Amnesty Report 19. Mai 2017

Mauretanien 2017

Amnesty Report 2016 / 2017

Menschenrechtsverteidiger und Regierungsgegner sahen sich politisch motivierter Strafverfolgung ausgesetzt. Insbesondere Organisationen, die sich gegen Sklaverei einsetzten, wurden verfolgt. Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren eingeschränkt. Folter und andere Misshandlungen in Gewahrsam waren üblich. Bevölkerungsgruppen, die zwei Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachten, waren systematischer Diskriminierung ausgesetzt. Extreme Armut war weit verbreitet. Nach wie vor wurde Sklaverei betrieben.

MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER

Gesetze, darunter solche, die sich auf Verursachung öffentlicher Unruhe, Widerstand gegen die Festnahme und Mitgliedschaft in nichtgenehmigten Organisationen bezogen, wurden für die politisch motivierte Strafverfolgung von Menschenrechtsverteidigern und Regierungsgegnern eingesetzt. Insbesondere Anti-Sklaverei-Aktivisten waren davon betroffen.

Im Mai 2016 ordnete das Oberste Gericht von Mauretanien die Freilassung der Anti-Sklaverei-Aktivisten Biram Ould Dah Abeid und Brahim Bilal an, nachdem es ihre Gefängnisstrafen reduziert hatte. Die beiden von Amnesty International als gewaltlose politische Gefangene betrachteten Männer, die der Initiative für die Wiederbelebung der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei in Mauretanien (L’Initiative pour la Résurgence du Mouvement Abolitionniste en Mauritanie – IRA) angehören, waren im November 2014 festgenommen worden, nachdem sie an einer friedlichen Protestaktion teilgenommen hatten. Sie wurden wegen Mitgliedschaft in einer nicht anerkannten Organisation, Teilnahme an einer nichtgenehmigten Versammlung, Nichtbefolgung polizeilicher Anordnungen und Widerstands gegen ihre Festnahme zu zwei Jahren Haft verurteilt. Djiby Sow, ein weiteres Mitglied der IRA, der ebenfalls eine zweijährige Gefängnisstrafe erhalten hatte, war im Juni 2015 aus medizinischen Gründen aus der Haft entlassen worden.

Im Juni und Juli 2016 wurden 13 weitere Mitglieder der IRA festgenommen, nachdem Bewohner des Slumviertels Bouamatou in der Hauptstadt Nouakchott eine Protestaktion gegen ihre Vertreibung durchgeführt hatten. Obwohl niemand von ihnen an dem Protest teilgenommen hatte, wurden alle 13 Aktivisten im August 2016 schuldig gesprochen, u. a. wegen Rebellion und Anwendung von Gewalt. Das Gericht lehnte es ab, von den Beschuldigten vorgebrachte Vorwürfe über Folter zu prüfen. Im Oktober 2016 bekundete eine Gruppe von UN-Experten große Besorgnis darüber, dass die Regierung diese Aktivisten offensichtlich wegen ihres Engagements gegen Sklaverei ins Visier genommen habe. Die Experten stellten zudem fest, dass sich die Regierung gegenüber Gruppen, die ihre Politik kritisierten, feindselig verhielt. Dies gelte insbesondere für Gruppen wie die IRA, deren Mitglieder der Bevölkerungsminderheit der Haratin angehören und sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzen. Im November 2016 sprach ein Berufungsgericht drei der 13 IRA-Mitglieder frei und reduzierte die Haftstrafe gegen sieben weitere, die im selben Monat aus der Haft entlassen wurden. Drei IRA-Mitglieder wurden zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

RECHTE AUF MEINUNGS-, VEREINIGUNGS- UND VERSAMMLUNGSFREIHEIT

Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Regierungskritiker wurden in einem Klima der Politisierung der Justizbehörden festgenommen und strafrechtlich verfolgt, was die Möglichkeiten, die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wahrzunehmen, noch weiter einschränkte.

Im ersten derartigen Fall in Mauretanien bestätigte das Berufungsgericht in Nouakchott im April 2016 das gegen Mohamed Mkhaïtir wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) verhängte Todesurteil. Mohamed Mkhaïtir war ursprünglich im Dezember 2014 in Nouadhibou zum Tode verurteilt worden, nachdem er fast ein Jahr lang in Untersuchungshaft festgehalten worden war. Er hatte einen Blogbeitrag verfasst, in dem er diejenigen kritisierte, die den Islam dazu benutzen, bestimmte gesellschaftliche Gruppen auszugrenzen. Das Berufungsgericht verwies den Fall an den Obersten Gerichtshof.

Im Juli 2016 wurde Cheikh Baye, Geschäftsführer der Nachrichtenwebsite Meyadine, wegen Gewaltanwendung gegen einen Staatsbediensteten zu drei Jahren Haft verurteilt. Er hatte einen Regierungssprecher der Lüge bezichtigt und während einer Pressekonferenz einen Schuh nach ihm geworfen. Im August 2016 wurden fünf Personen, die das Urteil kritisiert hatten, wegen der gleichen Anklagepunkte verurteilt. Drei von ihnen erhielten Gefängnisstrafen von zwei Jahren, die anderen beiden Bewährungsstrafen.

Die mauretanischen Behörden verweigerten mehreren NGOs weiterhin die amtliche Registrierung. So wartet die Vereinigung Mauretanischer Witwen (Association des Veuves de la Mauritanie), die sich für die Aufklärung der in den 1990er Jahren erfolgten summarischen Hinrichtungen und Fälle des Verschwindenlassens einsetzt, seit 1993 auf ihre Anerkennung durch die Regierung. Im Jahr 2010 hatte sie ihren diesbezüglichen Antrag erneuert.

FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN

Nach seinem Besuch Mauretaniens im Januar und Februar 2016 begrüßte der UN-Sonderberichterstatter über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Entwicklungen im Rechtswesen, zu denen u. a. die Einführung eines neuen Gesetzes gegen Folter und die Einrichtung eines Nationalen Präventionsmechanismus gehörten. Er betonte, dass die Judikative ihre Bemühungen verstärken solle, diese Schutzmaßnahmen umzusetzen, und wies auf unterlassene Ermittlungen bei Foltervorwürfen hin. Er machte auch auf den Einsatz inoffizieller Hafteinrichtungen und die Verweigerung des Zugangs zu einem Rechtsbeistand für Zeiträume von bis zu 45 Tagen in terrorismusbezogenen Fällen aufmerksam.

Gefangene berichteten Mitte des Jahres 2016, dass sie sowohl in Polizeigewahrsam als auch von Gefängnismitarbeitern gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien. Ein Gefangener, dem eine terrorismusbezogene Straftat vorgeworfen wurde, gab an, dass er nach seiner Festnahme im März 2016 mit hinter dem Rücken zusammengebundenen Händen und Füßen geschlagen worden sei, um ihn zu zwingen, ein "Geständnis" abzulegen.

Die im Juni und Juli 2016 inhaftierten IRA-Mitglieder wurden voneinander getrennt in geheimen Hafteinrichtungen festgehalten und erhielten keinen Zugang zu ihren Familien und zu Rechtsanwälten. Sie wurden nachts verhört, Schlafentzug ausgesetzt, und ihnen wurde der Gang zur Toilette verweigert. Mindestens vier von ihnen mussten stundenlang mit zusammengebundenen Händen und Füßen in schmerzhaften Positionen verharren und wurden mit Seilen so an der Decke befestigt, dass ihre Füße den Boden nicht berührten. Andere wurden entkleidet, beschimpft und mit dem Tod bedroht. Trotz des neuen Nationalen Präventionsmechanismus zur Überwachung von Hafteinrichtungen wurde einem Mitarbeiter der Behörde der Zugang zu IRA-Mitgliedern, die in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten wurden, verweigert.

DISKRIMINIERUNG – HARATIN UND SCHWARZAFRIKANISCHE MAURETANIER

Der UN-Sonderberichterstatter über extreme Armut und Menschenrechte, der Mauretanien im Mai 2016 einen Besuch abstattete, kritisierte, dass Haratin und schwarzafrikanische Mauretanier so gut wie keine Machtpositionen bekleideten und aus vielen Bereichen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens ausgeschlossen wurden. So war es ihnen u. a. nicht möglich, einen mauretanischen Personalausweis zu erhalten. Die beiden Bevölkerungsgruppen machen zwei Drittel der Gesamtbevölkerung aus. Der Sonderberichterstatter wies darauf hin, dass in der Präambel der Verfassung zwar wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erwähnt würden, es jedoch keinerlei rechtliche Regelungen gebe, um diese zu konkretisieren. Des Weiteren stellte er heraus, dass in einigen ländlichen Regionen lediglich 10 % der Kinder weiterführende Schulen besuchten und die Müttersterblichkeitsrate Mauretaniens weiterhin eine der höchsten in der Welt sei. Im Jahr 2015 starben Angaben der Weltbank zufolge 602 Mütter je 100000 Lebendgeborene.

SKLAVEREI

Obwohl die Sklaverei in Mauretanien offiziell bereits im Jahr 1981 abgeschafft wurde und in der nationalen Gesetzgebung als Straftat eingestuft wird, kritisierten Menschenrechtsorganisationen wie SOS Esclaves und IRA regelmäßig das Fortbestehen dieser Praxis.

Im Mai 2016 wurde in Néma das Sondertribunal gegen Sklaverei eröffnet. Im selben Monat wurden zwei ehemalige Sklavenhalter zu einer einjährigen Freiheitsstrafe und einer vierjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Zudem ordnete das Gericht an, dass sie Entschädigungszahlungen an zwei weibliche Opfer zahlen müssen. Im selben Monat leugnete Präsident Mohamed Ould Abdel Aziz die Existenz von Sklaverei in Mauretanien und richtete einen Aufruf an die Haratin, bei denen es sich um ehemalige Sklaven und deren Nachkommen handelt, weniger Kinder zu gebären, um somit das Erbe von Sklaverei und Armut zu überwinden.

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