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Ungarn 2012
Amtliche Bezeichnung: Republik Ungarn Staatsoberhaupt: Pál Schmitt Regierungschef: Viktor Orbán Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 10 Mio. Lebenserwartung: 74,4 Jahre Kindersterblichkeit: 6,3 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 99,4%
Die neue Verfassung löste Bedenken aus, was den Schutz der Menschenrechte betraf. Gegen Personen, denen Angriffe auf Roma in den Jahren 2008 und 2009 zur Last gelegt werden, wurde 2011 ein Gerichtsverfahren eingeleitet. Bürgerwehren schüchterten Angehörige der Roma ein. Das Innenministerium sicherte zu, die gesetzlichen Vorschriften in Bezug auf Hassverbrechen zu verschärfen.
Hintergrund
Im April 2011 verabschiedete das ungarische Parlament eine neue Verfassung. Sie führte Änderungen ein, wie z.B. den Schutz des Fötus vom Zeitpunkt der Empfängnis an oder die Möglichkeit einer lebenslangen Gefängnisstrafe ohne Aussicht auf vorzeitige Haftentlassung, die in der Praxis zu einer Einschränkung von Menschenrechten führen könnten. Des Weiteren fehlen auf der Liste der verbotenen Gründe für Diskriminierung die Merkmale Alter, sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität.
Im September empfahl der UN-Menschenrechtsrat der ungarischen Regierung, die Gesetze gegen Hassverbrechen zu verschärfen und einen Aktionsplan zur Verhütung rassistischer Übergriffe zu entwickeln.
Rassismus
Im März 2011 begann vor dem Bezirksgericht Pest der Prozess gegen vier Männer im Zusammenhang mit einer Reihe von Angriffen auf Roma in den Jahren 2008 und 2009, bei denen sechs Menschen ums Leben gekommen waren, darunter ein Kind. Gegen drei Männer wurde Anklage wegen mehrfachen Mordes und bewaffneten Überfalls auf Häuser der Roma erhoben. Dem vierten Verdächtigen wurde Beihilfe zu diesen Verbrechen zur Last gelegt.
Diskriminierung von Roma
Angehörige der Roma wurden weiterhin in vielen Lebensbereichen diskriminiert. Im März und April 2011 wurden Roma in dem Ort Gyöngyöspata von verschiedenen Bürgerwehren eingeschüchtert und schikaniert. Die Polizei ließ die Täter nahezu ungehindert gewähren.
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Am 6. März veranstaltete die rechtsextreme Partei Jobbik in Gyöngyöspata einen Protestmarsch, der sich gegen Roma richtete. Im Anschluss "patrouillierten" drei Bürgerwehren in der Umgebung. Am 18. März wies Ministerpräsident Viktor Orbán den Innenminister an, Maßnahmen gegen das Treiben paramilitärischer Organisationen zu ergreifen. Im Juni richtete das Parlament einen Ausschuss zur Untersuchung der Vorgänge ein. Im Mittelpunkt stand die Frage, wer Ungarn durch die Verbreitung von Falschinformationen diskreditiert habe. Menschenrechtsorganisationen, die die Vorgänge beobachtet hatten, wurden aufgefordert, vor dem Ausschuss auszusagen. Sie hatten Bedenken, ob der Arbeitsauftrag des Gremiums eine gründliche Untersuchung der Ereignisse gewährleistete.
- Die Ungarische Vereinigung für Bürgerfreiheiten (TASZ) reichte bei der Staatsanwaltschaft Klage im Zusammenhang mit vier Fällen von Beleidigungen und versuchter körperlicher Gewalt gegen Roma in Gyöngyöspata ein. Die TASZ warf der Polizei vor, in allen vier Fällen nicht gemäß internationaler Menschenrechtsstandards ermittelt zu haben. Offenbar unterließ es die Polizei, die Handlungen als Gewalt gegen ein Mitglied einer Gemeinschaft zu behandeln, ein Straftatbestand, auf dessen Grundlage rassistisch motivierte Gewalt strafrechtlich verfolgt werden kann. Sie versäumte es auch, die beiden Opfer über die Herabstufung dieser Verbrechen zu Bagatelldelikten sowie über den Stand der Ermittlungen zu informieren. Die Staatsanwaltschaft wies die Polizei an, die Ermittlungen in diesen Fällen wieder aufzunehmen.
Justizwesen
Im Januar 2011 begann das Innenministerium damit, Anweisungen für den polizeilichen Umgang mit Hassverbrechen auszuarbeiten. Das Parlament verabschiedete im Mai eine Reform des Strafgesetzbuchs, die unverhohlenes beleidigendes Auftreten gegen eine Gemeinschaft unter Strafe stellt, wenn Angehörige einer ethnischen oder einer anderen Gruppe dadurch bedroht werden könnten oder sich bedroht fühlen könnten. Durch die Reform wurden auch nicht genehmigte Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit strafbar, die bei anderen Menschen Angst auslösen.
Im November verabschiedete das Parlament ein neues Gesetz zum Verfassungsgericht, das die Möglichkeiten individueller Verfassungsbeschwerden begrenzt. Es sieht außerdem Strafen für Personen vor, die das Beschwerderecht missbrauchen.
Recht auf Wohnen
Der Budapester Stadtrat billigte im April 2011 einen Erlass, der das Schlafen auf offener Straße zu einer Ordnungswidrigkeit erklärt, die mit einer Geldstrafe geahndet wird. Auf dieser Grundlage wurden Berichten zufolge im Oktober mehrere Obdachlose festgenommen. Die Regierung schlug vor, das Strafgesetzbuch dahingehend zu ändern, dass Personen, die im Freien übernachten und die Geldstrafe nicht bezahlen können, eine Freiheitsstrafe erhalten. Die Obdachlosenhilfsorganisation European Federation of National Organisations Working with the Homeless (FEANTSA) nannte den Vorschlag unverhältnismäßig und erklärte, damit leugne der Staat seine Verantwortung für strukturelle Probleme, die zu Obdachlosigkeit führten.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Im Januar 2011 traten zwei neue Mediengesetze in Kraft. Sie enthielten Regelungen bezüglich des redaktionellen Inhalts von Medien, sahen eine obligatorische Registrierung aller Medien vor und führten eine neue Medienaufsichtsbehörde ein, die über die Registrierung von Medien entscheidet. Im Februar empfahl der Menschenrechtskommissar des Europarats, die Mediengesetze zu überarbeiten. Obwohl das Parlament im April Änderungen vornahm, warnte der UN-Sonderberichterstatter über die Förderung und den Schutz der Meinungsfreiheit, es bestehe nach wie vor "das Risiko, ein Klima der Selbstzensur zu schaffen". Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und mehrere Menschenrechtsorganisationen kritisierten die starke Einflussnahme der Regierung auf die Medienaufsichtsbehörde sowie deren weitreichende Befugnisse.
Religionsfreiheit
Am 12. Juli 2011 löste ein neues Gesetz Proteste mehrerer Kirchen und NGOs sowie des Menschenrechtskommissars des Europarats aus. Aufgrund der neuen gesetzlichen Bestimmungen wurde zahlreichen Religionsgemeinschaften die staatliche Anerkennung entzogen, u.a. mehreren islamischen Gruppen und der Evangelisch-methodistischen Kirche in Ungarn. Um eine Anerkennung zu beantragen, mussten Religionsgemeinschaften nachweisen, dass sie seit mindestens 20 Jahren in Ungarn organisiert waren und mindestens 1000 Mitglieder hatten. Mehrere Religionsgemeinschaften legten Beschwerde beim Verfassungsgericht ein, um das Gesetz überprüfen zu lassen. Am 19. Dezember entschied das Verfassungsgericht, das Gesetz sei aus formalen Gründen nicht verfassungsgemäß. Am 30. Dezember verabschiedete das Parlament das Gesetz mit nur geringfügigen Änderungen erneut.
Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern
Im Februar 2011 hob das Budapester Bezirksgericht eine Entscheidung der Polizei auf, die eine geplante Gay Pride Parade durch Budapest mit dem Argument verboten hatte, sie würde zu übermäßigen Verkehrsbehinderungen führen. Nach Ansicht des Gerichts rechtfertigte dies kein Verbot der Demonstration.
Die Veranstaltung wurde angemessen geschützt, jedoch berichteten NGOs von mehreren Vorkommnissen, bei denen Hass gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender geschürt wurde, sowie von einem tätlichen Angriff auf zwei Teilnehmer der Parade.
Polizei und Sicherheitskräfte
Im März 2011 annullierte das Parlament Gerichtsentscheidungen, die regierungskritische Proteste im September und Oktober 2006 in Budapest betrafen. Die Gerichte hatten 2006 mehrere Demonstrierende wegen Gewaltanwendung verurteilt und an den Vorfällen beteiligte Polizeibeamte freigesprochen. Die Gerichtsentscheidungen waren dem Vernehmen nach parteiisch, da sie ausschließlich auf Zeugenaussagen von Polizisten basierten. 2006 sollen Polizisten mit exzessiver Gewalt gegen friedliche Demonstrationen vorgegangen sein, die später in gewalttätige Ausschreitungen mündeten. Dabei sollen Gummigeschosse, Wasserwerfer und Tränengas wahllos und ohne Vorwarnung zum Einsatz gekommen sein.
- Im Juni 2011 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Falle eines Mannes, der in Gewahrsam misshandelt wurde, das Vorgehen der Polizei erfülle den Tatbestand unmenschlicher und erniedrigender Behandlung. Das Gericht sprach dem Beschwerdeführer, der vom Ungarischen Helsinki-Komitee vertreten wurde, eine Entschädigung in Höhe von mehr als 10000 Euro zu.