und Arefin Dipon sowie zwei Ausländer: der Italiener Cesare Tavella und der Japaner Kunio Hoshi. Ende Okto­ber überlebten der Verleger Tutul und zwei seiner Autoren einen Messerangriff schwer verletzt. "Wenigstens haben die Menschen danach noch protestiert", berichtet Jeba Habib, Mitarbeiterin der Nichtregierungsorganisation "Nijera Kori". "Doch schon am nächsten Tag wurde ich damals vor unserer Moschee darauf angesprochen, dass mein Gesicht im Fernsehen zu sehen war. Danach nahmen die Drohungen sehr schnell zu – und die Proteste ab." Es ist dieselbe Moschee, die von einem der Gul­shan-Attentäter regelmäßig besucht wurde.

In diesem Jahr wurde alles noch schlimmer. Eines der ersten Opfer terroristischer Angriffe auf religiöse Minderheiten war ausgerechnet ein Muslim: Der schiitische Prediger Abdur Razzak starb Anfang März nach einem Angriff des IS mit Macheten. Nur knapp zwei Wochen später wurde in Kurigram ein ehemaliger Freiheitskämpfer, der vor vielen Jahren zum Christentum konvertiert war, umgebracht. Anfang April wurde AFM Rezaul Karim Siddique mit Macheten zu Tode gehackt. Siddique lehrte Englisch an der Universität von Rajshahi und unterrichtete seine Schüler privat auch in bengalischer Kultur und Musik.

Kurz darauf geriet eine neue Minderheit ins Visier der Islamisten: Unbekannte erstachen Xulhaz Mannan und seinen Freund Tanay Majumder. Mannan war Chefredakteur bei Bangladeschs erster Zeitschrift für Lesben, Schwule, Transgender und Bisexuelle. Am 5. Juni wurde in Chittagong die Frau eines Polizeioffiziers ermordet, der sich im Kampf gegen den Terrorismus hervorgetan hatte. Noch am selben Tag wurde ein christlicher Ladenbesitzer in Jhenaida umgebracht. Zwei Tage danach ermordeten Islamisten den Brahmanen Ananta Gopal Ganguly, am 10. Juni folgte der Mord an Nitya Ranjan, dem Mitarbeiter eines Hindu-Ashrams.

Im ersten Halbjahr 2016 sind in Bangladesch mehr als 40 Menschen durch terroristische Angriffe ums Leben gekommen. Die Regierungschefin Scheikh Hasina Wajed erklärt immer wieder, man kenne die Mörder und werde sie fassen. Doch die Zweifel in der Bevölkerung sind groß. Innenminister Asaduzzaman Khan hält es für wichtiger, die Computer der Mordopfer nach Zitaten zu durchsuchen, die als staats- oder religionskritisch ausgelegt werden könnten, als diejenigen zu verhaften, die für die Morde und Mordaufrufe verantwortlich sind. Wiederholt haben Blogger und andere berichtet, dass die Polizei sie wegschickte, wenn sie nach Drohungen um Schutz nachsuchten: "Ändern Sie Ihr Verhalten" und "Hören Sie auf, sich so im Internet zu äußern", waren die Ratschläge, die man ihnen statt Hilfe anbot.

Die Regierung schiebt die Schuld an dem Terror den Oppositionsparteien Jamaat-e-Islami und sogar der Bangladesh Nationalist Party (BNP) zu. Wiederholt hat Amnesty International die Untätigkeit der Regierung und der Sicherheitsbehörden kritisiert. Das Klima der Straflosigkeit provoziere geradezu neue Anschläge. Dann, am 10. Juni, nach einer Woche mit vier Anschlägen, wurden die Sicherheitskräfte plötzlich doch aktiv. Innerhalb weniger Tage wurden bei landesweiten Razzien mehr als 5.300 Menschen festgenommen. Mehrere berichteten anschließend von Folter. Nach dem Angriff auf einen Hindu-Lehrer in Madaripur am 14. Juni wurde der mutmaßliche Attentäter Golam Faizullah Fahim von Dorfbewohnern gefasst und anschließend der Polizei übergeben. Drei Tage später war der 19-Jährige tot – angeblich wurde er bei einem Gefecht erschossen. Doch bei seiner Leiche lag keine Waffe, dafür war der Tote mit Handschellen gefesselt. Nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation "Ain-o-Salish Kendra" starben im ersten Halbjahr 79 Menschen bei außergerichtlichen Hinrichtungen im Polizeigewahrsam oder durch die Sondereinheit "Rapid Action Battalion".

Der Autor ist leitender Redakteur des "Westfalen-Blatts" und ehrenamtlicher Bangladesch-Experte der deutschen Amnesty-Sektion.

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