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#BTW21: Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht!
Über den eigenen Körper, die eigene Gesundheit und das eigene Sexualleben entscheiden – das ist ein grundlegendes Menschenrecht. Trotzdem gibt es Staaten, die zum Beispiel transgeschlechtlichen Personen die Änderung ihrer Geschlechtsbezeichnung in ihren Dokumenten verbieten. Damit verletzen diese Staaten die Europäische Menschenrechtskonvention. Auch intergeschlechtliche Menschen sind nicht ausreichend geschützt. Die neue Bundesregierung muss das Recht auf Selbstbestimmung endlich umfassend garantieren!
Fehlende Selbstbestimmung für transgeschlechtliche und nicht-binäre Menschen – was sich ändern muss!
Im Jahr 1992 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erstmals: Erlaubt ein Staat es transgeschlechtlichen Personen nicht, die Geschlechtsbezeichnung in ihren offiziellen Dokumenten zu ändern, verletzt dieser Staat damit die Europäische Menschenrechtskonvention. Heute, fast 30 Jahre später, kämpfen viele transgeschlechtliche Menschen in Deutschland weiterhin darum, dass ihr Geschlecht rechtlich anerkannt wird.
Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, können aktuell in Deutschland nicht selbst über ihren Geschlechtseintrag bestimmen. Stattdessen müssen sie sich einer oftmals langwierigen und diskriminierenden Prozedur unterziehen. Um ihren Namen anzugleichen und eine rechtliche Anerkennung ihres Geschlechts zu erwirken, müssen sie eine stigmatisierende psychiatrische Diagnose erhalten. Zudem müssen sie sich einem "Alltagstest" sowie einem gerichtlich angeordneten Begutachtungsprozess unterziehen.
Menschen, die sich nicht als männlich oder weiblich identifizieren, dürfen außerdem in ihren offiziellen Dokumenten nicht die bereits existierende Bezeichnung "divers" wählen, solange sie nicht intergeschlechtlich sind. Somit haben sie keine Möglichkeit eines Geschlechtseintrags, der ihre nicht-binäre Identität widerspiegelt.
Darüber hinaus erleben transgeschlechtliche Personen oft Diskriminierungen. Das zeigt eine Datenerhebung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte aus dem Jahr 2015. Demnach erlebt mehr als die Hälfte aller befragten transgeschlechtlichen Personen (54 %) Diskriminierungen oder Belästigungen u.a. im Bildungswesen, Arbeitsmarkt und im Gesundheitswesen, weil sie als transgeschlechtlich wahrgenommen wurden[1]. Besonders beunruhigend war dabei das hohe Maß an wiederholten Gewalterfahrungen und vorurteilsmotivierter Kriminalität.
Mangelnder Schutz von intergeschlechtlichen Menschen – es gibt viel zu tun!
Im Mai 2021 trat ein Gesetz in Kraft, das Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung schützen soll. Es verbietet operative Eingriffe an inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen eines Kindes, solange es nicht einwilligen kann und es sich nicht um eine Notfallmaßnahme handelt. Dies war ein sehr wichtiger und begrüßenswerter Schritt, um die körperliche Integrität für Kinder mit Variationen der Geschlechtsmerkmale zu schützen.
Körper von Menschen mit Varianten der Geschlechtsmerkmale werden oft als unnatürlich oder krankhaft betrachtet, da sie dem tief verankerten Glauben, es gäbe nur zwei Geschlechter, gegenüberstehen. Menschenrechtsverletzungen an intergeschlechtlichen Personen sind eng mit der Pathologisierung ihrer Körper und den fest verwurzelten binären Geschlechterstereotypen verknüpft. Neben dem Recht auf Selbstbestimmung werden insbesondere die Rechte auf Privatleben, auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit und auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Es bedarf daher weiterer Maßnahmen, um einen umfassenden Schutz der Rechte von Menschen sicherzustellen, deren Körper sich nicht den vorherrschenden Definitionen von männlich und weiblich zuordnen lassen.
[1] Agentur der Europäischen Union für Grundrechte: Leben als Trans* in der EU - Vergleichende Datenanalyse aus der EU-LGBT-Erhebung – Zusammenfassung (2015) https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2015-being-tr…
Unsere Forderungen konkret:
- Die Bundesregierung entwickelt einen Gesetzesvorschlag, der darauf abzielt, das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 sowie die derzeitige Praxis zu ändern. Ziel ist dabei, ein schnelles, zugängliches und transparentes Verfahren zu etablieren, mit dem den einzelnen Personen auf Grundlage ihrer Selbsterklärung die Angleichung des Personenstandes und Namens ermöglicht wird. Die derzeitige Praxis, die transgeschlechtliche und nicht-binäre Menschen dazu verpflichtet, sich externen Beurteilungen, einer psychiatrischen Begutachtung, einem "Alltagstest", gerichtlichen Verfahren oder anderen Untersuchungen zu unterziehen, wird beendet.
- Die Bundesregierung folgt der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation und löst transgeschlechtliche Identitäten aus der Klassifikation psychischer Erkrankungen heraus. Sie stellt weiterhin zum einen sicher, dass die Aspekte, die für die Gesundheitsversorgung relevant sind, in einer nicht stigmatisierenden Gesundheitskategorie neu einordnet werden. Zum anderen garantiert sie, dass transgeschlechtliche Personen Zugang zu medizinischen Behandlungen haben, nachdem sie sachkundig informiert wurden und daraufhin zugestimmt haben. Dabei wird auch sichergestellt, dass für die medizinische Versorgung insbesondere von transgeschlechtlichen Personen keine stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit aufrechterhalten werden.
- Die Bundesregierung stellt sicher, dass es keine pauschalen Altersbeschränkungen für das Verfahren zur rechtlichen Geschlechtsanerkennung gibt. Sie gewährleistet, dass die rechtliche Anerkennung für Minderjährige zugänglich ist. Dabei werden die frei geäußerten Ansichten des Kindes hinsichtlich des eigenen Wohls im Einklang mit den sich entwickelnden Fähigkeiten beachtet.
- Die Bundesregierung stellt sicher, dass nicht-staatliche Institutionen und Einrichtungen schnelle, zugängliche und transparente Verfahren einrichten, die darauf abzielen, transgeschlechtlichen Personen Dokumente, wie z.B. Diplome oder andere Bildungsnachweise, auszustellen, die ihre Geschlechtsidentität widerspiegeln.
- Die Bundesregierung stellt sicher, dass alle Informationen über Angleichungen des gesetzlichen Namens und des Geschlechts vertraulich behandelt werden. Solche Informationen dürfen generell nicht ohne die ausdrückliche Zustimmung der betroffenen Personen für Dritte zugänglich sein.
- Die Bundesregierung sorgt für einen ausdrücklichen gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität und des Geschlechtsausdrucks in allen Bereichen. Dazu gehört, dass Geschlechtsidentität und -ausdruck explizit als Gründe für die Verfolgung von vorurteilsmotivierter Kriminalität aufgenommen werden.
- Die Bundesregierung ergreift Maßnahmen, um das öffentliche Bewusstsein für transgeschlechtliche Identitäten und für Diskriminierung, die transgeschlechtliche Menschen erfahren, zu erhöhen.
- Die Bundesregierung stellt sicher: Krankenhäuser stellen neben den operativen Eingriffen auch invasive und irreversible Hormonbehandlungen an Säuglingen und Kindern mit Variationen der Geschlechtsmerkmale ein, sofern es sich nicht um Notfallmaßnahmen handelt. Dies geschieht bis diese in der Lage sind, aussagekräftig an der Entscheidungsfindung mitzuwirken und ihre informierte Einwilligung zu geben. Entschieden wird das nach dem Prinzip der sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen.
- Die Bundesregierung stellt sicher, dass die Beratungsangebote eine tatsächlich informierte Einwilligung für Menschen mit Varianten der Geschlechtsmerkmale ermöglichen. Das heißt, die Beratungsstellen müssen schriftlich und mündlich vollständig über die vorgeschlagene Behandlung, deren Begründetheit und Alternativen informieren. Damit kommt Deutschland der Empfehlung des UN-Ausschuss gegen Folter anlässlich seines Staatenberichts nach. Zudem werden sowohl die Beratung und als auch der Diagnoseprozess zu Variationen der Geschlechtsmerkmale von den Krankenkassen bezahlt.
- Das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit wird auch für Menschen mit Varianten der Geschlechtsmerkmale gewährleistet. Dafür wird garantiert, dass alle medizinischen Fachkräfte die Leitlinien vom Juli 2016 zur Behandlung von Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale umsetzen (S2k-Leitlinie 174/001 Varianten der Geschlechtsentwicklung). Ferner werden Richtlinien für die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale geschaffen und implementiert, die auf den Menschenrechten basieren. So wird deren körperliche Unversehrtheit, Autonomie und Selbstbestimmung gewährleistet.
- Das Fachpersonal im Medizin- und Gesundheitsbereich wird zu Geschlecht und körperlicher Vielfalt geschult. Damit kommt Deutschland der Forderung des UN-Ausschusses gegen Folter anlässlich seines Staatenberichts zu Deutschland nach. Diese Schulungen haben einen spezifischen Fokus auf Variationen der Geschlechtsmerkmale und erhalten Geschlechterstereotype nicht aufrecht. So soll Diskriminierungen im Behandlungsprozess vorgebeugt werden.
- Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale und deren Familien bekommen Zugang zu psychologischer Langzeitunterstützung. Dies gilt auch für Personen, die operiert wurden. Die psychologische Unterstützung für Erwachsene und Kinder mit Variationen der Geschlechtsmerkmale sowie ihrer Eltern werden von den Krankenkassen bezahlt.
- Erwachsene, die einer schädlichen und unnötigen medizinischen Behandlung unterzogen wurden, erhalten Zugang zu Schadenersatz oder einer anderen Form staatlicher Entschädigung. Damit kommt die Bundesregierung der Forderung von Selbstorganisationen von Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale und dem UN-Ausschuss gegen Folter nach.
- Um ihrer Verpflichtungen zur Beendigung schädlicher, auf Geschlechterstereotypen basierender Praktiken nachzukommen, ergreift die Bundesregierung weitere Maßnahmen. Ziel dieser Schritte ist es, der Pathologisierung intergeschlechtlicher Körper entgegenzuwirken. Dazu gehört, dass Geschlechtsmerkmale ausdrücklich als verbotener Diskriminierungsgrund in die Antidiskriminierungsgesetzgebung aufgenommen werden. Außerdem wird die Gleichbehandlung von Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale in Gesetzgebung und Praxis geschützt und gefördert.
- Die Bundesregierung stellt sicher, dass Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale Zugang zu einem schnellen und transparenten Verfahren erhalten und so die Angleichung des Personenstandes und ihres Namens erwirkt werden kann. Dabei wird sichergestellt, dass das Verfahren allein auf der Grundlage der Selbstdeklaration der einzelnen Personen basiert. Auf ein ärztliches Attest oder andere Begutachtungsprozesse wird verzichtet.