Amnesty Report 23. Mai 2018

Sudan 2017/18

Report Cover 17/18

Die Sicherheitskräfte gingen 2017 mit willkürlichen Festnahmen, Inhaftierungen und anderen Menschenrechtsverletzungen gezielt gegen Mitglieder von Oppositionsparteien, Menschenrechtsverteidiger, Studierende und politisch aktive Personen vor. Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden weiterhin willkürlich eingeschränkt. In den Bundesstaaten Darfur, Blue Nile und Südkordofan waren die Sicherheitslage und die humanitäre Situation unverändert katastrophal. Es kam dort zu häufigen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht und internationale Menschenrechtsnormen.

Hintergrund

Die US-Regierung lockerte im Januar 2017 die Sanktionen, die 1997 gegen den Sudan verhängt worden waren. So wurden u. a. eingefrorene Vermögenswerte, Bank-, Handels- und Anlagegeschäfte freigegeben. Im Oktober hob die US-Regierung sämtliche Wirtschaftssanktionen gegen den Sudan auf. Zur Begründung hieß es, die sudanesische Regierung habe sich in fünf wichtigen Bereichen um Fortschritte bemüht. So habe sie u. a. ihre militärischen Aktivitäten deutlich reduziert und sich sogar bereit erklärt, die Kampfhandlungen in den Krisengebieten nicht wieder aufzunehmen. Außerdem habe sie bessere Zugangsmöglichkeiten für humanitäre Hilfe im ganzen Land zugesichert.

Das Kabinett beschloss am 15. Januar 2017, die einseitige Waffenruhe in den Bundesstaaten Darfur, Blue Nile und Südkordofan um weitere sechs Monate zu verlängern. Am 21. Februar beschuldigten sich die sudanesische Armee und die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung-Nord (Sudan People’s Liberation Movement-North – SPLM-N) gegenseitig, den Waffenstillstand in Südkordofan gebrochen zu haben. Im März spaltete sich die SPLM-N in zwei rivalisierende Fraktionen auf. Dies drohte die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der SPLM-N zu verzögern. Außerdem bestand die Gefahr, dass die Spaltung zu einem größeren Konflikt und weiteren Vertreibungen in den von der SPLM-N kontrollierten Gebieten im Bundesstaat Blue Nile führen könnte. Im Oktober 2017 verlängerte die Regierung jedoch den einseitigen Waffenstillstand bis zum 31. Dezember, der auch eingehalten wurde.

Rechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Zivilgesellschaftliche Organisationen und Oppositionsparteien unterlagen sehr starken Einschränkungen, was ihre Aktivitäten betraf. In vielen Fällen unterband der Geheimdienst (National Intelligence and Security Services – NISS) ihre Veranstaltungen. Am 17. Februar 2017 verbot er eine Zusammenkunft des Zentralkomitees der Lehrer in den Räumen der Nationalen Umma-Partei in Omdurman. Am 18. März untersagte er der Nationalen Umma-Partei die Abhaltung einer öffentlichen Veranstaltung in Wad Madani (Bundesstaat Al Jazeera). Im April hinderte der NISS eine Gruppe sudanesischer Dramatiker daran, eine öffentliche Veranstaltung abzuhalten. Geplant war eine Diskussion darüber, wie sich das Fehlen der darstellenden Künste auf die sudanesische Gesellschaft auswirkte. Außerdem hinderte der NISS im April die oppositionelle Sudanesische Kongresspartei daran, eine Gedenkfeier für eines ihrer Mitglieder abzuhalten, und verbot eine Veranstaltung der Frauenrechtsinitiative No to Women’s Oppression in der Ahfad-Universität, ohne dies zu begründen. Im Mai 2017 verbot der NISS ein Symposium über den Sufismus mit dem Titel "Perspektiven in Gegenwart und Zukunft", das in der Freundschaftshalle in der Hauptstadt Khartum stattfinden sollte. Im Juni 2017 ordnete die für humanitäre Hilfe zuständige Regierungsbehörde an, dass die Organisation Shari Al-Hawadith, die im Bundesstaat Kassala medizinische Hilfe leistete, ihre Tätigkeit einstellen müsse.

Recht auf freie Meinungsäußerung

In der zweiten Jahreshälfte beschlagnahmten die Behörden 26-mal die komplette Druckauflage von Zeitungen. Betroffen waren insgesamt sechs Zeitungen. Die Meinungsfreiheit war weiterhin eingeschränkt. Zeitungsherausgeber und Journalisten wurden regelmäßig angewiesen, nicht über Themen zu schreiben, die als Gefährdung der Sicherheit angesehen wurden. Der NISS ermittelte 2017 gegen zwölf Journalisten und lud sie mehrfach vor. Gegen zwei weitere Journalisten ergingen Gerichtsurteile, weil sie über Themen berichtet hatten, die als sicherheitsgefährdend eingestuft wurden. So wurde Madeeha Abdallah, die ehemalige Herausgeberin der Zeitung der Kommunistischen Partei Sudans Al Midan, im Mai von dem für Presseangelegenheiten zuständigen Gericht in Khartum wegen "Verbreitung von Falschinformationen" schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 10000 Sudanesischen Pfund (etwa 775 Euro) verurteilt. Der Grund war, dass sie in der Zeitung 2015 einen Artikel über den Konflikt in Südkordofan veröffentlicht hatte. 

Im September 2017 wurde die Chefredakteurin der Zeitung Akhbar Alwatan, Hanadi Alsiddig, von NISS-Angehörigen vorübergehend festgenommen und geschlagen, weil sie über Landstreitigkeiten berichtet hatte.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Angehörige des NISS und anderer Sicherheitskräfte gingen mit willkürlichen Festnahmen, Inhaftierungen und anderen Menschenrechtsverletzungen gezielt gegen Mitglieder von Oppositionsparteien, Menschenrechtsverteidiger, Studierende und politisch aktive Personen vor. Im Januar und Februar 2017 nahm der NISS in Khartum drei oppositionelle Aktivisten fest und hielt sie bis Ende April ohne Anklageerhebung in Haft, weil sie im November und Dezember 2016 aus Protest gegen wirtschaftliche Sparmaßnahmen Aktionen des zivilen Ungehorsams unterstützt hatten.

Der ehemalige Vorsitzende des Zentralkomitees sudanesischer Ärzte (Central Committee of Sudanese Doctors – CCSD), Dr. Hassan Karar, wurde am 20. April 2017 festgenommen und vier Tage lang in der Hafteinrichtung der Anklagebehörde für staatsgefährdende Straftaten des NISS in Khartum festgehalten. Grund für die Inhaftierung war, dass er einen landesweiten Streik von Ärzten unterstützt hatte, die damit gegen die zunehmend schlechte Gesundheitsversorgung protestieren wollten. Dr. Mohamed Yasin Abdalla, der Vorsitzende des CCSD, wurde am 22. April 2017 in Khartum festgenommen und in derselben Einrichtung inhaftiert. Am 28. April kam er ohne Anklage aus der Haft frei. Den beiden Ärzten wurde vorgeworfen, sie hätten eine illegale Organisation gegründet und damit das Gesundheitssystem des Landes gefährdet, angeklagt wurden sie jedoch nicht.

Im Mai 2017 wurden die beiden Aktivisten Dr. Mudawi Ibrahim Adam und Hafiz Idris Eldoma wegen sechs Straftaten angeklagt, von denen zwei mit lebenslangen Freiheitsstrafen oder der Todesstrafe geahndet werden können. NISS-Angehörige hatten die beiden Männer 2016 im Zusammenhang mit ihrer Arbeit für die Organisation Sudan Social Development Organization UK festgenommen, die im ganzen Land humanitäre Hilfs- und Entwicklungsprojekte betreibt. Mit ihnen wurde auch ein dritter Mitarbeiter der Organisation festgenommen. Die drei Männer wurden bei der Festnahme misshandelt. Nach acht Monaten unrechtmäßiger Inhaftierung wurden Dr. Mudawi Ibrahim Adam und Hafiz Idris Eldoma am 29. August 2017 auf freien Fuß gesetzt.

Nabil Mohamed El-Niwari, ein politischer Aktivist und Mitglied der Sudanesischen Kongresspartei, wurde am 5. September 2017 in Khartum wegen seiner politischen Betätigung vom NISS festgenommen.

Bewaffneter Konflikt

Darfur

Anfang 2017 war ein Rückgang der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der sudanesischen Armee und bewaffneten Gruppen zu verzeichnen. Meldungen zufolge brachen aber am 28. Mai 2017 erneut Kämpfe aus. Dabei standen die von Minni Minawi angeführte sudanesische Befreiungsbewegung (Sudan Liberation Movement – SLM-MM) und die SLM-Gruppe Transitional Council den sudanesischen Streitkräften und der mit ihnen verbündeten Miliz Rapid Support Forces gegenüber. Weder beim Friedensprozess noch beim Umgang mit den Ursachen und den Folgen des Konflikts in Darfur gab es wesentliche Fortschritte. Es trafen Berichte über mindestens 87 Fälle rechtswidriger Tötungen von Zivilpersonen ein, bei denen es sich teilweise um Binnenvertriebene handelte. Für die meisten Tötungen waren mit der Regierung verbündete Milizen verantwortlich. Außerdem wurden aus ganz Darfur zahlreiche Plünderungen, Vergewaltigungen und willkürliche Festnahmen gemeldet. Präsident Omar al-Bashir kündigte an, er wolle das Lager für Binnenvertriebene in Kalma (Süddarfur) besuchen. Daraufhin kam es am 22. September 2017 zu Protesten Binnenvertriebener gegen den Besuch des Präsidenten. Die Sicherheitskräfte setzten scharfe Munition ein, um die Proteste zu beenden. Dabei wurden fünf Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt. Im Juni 2017 verlängerte der UN-Sicherheitsrat das Mandat der gemeinsamen UN/AU-Mission in Darfur (UNAMID) bis 30. Juni 2018. Es war zu erwarten, dass die im Mandat vorgesehene Reduzierung der Truppenstärke in zwei sechsmonatigen Phasen Auswirkungen auf den Schutz der Zivilbevölkerung in Darfur haben würde. 

Südkordofan und Blue Nile

Das Frühwarnsystem für Hungersnöte (Famine Early Warning Systems Network – FEWS NET) wies auf die dramatische humanitäre Lage in Gebieten in Südkordofan hin, die unter Kontrolle der SPLM-N standen. Demnach litten etwa 38,3 % der Bevölkerung an chronischer Unterernährung. Gründe dafür waren lange Perioden, in denen es keine Nahrungsmittel gab, und ständig wiederkehrende Krankheiten. Im Bundesstaat Blue Nile waren nach Schätzungen des FEWS NET 39 % der Haushalte von akuter Nahrungsmittelknappheit bedroht. Gleichzeitig verschärfte der schwelende Führungsstreit innerhalb der SPLM-N die Spannungen unter den sudanesischen Flüchtlingen im Bezirk Maban im Südsudan und führte im Bundesstaat Blue Nile zu gewaltsamen, ethnisch motivierten Zusammenstößen zwischen den beiden rivalisierenden Fraktionen. Aufgrund der Kämpfe flohen Tausende Menschen aus den von der SPLM-N kontrollierten Gebieten in Gebiete, die von der Regierung kontrolliert wurden, oder suchten in Flüchtlingslagern im Südsudan und in Äthiopien Schutz.

Berichte von Amnesty International

Courageous and resilient: Activists in Sudan speak out (AFR 54/7124/2017)

Opposition activists arbitrarily held in Sudan (AFR 54/6000/2017)

Sudan: Human rights defender facing death penalty: Dr Mudawi Ibrahim Adam (AFR 54/6300/2017)

Sudan: Dr Mudawi released after eight months of wrongful imprisonment (Press Release, 30 August)

Sudan: Detained opposition activist denied lawyer visits: Nabil Mohamed El-Niwari (AFR 54/7101/2017)

Weitere Artikel