Amnesty Journal 16. Januar 2012

Dein Brief kann Leben retten

Zum Internationalen Tag der Menschenrechte startet Amnesty International auch in diesem Jahr den weltweiten Briefmarathon für Menschen in Gefahr.

Von Daniel Kreuz

Weltweit werden täglich Menschen verhaftet, bedroht, gefoltert oder getötet, weil sie ihre Meinung sagen, sich mit friedlichen Mitteln gegen ihre Regierung auflehnen oder der "falschen" Religion oder ethnischen Gruppe angehören. Amnesty International setzt sich für diese Menschen ein – mit Briefen, Faxen und E-Mails. Wenn Tausende Menschen überall auf der Welt aktiv werden und die zuständigen Behörden mit Briefen überhäufen, zeigt das Wirkung. Denn eine Unterschrift ist mächtiger als viele glauben. Je mehr Menschen bei den Petitionen und Appellschreiben von Amnesty International mitmachen, umso größer wird der Druck auf die Behörden, einen politischen Gefangenen freizulassen, eine zum Tode Verurteilte zu begnadigen oder die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Dies beweist auch Jahr für Jahr der weltweite Amnesty-Briefmarathon. Dabei setzen sich Menschen in vielen verschiedenen Ländern mit Appellschreiben für bestimmte Einzelfälle zu einem bestimmten Zeitpunkt ein. Dieser massive Protest hat stets einen großen Effekt auf die Behörden in den Ländern, in denen Menschenrechte verletzt werden. Zudem zeigt er den Betroffenen, dass sie nicht allein sind und nicht vergessen werden. Der Briefmarathon findet immer in den Tagen rund um den 10. Dezember statt, dem Internationalen Tag der Menschenrechte. Anlässlich des Jubiläums von Amnesty wird der Briefmarathon 2011 mit Licht-Aktionen verbunden sein unter dem Motto "Shine a light". Denn seit inzwischen fünf Jahrzehnten bringt Amnesty Menschenrechtsverletzungen ans Licht der Öffentlichkeit und gibt damit vielen Menschen in schwierigsten Situationen neue Hoffnung auf eine bessere Zukunft. International wurden 15 Fälle für den Briefmarathon ausgewählt, von denen die deutsche Amnesty-Sektion fünf besonders unterstützt: Jabbar Savalan aus Aserbaidschan, Filep Karma aus Indonesien, Fatima Hussein Badi aus dem Jemen, Jean-Claude Roger Mbede aus Kamerun und Natalja Estemirowa aus Russland.
Amnesty hofft auf ein ähnlich gutes Ergebnis wie im vergangenen Dezember. In nur zehn Tagen schrieben Amnesty-Mitglieder und Unterstützer aus über 50 Ländern 636.139 Appelle. Und noch bevor der Briefmarathon vorbei war, erreichte sie am 14. Dezember die erste Erfolgsmeldung: Der gambische Oppositionspolitiker Femi Peters wurde vorzeitig aus der Haft entlassen. Insgesamt hatte Amnesty im vergangenen Jahr zehn Fälle für den Briefmarathon ausgesucht. In sieben Fällen konnte die Organisation später positive Entwicklungen vermelden, von Guatemala und Mexiko über Senegal und Tunesien bis hin zu Rumänien und Russland. Dieser Erfolg war nur möglich, weil sich Tausende gewöhn­liche Menschen auf der ganzen Welt mit Appellschreiben am Briefmarathon beteiligt hatten. Auch Sie können dabei sein und einen ganz konkreten Unterschied für einen Menschen in Gefahr machen: Nehmen Sie unter www.amnesty.de/briefmarathon ganz einfach online teil oder versenden Sie die beigelegten Appellpostkarten.

Fatima Hussein Badi: Allein gegen alle

Fünf Stunden lang hielt Fatima Hussein Badi durch. Fünf Stunden lang beteuerte sie im Verhör immer wieder ihre Unschuld, ohne anwaltlichen Beistand, ganz auf sich allein gestellt, die gesamte Nacht hindurch. Fünf Stunden lang weigerte sie sich, den Mord an ihrem Ehemann zu gestehen. Dann brachten die Polizisten ihren Bruder Abdullah in den Verhörraum. Sein Gesicht war blutüberströmt. Aber die vierfache Mutter gestand immer noch nicht. Daraufhin drohten die Polizisten, sie vor den Augen des Bruders zu vergewaltigen. Vermutlich, um seiner Schwester dieses Martyrium zu ersparen, gab Abdullah die Tat schließlich zu. Fatima Hussein Badi und ihr Bruder Abdullah Hussein Badi waren am 13. Juli 2000 festgenommen und verhört worden. Sie wurden verdächtigt, Fatimas Ehemann Hamoud Ali al-Jalal gemeinsam ermordet zu haben. Er war Anfang des Monats verschwunden, und seine Familie hatte erfolglos nach ihm gesucht. Eine Woche später fand die Polizei seine Leiche. Weil es zuvor offenbar Eheprobleme gegeben hatte, nahmen die Polizisten seine Frau und ihren Bruder fest. Fatima betonte, es habe sich um gewöhnliche Konflikte gehandelt, "wie man sie in jeder Familie sieht".

Im Februar 2001 wurden Fatima und Abdullah zum Tode verurteilt. Bei mehreren gerichtlichen Anhörungen wurde ihnen ein rechtlicher Beistand verweigert. Wann immer sie versuchten, eine Aussage zu machen, wurden sie zum Schweigen gebracht. Ein Berufungsgericht bestätigte das Urteil 2002. Im September 2003 befand jedoch der Oberste Gerichtshof, Fatima Hussein Badi habe sich zwar schuldig gemacht, indem sie den Leichnam versteckt habe, sie sei aber nicht des Mordes schuldig. Der Gerichtshof reduzierte die Strafe gegen sie daher auf vier Jahre Haft.
Im Januar 2004 griffen Staatspräsident Ali Abdullah Saleh und der Parlamentssprecher Sheikh Abdullah al-Ahmar in den Fall ein, und wenig später wurde die Strafminderung wieder rückgängig gemacht. Verwandte des Ehemanns hatten gegen die Umwandlung des Urteils protestiert. Durch das Berufungsurteil hätte Fatima wieder den Status als Erbin ihres Ehemanns erhalten. Nach dem Qisas-Prinzip der Scharia hätte sie dann das Recht gehabt, ihren Bruder, den vermeintlichen Mörder ihres Mannes, zu begnadigen. Doch dazu kam es nicht: Ihr Bruder Abdullah wurde im Mai 2005 hingerichtet. Fatima droht weiterhin die Todesstrafe. Amnesty fordert ihre Begnadigung und die Wiederaufnahme des Verfahrens.

Die heute 48-Jährige ist eine von Hunderten, die im Jemen in der Todeszelle sitzen. Seit vielen Jahren kritisiert Amnesty die Anwendung der Todesstrafe in dem Land. Sie ist für viele verschiedene Vergehen vorgesehen. Die Bandbreite reicht von Mord bis zu gewaltlosen Taten, wie z.B. "Ablehnung des Islam". Der Jemen gehört zu den Staaten mit den meisten Todesurteilen weltweit. 2010 wurden mindestens 27 Menschen zum Tode verurteilt und 53 hingerichtet. Fatima Hussein Badi beteuert nach wie vor ihre Unschuld. Sie kann jederzeit hingerichtet werden. Schon nach der Exekution ihres Bruders sagte sie: "Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden kann. Ich habe niemanden." Auch auf die Hilfe ihrer ­Familie kann sie nicht zählen. Ihr ältester Sohn hat es bereits ­abgelehnt, seine Mutter nach dem Qisas-Prinzip zu begnadigen. Er fordert ihre sofortige Hinrichtung.

Filep Karma: Flagge zeigen

Für viele Menschen ist die Flagge ihres Landes nur ein Stück Stoff. Für Filep Karma symbolisiert sie jedoch die Hoffnung auf Unabhängigkeit und Freiheit. Wenngleich sie ihn selbst die Freiheit gekostet hat. Der ehemalige Regierungsbeamte hatte am 1. Dezember 2004 mit etwa 200 weiteren Personen in Abepura in der Provinz Papua an einer friedlichen politischen Zeremonie teilgenommen: Sie wollten an diesem Tag der Unabhängigkeitserklärung Papuas von 1962 gedenken. Während der Zeremonie hisste Filep Karma die Morgensternflagge, ein Symbol der Unabhängigkeit Papuas. Doch das Banner mit dem weißen Stern auf rotem Grund und den blauen und weißen Streifen ist verboten. Indonesien hat die Autonomie Papuas nie anerkannt. Gegen Separatisten gehen die Sicherheitskräfte mit exzessiver Gewalt vor, was immer wieder zu Opfern unter der Zivilbevölkerung führt. Amnesty International dokumentiert regelmäßig Fälle von Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und willkürlichen Verhaftungen. Auch am 1. Dezember 2004 gingen die Sicherheitskräfte mit aller Härte vor.

Die Polizisten gaben Warnschüsse ab und gingen mit Schlagstöcken auf die versammelten Menschen los. Filep Karma wurde festgenommen. Berichten zufolge soll er auf dem Weg zur Polizeistation misshandelt worden sein. Im Mai 2005 wurde Karma wegen "Rebellion und Hochverrat" sowie "Verbreitung von Feindschaft und Hass gegen den Staat" zu 15 Jahren Haft verurteilt. Mehrfach trat Karma in den Hungerstreik, um gegen seine Inhaftierung und die schlechte Behandlung der Häftlinge im Gefängnis von Abepura zu protestieren. Schon vor seiner Inhaftierung litt der heute 52-Jährige an gesundheitlichen Problemen. Diese verschlimmerten sich durch die schlechten Bedingungen in den kalten, feuchten und dunklen Zellen. Ab August 2009 wurde sein Zustand kritisch: Untersuchungen ergaben, dass er unter anderem an einer Lungenentzündung und einer Harnwegsinfektion litt und sich zudem Wasser in seiner Lunge befand. Ein Arzt empfahl, Karma in der indonesischen Hauptstadt Jakarta weiterzubehandeln. Die Gefängnisbehörden lehnten dies jedoch mit der Begründung ab, man habe dafür kein Geld.

Erst als Amnesty und andere Nichtregierungsorganisationen mit Appellschreiben den Druck auf die Behörden erhöhten, wurde Karma im Juni 2010 für mehrere Tage zur Behandlung nach Jakarta gebracht. Wenige Wochen später bot man ihm eine Verkürzung seiner Haftstrafe an. Doch Karma lehnte das Angebot ab, in seinen Augen wäre dies ein Schuldeingeständnis gewesen. Stattdessen betonte er, dass er niemals hätte festgenommen werden dürfen, nur weil er friedlich sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausübte. Amnesty International fordert die indonesischen Behörden auf, Filep Karma unverzüglich und bedingungslos freizulassen, da er nur wegen seiner Teilnahme an einer friedlichen Demonstration festgenommen wurde.
In einer Videobotschaft bedankte sich Karma im Juni 2010 auch im Namen anderer Gefangener von seinem Krankenbett aus für die weltweite Unterstützung durch Amnesty: "Wir haben viele Postkarten, Briefe und Nachrichten bekommen, die uns neue Hoffnung gaben."

Jabbar Savalan: Eiszeit in Baku

Mit ein paar Mausklicks wollte Jabbar Savalan den "arabischen Frühling" nach Aserbaidschan holen. Auch in seiner Heimat sollte sich endlich etwas ändern. Deswegen forderte der damals 19-jährige Geschichtsstudent am 4. Februar 2011 über Facebook zu friedlichen Protesten gegen die Regierung in der Hauptstadt Baku auf. Zu diesem Zeitpunkt war der tunesische Präsident bereits gestürzt, in Ägypten und im Jemen gingen Zehntausende Menschen auf die Straße. Ähnliche Proteste erhoffte sich Savalan, der Mitglied der oppositionellen Volksfront-Partei ist, auch in seinem Heimatland, das seit 2003 von Präsident Ilham Alijew autoritär regiert wird. Immer wieder werden Journalisten und Oppositionelle bedroht, eingeschüchtert und angegriffen, die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden systematisch verletzt. Kritik wird nicht geduldet.

Das bekam auch Savalan schnell zu spüren. Schon wenige Stunden, nachdem er auf Facebook zu Protesten aufgerufen und einen regierungskritischen Zeitungsartikel verbreitet hatte, sagte er seiner Familie, dass er verfolgt werde. Am nächsten Tag wurde er auf dem Heimweg von einem Parteitreffen in der Stadt Sumgayit von Polizisten festgenommen und auf eine Wache gebracht. Dort wurde in seiner Manteltasche angeblich ein Päckchen mit 0,74 Gramm Marihuana gefunden. Savalan wurde zwei Tage lang intensiv verhört, ohne dass ein Rechtsbeistand anwesend war. Nach seinen Angaben wurde er von den Beamten so lange bedroht und geschlagen, bis er ein "Geständnis" unterschrieb.

Savalan beteuert jedoch, dass er keine Drogen konsumiere und ihm das Marihuana bei seiner Verhaftung untergeschoben worden sei. Seine Familie, Freunde und Klassenkameraden haben Amnesty International gegenüber bekräftigt, dass Savalan weder raucht noch Alkohol trinkt und keinerlei Drogen nimmt. Dies bestätigte auch der nach der Festnahme vorgenommene Bluttest, der keine Spuren von Drogen aufwies. Trotzdem wurde der junge Mann am 4. Mai 2011 wegen illegalen Drogenbesitzes zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Eine Gruppe von Demonstranten, die vor dem Gerichtsgebäude gegen das Urteil protestierte, wurde von der Polizei brutal auseinandergetrieben.

Selbst Savalans Rechtsanwalt Anar Gasimov wurde Opfer der Polizeischikanen, wie er Amnesty International berichtete. Nach dem Gerichtsverfahren sei er von dem Beamten, der Savalan verhört hatte, bedroht worden. Der Polizist habe gesagt, dass ihm Gasimovs Schlussplädoyer nicht gefallen habe und er wisse, dass der Anwalt in Sumgayit wohne, und er nun sehen werde, "was er für ihn tun könne". Amnesty geht davon aus, dass die Anklage gegen Jabbar Savalan konstruiert ist und dass er nur wegen seines politischen Engagements in Haft ist. Die Organisation betrachtet ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen und fordert seine sofortige Freilassung. Falls die Regierung dieser Forderung nicht nachkommt, wird Savalan 30 Monate in Haft verbringen. Seinen 20. Geburtstag musste er bereits hinter Gittern feiern. Statt einem "arabischen Frühling" erleben die Menschen in Aserbaidschan eine politische Eiszeit.

Natalja Estemirowa: Das lange Warten auf Gerechtigkeit

Es geschah in aller Öffentlichkeit: Am 15. Juli 2009 verließ Natalja Estemirowa gegen 8.30 Uhr ihr Haus im tschetschenischen Grosny, als sich vier Männer auf sie stürzten. Die 50-Jährige schrie noch laut: "Ich werde entführt!", dann zerrten die Männer Estemirowa in einen weißen Lada und fuhren davon. Noch am selben Tag fand man ihre Leiche in einem Waldgebiet in der Nachbarrepublik Inguschetien. Sie wies mehrere Schusswunden in Kopf und Brust auf. Auf tragische Weise erlitt Natalja Estemirowa somit dasselbe Schicksal wie diejenigen Menschen, für die sie sich jahrelang mutig und aufopferungsvoll eingesetzt hatte. Seit dem Jahr 2000 hatte sie als führende Mitarbeiterin der russischen Bürger- und Menschenrechtsorganisation "Memorial" in Fällen von schweren Menschenrechtsverletzungen, wie Folter, Verschleppung und Mord, in Tschetschenien und anderen Ländern des Kaukasus ermittelt. Die Organisation stellte fest, dass dort im Zuge der Bekämpfung islamistischer Gruppen seit den neunziger Jahren mehrere Tausend Menschen spurlos verschwunden sind.

Die Journalistin und ehemalige Lehrerin half Familien bei der Suche nach ihren entführten Angehörigen und berichtete über Verbrechen an Zivilisten durch Militärs und Sicherheitskräfte. Damit machte sie sich mächtige Feinde, unter anderem den kremeltreuen tschetschenischen Präsidenten Ramsan Ka­dyrow. Nach Angaben von "Memorial" soll er sie öffentlich bedroht und mehrmals beleidigt haben. In einem ihrer letzten Interviews hatte die kritische Journalisten gesagt, sie träume ­davon, dass Kadyrow vor einem Gericht stehen muss und alle seine Verbrechen untersucht werden. Estemirowa wusste, dass ihre Arbeit gefährlich war: "Wenn du ein wahrer Menschenrechtsaktivist bist, verstößt du permanent gegen die ungeschriebenen Gesetze der russischen Regierung", sagte sie. Trotzdem machte die Mutter einer Tochter unbeirrt weiter. Amnesty verlor mit ihr eine enge Freundin und Verbündete, mit der nicht zuletzt die deutsche Sektion jahrelang vertrauensvoll zusammengearbeitet hatte.

Die Ermordung Estemirowas ist ein weiteres trauriges Beispiel dafür, dass diejenigen, die sich in Russland und im Kaukasus für die Menschenrechte einsetzen, selbst nicht genügend ­geschützt sind. Zwar versprach der russische Präsident Dimitrij Medwedew, das Verbrechen werde schnell aufgeklärt. Lange Zeit geschah allerdings nichts. Im Juli 2011 verkündeten russische ­Ermittler dann, dass Islamisten Estemirowa ermordet hätten. Die Recherchen von Amnesty und "Memorial" widersprechen dieser Behauptung. Die Organisationen kritisieren, dass die Behörden einseitig ermittelten und Spuren, die auf die Beteiligung örtlicher Polizeikräfte hindeuten, nicht nachgegangen sind. Sie fordern, dass die wahren Täter und ihre Hintermänner endlich vor Gericht gestellt werden.Dass die russische Justiz schnell ermitteln kann, wenn sie will, zeigte sich im Fall von Oleg Orlow. Als der "Memorial"-Vorsitzende den tschetschenischen Präsidenten Kadyrow für den Mord an Estemirowa verantwortlich machte, wurde er von Ka­dyrow auf Schadensersatz verklagt, weil er angeblich "die Ehre und Würde" des tschetschenischen Präsidenten verletzt hätte. Ein Moskauer Gericht verurteilte Orlow daraufhin zur Zahlung von 70.000 Rubel. Erst in der nächsten Instanz wurde Orlow freigesprochen.

Jean-Claude Roger Mbede: Hetze gegen Homosexuelle

Lieben, wen man möchte. Für Homosexuelle in Kamerun ist dies ein unerfüllbarer Wunsch. Wie in vielen afrikanischen Ländern ist der Hass gegen Homosexuelle auch in Kamerun weit verbreitet. Die kamerunische Justiz bietet keinen Schutz, im Gegenteil. Sie verfolgt und bestraft Personen, von denen auch nur vermutet wird, dass sie homosexuell sind – wie im Falle des Studenten Jean-Claude Roger Mbede.
Am 2. März 2011 traf sich der 32-Jährige mit einem Bekannten, dem er zuvor mehrere SMS geschickt hatte. Doch das Treffen war eine Falle: Der Bekannte kam nicht allein, sondern brachte Angehörige eines Sicherheitsdienstes des Verteidigungsministeriums mit. Er hatte sie über das anstehende Treffen informiert und ihnen die SMS-Nachrichten gezeigt. Die Sicherheitskräfte nahmen Mbede fest und verlegten ihn nach sieben Tagen ins Kondengui-Zentralgefängnis in der Hauptstadt Yaoundé. Am 28. April 2011 befand ihn ein Gericht für schuldig und verurteilte ihn zu einer Haftstrafe von drei Jahren wegen "Homosexualität und versuchter homosexueller Handlungen".

Nach Abschnitt 347a des kamerunischen Strafgesetzbuchs stellt Homosexualität eine Straftat dar, für die bis zu fünf Jahre Gefängnis verhängt werden können. Dabei werden nicht nur homosexuelle Handlungen, sondern auch die homosexuelle Identität der Angeklagten sowie der Versuch homosexuelle Handlungen zu begehen, bestraft. Von der Gesellschaft werden Schwule und Lesben geächtet und nicht selten Opfer tätlicher Angriffe. Sogar die Nationale Menschenrechtskommission lehnt es ab, die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender-Personen anzuerkennen und zu verteidigen. In den Medien finden regelrechte Hetzkampagnen statt, in denen Homosexuelle – oder diejenigen, die man für solche hält – gegen ihren Willen geoutet werden. Mbede verbüßt seine Haft im Kondengui-Gefängnis, dessen Gefangene unter schlechten sanitären Verhältnissen, unzureichender Nahrung und medizinischer Versorgung sowie Über­belegung leiden. Nach Informationen von Amnesty wurde das Gefängnis für 700 Häftlinge gebaut. Im August 2010 waren dort jedoch 3.852 Menschen inhaftiert. Seither hat sich die Situation nicht verbessert. Mbede berichtete, dass er seit seiner Einlieferung auf dem Fußboden schlafen muss.
In den Augen von Amnesty International ist Mbede ein gewaltloser politischer Gefangener, der nur wegen seiner mutmaßlichen sexuellen Orientierung verurteilt worden ist. Amnesty fordert seine sofortige Freilassung und ein Ende der Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Handlungen. "In Kamerun wird Homophobie von der Regierung geduldet", kritisiert Erwin van der Borght, der Direktor des Afrika-Programms von Amnesty. "Diejenigen, die wegen Homosexualität verhaftet wurden, sind der Gefahr ausgesetzt, von anderen Häftlingen oder Wärtern wegen ihrer vermuteten sexuellen Orientierung tätlich angegriffen zu werden." Dieses Schicksal droht auch Mbede. Wie Amnesty erfuhr, wurde er bis jetzt nur deswegen nicht angegriffen, weil ihm eine lokale Organisation Geld zukommen ließ, damit er Schutzgeld bezahlen konnte. Doch sobald das Geld aufgebraucht ist, wird Mbede wieder in Gefahr sein, misshandelt zu werden. Denn, so Sébastien Mandeng von der Menschenrechtsorganisation "Association pour la défense des droits des homosexuels": "Lesben, Schwule und Bisexuelle sind in Kamerun weniger wert als Hunde."

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