Amnesty Journal 02. April 2009

"Jeder wusste es, und alle lachten darüber"

Südafrika hat eine der weltweit fortschrittlichsten Verfassungen in Sachen Gleichberechtigung – dennoch ist das Land Spitzenreiter bei den international vergleichenden Vergewaltigungsstatistiken.

Jamala* ist 23 Jahre alt und wurde in ihrem Leben bereits mehrfach sexuell missbraucht. Schon im Alter von 15 Jahren wurde sie in ihrem Dorf von acht Jugendlichen vergewaltigt. Sie ging weder zur Polizei noch zu einer Klinik. Nicht einmal ihre Großmutter, bei der sie damals aufwuchs, erfuhr etwas von ihrer Vergewaltigung. Später sah sie die Jungen regelmäßig wieder: "Die Jungen besuchten eine höhere Schule und ich nur die Volksschule. Jeder wusste es, und alle lachten darüber."

Die Geschichte von Jamala ist nicht ungewöhnlich. Südafrika hat eine der höchsten Vergewaltigungsraten der Welt. Allein im Jahr 2007 wurden über 52.000 Vergewaltigungen polizeilich dokumentiert, die Dunkelziffer ist weitaus höher. Zudem werden Vergewaltigungen durch HIV/Aids zur tödlichen Bedrohung. Auch Jamala ist HIV-positiv – ein Schicksal, das sie mit fünfeinhalb Millionen Menschen in Südafrika teilt.

Das Land ist auch 15 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen und kurz vor den Parlamentswahlen 2009 immer noch ein Land der Gegensätze. Einerseits verfügt Südafrika über eine Verfassung, die in Sachen Gleichberechtigung weltweit als vorbildlich gilt; auch die Reformen des Familien-, Erb- und Landrechts stärken die Rechte von Frauen. Andererseits ist das Land Spitzenreiter in den international vergleichenden Gewaltstatistiken, insbesondere bei Vergewaltigungen.

Auf Druck von Frauenrechtsorganisationen verabschiedete die südafrikanische Regierung daher Ende der neunziger Jahre umfassende Gewaltschutzgesetze. Ihre Umsetzung geht jedoch äußerst schleppend voran, weil die Polizei und Justiz die neuen Leitlinien nur begrenzt anwenden. In den oft nur schlecht ausgestatteten Polizeistationen und Gerichten mangelt es an Personal. Viele Beamte sind weiterhin schlecht ausgebildet; etliche Gesetzeshüter, die schon unter dem Apartheidregime arbeiteten, haben ihre rassistischen und sexistischen Einstellungen nicht geändert. Deshalb schrecken Gewaltopfer davor zurück, Übergriffe zu melden. Die meisten Fälle werden nicht aufgeklärt und nur selten werden die Täter bestraft.

Besonders problematisch ist die Situation in ländlichen Gebieten, wo die Mehrheit der Bevölkerung noch immer in Armut lebt. Den Gewaltopfern fehlt das Geld, um die weit entfernten Polizeistationen aufzusuchen. Vergewaltigungsopfer können sich oft nicht einmal die Fahrtkosten zu einer Gesundheitsstation leisten. Für die zahllosen HIV/Aids-infizierten Vergewaltigungsopfer ist der Zugang zu Medikamenten jedoch überlebenswichtig.

Die Treatment Action Campaign, ein Netzwerk von Aids-Aktivisten, setzte vor dem Verfassungsgericht durch, dass HIV-positive Menschen ein Recht auf Behandlung haben. Damit sollten auch Vergewaltigte und Schwangere Zugang zu Arzneimitteln erhalten. Außerdem sollten billige Aids-Medikamente in Südafrika zugelassen werden. Jedoch verschleppte die frühere Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang jahrelang systematisch die Medikamentenvergabe, bis sie 2008 abgesetzt wurde. Die amtierende Gesundheitsministerin Barbara Hogan leitete eine Trendwende ein, um das Recht auf Gesundheit zu verwirklichen. Unter dem Apartheidregime wurde sie jahrelang inhaftiert, Amnesty International setzte sich für ihre Freilassung ein. Inwieweit ihre ambitionierte Gesundheitspolitik nach den Parlamentswahlen am 22. April weitergeführt wird, bleibt abzuwarten. Vor allem Präventions- und Gewaltschutzprogramme sind dringend notwendig. Auch die neue Regierung sollte daran gemessen werden, was ihr das Leben von Mädchen und Frauen wie Jamala wert ist.

  • Name geändert

Von Rita Schäfer
Die Autorin publizierte das Buch "Im Schatten der Apartheid" (2008).

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