Amnesty Report Belarus 04. Mai 2012

Belarus 2012

 

Amtliche Bezeichnung: Republik Belarus Staatsoberhaupt: Alexander Lukaschenko Regierungschef: Michail Mjasnikovich Todesstrafe: nicht abgeschafft Einwohner: 9,6 Mio. Lebenserwartung: 70,3 Jahre Kindersterblichkeit: 12,1 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 99,7%

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden im Laufe des Jahres weiter eingeschränkt. Die Regierung ließ nach wie vor Hinrichtungen vollstrecken. Gewaltlose politische Gefangene waren weiterhin in Haft und wurden gefoltert und misshandelt. Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren war eingeschränkt.

Hintergrund

Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich 2011, was zu vermehrten sozialen Unruhen führte. Die Regierung reagierte darauf mit Einschränkungen der Meinungsfreiheit sowie der Versammlungs- und der Vereinigungsfreiheit.

Am 17. Juni äußerte der UN-Menschenrechtsrat Besorgnis über die Lage in Belarus. Er verurteilte die Menschenrechtsverletzungen nach den Wahlen im Dezember 2010 und forderte die Regierung nachdrücklich auf, umfassend mit den UN-Menschenrechtsorganen zusammenzuarbeiten, internationale Beobachter zuzulassen und sie nicht in ihrer Arbeit zu behindern, festzunehmen oder auszuweisen. Die Beziehungen zur EU verschlechterten sich. Am 10. Oktober kündigte der Rat der Europäischen Union an, das Einreiseverbot für Personen, die für die Verletzung internationaler Wahlstandards und für das harte Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft verantwortlich waren, bis zum 31. Oktober 2012 zu verlängern.

Todesstrafe

Im Berichtsjahr wurden zwei Männer hingerichtet und zwei Todesurteile verhängt.

  • Andrei Burdyka und ein weiterer Mann wurden zwischen dem 14. und 19. Juli 2011 hingerichtet. Die Mutter von Andrei Burdyka erhielt erst drei Monate später eine offizielle Bestätigung seines Todes. Die Familie des zweiten Mannes war bis Ende des Jahres noch nicht vom Tod ihres Angehörigen in Kenntnis gesetzt worden. Die Todesurteile wurden vollstreckt, obwohl der UN-Menschenrechtsausschuss am 17. Dezember 2010 an die belarussische Regierung appelliert hatte, die beiden Männer nicht hinzurichten, bevor der Ausschuss die Fälle überprüft habe.

Folter und andere Misshandlungen

In Belarus existierte kein unabhängiges System zur Überwachung der Hafteinrichtungen. Beschwerden gegen Vollzugsbeamte wurden von der Staatsanwaltschaft meist abgelehnt, und die Beschwerdeführer mussten mit Vergeltungsmaßnahmen der Polizei rechnen.

  • Der Präsidentschaftskandidat Alyaksei Mihalevich, dem die Organisation einer Demonstration in Minsk am 19. Dezember 2010 zur Last gelegt worden war, hielt am 28. Februar 2011, wenige Tage nach seiner Freilassung gegen Kaution, eine Pressekonferenz ab. Er erklärte, dass er und andere Gefangene in der Haft gefoltert und misshandelt worden seien. So habe man sie bis zu sechsmal täglich einer Leibesvisitation unterzogen und gezwungen, längere Zeit in schmerzhaften Positionen zu verharren.

  • Zmitser Dashkevich, der am 24. März 2011 im Zusammenhang mit einer Demonstration im Dezember 2010 zu zwei Jahren Haft in einem Arbeitslager verurteilt wurde, musste im Lauf des Jahres achtmal Zeit in einer Strafzelle verbringen. Häftlinge, die dort in Isolationshaft gehalten werden, dürfen nicht am Hofgang teilnehmen, erhalten kein Bettzeug und werden unter Schlafentzug gesetzt. Die Gefangenen werden auch tagsüber daran gehindert, sich auf ihre Pritschen zu legen oder zu setzen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im März 2011 wurde gegen den Journalisten Andrzej Poczobut Anklage erhoben. Der Vorwurf lautete, er habe in Artikeln für die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza Präsident Lukaschenko "beleidigt" und "verleumdet". Am 5. Juni verurteilte man ihn zu drei Jahren Haft auf Bewährung.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Im gesamten Jahr 2011 sahen sich registrierte und nicht registrierte Menschenrechtsgruppen mit Schikanen und Strafverfolgungsmaßnahmen konfrontiert. Nach einer Änderung des Gesetzes über gesellschaftliche Vereinigungen war es allen belarussischen NGOs ab dem 3. Oktober verboten, bei Banken im Ausland Konten zu halten und Geld anzulegen. Die Venedig-Kommission des Europarats erklärte, das belarussische Strafgesetz, das die Beteiligung an Aktivitäten nicht registrierter politischer Parteien oder anderer gesellschaftlicher Vereinigungen zur Straftat erklärt, sei "unvereinbar mit einer demokratischen Gesellschaft".

  • Der Vorsitzende des Menschenrechtszentrums Viasna, Ales Bialiatski, wurde am 4. August 2011 festgenommen und am 12. August wegen "Verschleierung von Einkommen in erheblichem Umfang" angeklagt, was mit bis zu sieben Jahren Haft geahndet werden kann. Man warf ihm vor, in Litauen ein persönliches Bankkonto eingerichtet zu haben, um die Arbeit der Menschenrechtsorganisation zu unterstützen. Viasna war im Jahr 2003 die staatliche Registrierung entzogen worden. Die Organisation durfte deshalb in Belarus kein Bankkonto eröffnen. Das Verfahren gegen Ales Bialiatski begann am 2. November; am 24. November wurde er zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Amnesty International betrachtet ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen und fordert seine bedingungslose Freilassung.

  • Am 12. Januar erteilte das Justizministerium dem belarussischen Helsinki-Komitee eine förmliche Rüge, weil es der UN-Sonderberichterstatterin über die Unabhängigkeit der Richter und Rechtsanwälte einen Bericht zugesandt hatte, der die Einschränkungen schilderte, mit denen Rechtsanwälte in Belarus konfrontiert sind. Das Ministerium erklärte, der Bericht sei "ein Versuch, die Republik Belarus in den Augen der Welt zu diskreditieren". Im Juni erhielt das Helsinki-Komitee einen rückdatierten Steuerbescheid. Er bezog sich auf Gelder, die das Komitee im Jahr 2002 von der Europäischen Kommission erhalten hatte und die zum damaligen Zeitpunkt nicht steuerpflichtig waren. Zusammen mit dem Steuerbescheid erhielt die Organisation eine zweite Warnung des Justizministeriums wegen Verstößen gegen die Bestimmungen für NGOs. Im Dezember beantragte das Ministerium für Steuern und Abgaben beim Justizministerium, das Büro des belarussischen Helsinki-Komitees zu schließen.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Die Einschränkungen für öffentliche Versammlungen jeder Art wurden im Lauf des Jahres 2011 weiter verschärft. Am 3. Oktober billigte das Parlament Änderungen am Gesetz über öffentliche Versammlungen. Danach benötigt jede geplante öffentliche Zusammenkunft eine offizielle Genehmigung. Die Organisatoren müssen angeben, aus welchen Quellen die Mittel zur Finanzierung der Versammlung stammen, und sie dürfen erst dann für ihre Veranstaltung werben, wenn die offizielle Genehmigung vorliegt, das heißt mitunter erst fünf Tage vorher. Die Befugnisse der Polizeikräfte wurden ausgeweitet. Sie dürfen bei Versammlungen Audio- und Videoaufzeichnungen machen, die Zahl der Teilnehmer begrenzen und Leibesvisitationen durchführen.

  • Von Mai bis Juli gab es wöchentlich sogenannte schweigende Proteste. Dabei versammelten sich im ganzen Land Gruppen von Menschen und schlenderten wortlos umher. In manchen Fällen applaudierten sie oder stellten die Wecker ihrer Mobiltelefone so ein, dass sie gleichzeitig klingelten. Nach Angaben des Menschenrechtszentrums Viasna nahmen die Behörden mehr als 2000 Teilnehmer an solchen "schweigenden Protesten" fest. Einige von ihnen erlitten Schläge und andere Formen unverhältnismäßiger Gewalt. Etwa 80% der Festgenommenen wurden später ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren zu fünf bis 15 Tagen Verwaltungshaft oder zu einer Geldbuße verurteilt. Am 29. Juli wurde ein drakonisches Gesetz verabschiedet, demzufolge für alle Versammlungen, die "aktiv oder inaktiv gesellschaftspolitische Ansichten oder Protest ausdrücken", eine Genehmigung der Regierung erforderlich ist.

  • Am 16. Oktober wurde der Menschenrechtsanwalt Roman Kislyak festgenommen, als er mit einem Megafon die Hauptstraße von Brest entlangging und die Freilassung von Ales Bialiatski forderte. Man warf ihm vor, einen Demonstrationsmarsch abgehalten zu haben, und stellte ihn am folgenden Tag vor ein Verwaltungsgericht. Der Richter verwies den Fall zur Durchführung weiterer Ermittlungen an die Polizei zurück. Am 28. Oktober verhängte das Bezirksgericht des Leninbezirks der Stadt Brest eine Geldstrafe von umgerechnet 3 Euro gegen ihn. Dieses Urteil wurde in der zweiten Instanz bestätigt.

Gewaltlose politische Gefangene

Die Verfahren gegen führende politische Aktivisten wegen der Organisation oder Beteiligung an der weitgehend friedlichen Demonstration in Minsk am 19. Dezember 2010 wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2011 fortgesetzt. Ende des Jahres waren immer noch sechs Personen inhaftiert, die in diesem Zusammenhang festgenommen worden waren. Alle sechs waren gewaltlose politische Gefangene. Zmitser Bandarenka wurde am 26. März zu zwei Jahren Haft in einem Arbeitslager verurteilt, Andrei Sannikau am 14. Mai zu einer Haftstrafe von fünf Jahren. Pavel Sevyarynets wurde am 16. Mai zu drei Jahren Haft verurteilt, Mykalau Statkevich zehn Tage später zu sechs Jahren. Am 24. März ergingen die Urteile gegen Zmitser Dashkevich und Eduard Lobau. Sie lauteten auf zwei bzw. vier Jahre wegen "Rowdytums". Gegen andere Angeklagte wie z.B. Iryna Khalip, die Frau von Andrei Sannikau, wurden Bewährungsstrafen verhängt. Sechs andere gewaltlose politische Gefangene kamen im Laufe des Jahres frei. Bei drei von ihnen wurde das Verfahren eingestellt, ein weiterer wurde gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt und beantragte in einem anderen Land Asyl.

Unfaire Gerichtsverfahren

Ungeachtet aller gesetzlichen Garantien hatten die Menschen, die im Zusammenhang mit den Demonstrationen vom 19. Dezember 2010 angeklagt wurden, nur eingeschränkten Zugang zu ihren Anwälten und konnten sie nicht unter vier Augen sprechen. Einige Anwälte berichteten, man habe ihnen ein Treffen mit ihren Klienten oft mit der Begründung verweigert, es mangele an geeigneten Räumlichkeiten. Die Regierung erklärte, in der Haftanstalt des Geheimdienstes KGB in Minsk gebe es nur zwei Räume für Gespräche mit Anwälten, deshalb habe die Zahl dieser Treffen eingeschränkt werden müssen.

Einige Anwälte führender Oppositioneller, denen man "Organisation von Massenunruhen" im Dezember 2010 vorwarf, wurden im März 2011 aus der Anwaltskammer ausgeschlossen, darunter Pavel Sapelko, der Verteidiger von Andrei Sannikau. Am 7. August 2011 verlor auch Tamara Sidorenko, die Anwältin von Alyaksei Mihalevich, ihre Zulassung.

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