Kanada 2012
Amtliche Bezeichnung: Kanada Staatsoberhaupt: Königin Elizabeth II., vertreten durch Generalgouverneur David Johnston Regierungschef: Stephen Harper Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 34,3 Mio. Lebenserwartung: 81 Jahre Kindersterblichkeit: 6,1 pro 1000 Lebendgeburten
In Kanada wurden die Rechte der indigenen Bevölkerungsgruppen weiterhin systematisch verletzt. Auch konnten die Bedenken im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Antiterrormaßnahmen und Polizeioperationen nur zum Teil ausgeräumt werden.
Rechte indigener Völker
Im März 2011 wies das Kanadische Gericht für Menschenrechte (Canadian Human Rights Tribunal) eine Diskriminierungsklage ab. Darin wurde der Vorwurf erhoben, die kanadische Regierung stelle für Gemeinden mit überwiegend indigener Bevölkerung wesentlich weniger Mittel zur Finanzierung sozialer Einrichtungen für Kinder bereit als die Provinzregierungen für Gemeinden mit überwiegend nicht indigener Bevölkerung.
Das Gericht befand, ein Vergleich zwischen Zentralregierung und Provinzregierungen zum Zweck einer Diskriminierungsklage sei nicht statthaft. Das Urteil der Rechtsmittelinstanz stand Ende des Jahres noch aus.
Im April liefen aus einer leckgeschlagenen Pipeline auf dem traditionellen Land der Lubicon Cree im Norden der Provinz Alberta 4,5 Mio. Liter Rohöl aus; es war der schlimmste Unfall in Alberta seit 1975. Im August genehmigte die Provinzregierung die Wiederaufnahme des Pipeline-Betriebs, ohne die Lubicon Cree ernsthaft zu konsultieren. Internationale Menschenrechtsgremien hatten sich seit Langem besorgt über die Missachtung der Landrechte der Lubicon Cree geäußert.
Im August stellte der kanadische Rechnungshof fest, dass 39% der Wasser- und Abwassersysteme in den Gemeinden mit indigener Bevölkerung erhebliche Mängel aufwiesen. 73% der Trinkwasserleitungen und 65% des Kanalisationsnetzes stellten für die Bevölkerung eine mittel- bis hochgradige gesundheitliche Gefährdung dar. In einer früheren, von der Regierung in Auftrag gegebenen Studie war der Zusammenbruch des Wassersystems in den Gebieten der sogenannten First Nations auf mangelnde staatliche Mittel zurückgeführt worden.
Im Oktober befasste sich die Interamerikanische Menschenrechtskommission mit einer Beschwerde der indigenen Gemeinschaft der Hul’qumi’num, in der es um die Verletzung der Landrechte der indigenen Bevölkerung auf Vancouver Island in der Provinz British Columbia geht. Die Entscheidung der Kommission wird für 2012 erwartet.
Bei der Umsetzung der Reformen, die der Ipperwash-Untersuchungsbericht (Ipperwash Inquiry Report) im Jahr 2007 gefordert hatte, waren kaum Fortschritte zu verzeichnen. Gegenstand des Berichts war die Tötung eines unbewaffneten indigenen Demonstranten durch die Polizei während eines Streits um Landrechte in Ontario im Jahr 1995. Die Vorfälle auf dem Gebiet der Tyendinaga Mohawk in Ontario im Jahr 2008, als Beamte der Provinzpolizei ihre Präzisionsgewehre auf unbewaffnete Demonstrierende und Passanten richteten, sowie die Tatsache, dass diese Ereignisse nicht unparteiisch untersucht wurden, zeigten, dass die Ipperwash-Ergebnisse dringend umgesetzt werden müssen.
Eine Wahrheits- und Versöhnungskommission, die sich mit den Kindern der First Nations, der Métis und der Inuit beschäftigt, führte im Laufe des Jahres zahlreiche Anhörungen durch. Die Kommission hat die Aufgabe, Missbrauchsfälle zu dokumentieren und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche weitreichenden Schäden indigenen Kindern durch die bis vor wenigen Jahrzehnten übliche Zwangseinweisung in Internate zugefügt wurden.
Frauenrechte
Im Juli 2011 erklärte die Frauenministerin öffentlich, dass die Regierung nicht beabsichtige, einen nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung der weit verbreiteten Gewalt gegen indigene Frauen zu erstellen.
Im Oktober wurde in der Provinz British Columbia eine Untersuchung eingeleitet, in der es um das Verhalten der Polizei im Falle von ermordeten und verschwundenen Frauen ging, von denen viele zur indigenen Bevölkerung zählten. Vor Beginn der Untersuchung sagten 17 der 20 Organisationen, denen ein Betroffenenstatus eingeräumt worden war, ihre Mitwirkung ab, weil sie Zweifel an der Fairness des Verfahrens hatten.
Antiterrormaßnahmen und Sicherheit
Die Anhörungen im Beschwerdeausschuss der Militärpolizei zu den Vorwürfen, kanadische Soldaten hätten in Afghanistan Kriegsgefangene an die afghanischen Behörden überstellt, obwohl dies für die Betroffenen ein ernsthaftes Folterrisiko bedeutete, wurden im Februar abgeschlossen. Ende des Jahres lag der Bericht des Ausschusses noch nicht vor.
Im Oktober 2011 wurden Informationen veröffentlicht, denen zufolge die Beamten der Polizeieinheit Royal Canadian Mounted Police (RCMP), die im Oktober 2001 Abdullah Almalki in einer Mitteilung an die syrischen Behörden mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung gebracht hatten, keine Indizien dafür besaßen, dass er in kriminelle Aktivitäten verwickelt war, sondern ihn lediglich als "irgendeinen Araber, der hier bei uns herumläuft" betrachtet hatten. Der kanadische Staatsbürger war von Mai 2002 bis März 2004 in einem Gefängnis des syrischen Geheimdienstes inhaftiert und wurde dort gefoltert. Eine öffentliche Untersuchung gelangte 2008 zu dem Schluss, das Vorgehen kanadischer Beamter in seinem Fall und dem zweier weiterer Männer habe zu den Menschenrechtsverletzungen beigetragen, die die Betroffenen erlitten. Die kanadische Regierung entschuldigte sich weder bei den Betroffenen, noch sorgte sie für eine Entschädigung. Die Klage, die die drei Männer 2008 angestrengt hatten, war Ende 2011 noch anhängig.
Dem kanadischen Staatsbürger Omar Khadr, den die US-Streitkräfte 2002 im Alter von 15 Jahren in Afghanistan festgenommen und nach Guantánamo Bay verbracht hatten, wurde am 1. November 2011 zugestanden, den Rest seiner Haftstrafe in Kanada zu verbüßen. Er war im Oktober 2010 im Zuge einer Absprache zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Ende 2011 hatte die kanadische Regierung noch nicht über seinen Antrag auf Überstellung nach Kanada entschieden.
Flüchtlinge und Asylsuchende
Im Juni 2011 legte die Regierung erneut einen Gesetzentwurf vor, demzufolge die "illegale" Einreise von Asylsuchenden nach Kanada eine Straftat darstellt, beispielsweise wenn ein Schlepper eine Gruppe von Personen auf dem Seeweg einschleust. Der Entwurf sieht zwingende lange Freiheitsstrafen ohne zeitnahe Haftprüfung vor sowie andere Maßnahmen, die gegen internationale Standards verstoßen.
Polizei und Sicherheitskräfte
Im April 2011 setzten Beamte der RCMP in Prince George in der Provinz British Columbia eine Taserwaffe (Elektroschockpistole) gegen einen elfjährigen Jungen ein.
Im September gab die RCMP bekannt, dass gegen die beteiligten Beamten weder disziplinarrechtliche noch strafrechtliche Maßnahmen ergriffen würden.
Im Juni veröffentlichte die Polizei von Toronto eine interne Untersuchung über die Polizeieinsätze während der G8- und G20-Gipfeltreffen im Jahr 2010, bei denen es zu mehr als 1000 Festnahmen gekommen war. Die unabhängige Überprüfung einiger Aspekte der Polizeimaßnahmen durch das Aufsichtsgremium Toronto Police Services Board dauerte Ende 2011 noch an. Die Bundesregierung und die Provinzregierung von Ontario wiesen Forderungen nach einer öffentlichen Untersuchung zurück.
Internationale Strafverfolgung
Im Oktober 2011 ließ die Regierung den früheren US-Präsidenten George W. Bush bei einem Besuch in der Provinz British Columbia nicht festnehmen, obwohl klare Beweise dafür vorlagen, dass er für Straftaten nach dem Völkerrecht, wie z.B. Folterungen, verantwortlich war.