Amnesty Report Philippinen 28. März 2023

Philippinen 2022

Menschen hinter Kerzen halten Plakate auf denen u.a. steht: „Justice for Percy Lapid“.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Im Rahmen des "Anti-Drogen-Kriegs" kam es weiterhin zu rechtswidrigen Tötungen. Tausende in der Vergangenheit verübte Tötungen blieben nach wie vor straflos. Die Unterdrückung Andersdenkender wurde verschärft und das Recht auf freie Meinungsäußerung weiter eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger*innen, politische Aktivist*innen, Journalist*innen und weitere regierungskritische Personen wurden willkürlich festgenommen, inhaftiert oder sogar getötet. Die Behörden blockierten Internetseiten und ordneten die Schließung unabhängiger Medien an.

Hintergrund

Bei den im Mai 2022 durchgeführten Wahlen wurden Ferdinand "Bongbong" Marcos Jr., Sohn des ehemaligen Präsidenten Marcos, zum Präsidenten und Sara Duterte-Carpio, Tochter des ehemaligen Präsidenten Duterte, zur Vizepräsidentin gewählt. Der im Jahr 2016 begonnene "Anti-Drogen-Krieg", der mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen einherging, wurde fortgesetzt. Im Oktober 2022 kamen über 150 Menschen bei Überschwemmungen und Erdrutschen ums Leben, die durch einen schweren Tropensturm ausgelöst worden waren.

Außergerichtliche Tötungen und Straflosigkeit

Nach dem Amtsantritt der neuen Regierung erhöhte sich die Zahl der im Rahmen des "Anti-Drogen-Kriegs" verübten Tötungen. Laut Angaben der universitären Forschungsgruppe Dahas wurden im Jahr 2022 im Zusammenhang mit dem "Anti-Drogen-Krieg" insgesamt 324 von der Polizei oder von unbekannten Angreifer*innen verübte Tötungen registriert, 175 davon in der zweiten Jahreshälfte.

Im September 2022 gab das Justizministerium bekannt, dass es Anklage wegen Mordes gegen mindestens 30 Polizeikräfte erheben werde. Die Angeklagten waren im Jahr 2021 an Razzien in der Region Calabarzon beteiligt, die sich gegen regierungskritische Aktivist*innen richteten und bei denen neun Menschen getötet wurden. Im August kündigte das Ministerium zudem an, dass es 250 Fälle von Tötungen überprüfen werde, zu denen es in Zentral-Luzon im Rahmen von Einsätzen zur Drogenbekämpfung gekommen war. Die überwiegende Mehrheit der Tötungen, die im Zusammenhang mit dem "Anti-Drogen-Krieg" standen, wurde jedoch nicht untersucht.

Im Juni 2022 beantragte der Staatsanwalt des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) bei der Vorverfahrenskammer des IStGH die Wiederaufnahme der Ermittlungen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit, auch im Kontext des "Anti-Drogen-Kriegs". Der Staatsanwalt erklärte, dass die Ermittlungen der nationalen Behörden unzureichend gewesen seien und daher die auf Antrag der philippinischen Regierung zum Ende des Jahres 2021 erfolgte Aussetzung der IStGH-Ermittlungen ungerechtfertigt war. Die philippinische Regierung lehnte eine Zusammenarbeit mit dem IStGH weiterhin ab.

Trotz einer entsprechenden Empfehlung der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte verlängerte der UN-Menschenrechtsrat im Oktober 2022 nicht das Mandat des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) für die Beobachtung und Berichterstattung über die Menschenrechtslage und die Fortschritte bei der Rechenschaftspflicht auf den Philippinen. Das UN-Programm zur Unterstützung der philippinischen Regierung durch Gewährung technischer Hilfe und den Ausbau von Kapazitäten wurde fortgesetzt, stand jedoch wegen mangelnder Fortschritte in Schlüsselbereichen in der Kritik.

Im November 2022 wurden die Aktivisten Ericson Acosta und Joseph Jimenez getötet, nachdem sie Berichten zufolge von Sicherheitskräften festgenommen worden waren. Die Tötungen fanden vor dem Hintergrund zunehmender bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und der bewaffneten Oppositionsgruppe New People’s Army (NPA) in der Provinz Negros Occidental statt.

Unterdrückung Andersdenkender

Die weiter bestehende Praxis des sogenannten "Red-Tagging", bei dem die Behörden und deren Unterstützer*innen Organisationen und Einzelpersonen mit kommunistischen Gruppen in Verbindung bringen und als "rot" brandmarken, führte auch 2022 zu Tötungen, willkürlichen Inhaftierungen und Drangsalierungen von Menschenrechtsverteidiger*innen, politischen Aktivist*innen und anderen Personen.

Am 15. Januar 2022 erschossen Unbekannte in der Provinz Sorsogon Silvestre Fortades und Rose Marie Galias, beide Mitglieder einer als "rot" eingestuften Organisation, die sich für die Rechte von Bäuer*innen und Arbeitnehmer*innen einsetzte.

Am 18. Februar 2022 nahm die Polizei die als "rot" gebrandmarkte Ärztin Natividad Castro fest, die sich um die medizinische Versorgung indigener Gemeinschaften in Mindanao kümmerte. Im März wies das Prozessgericht der Region Bayugan City die gegen die Ärztin erhobenen Anklagen wegen Entführung und rechtswidriger Gefangennahme ab, hob diese Entscheidung jedoch im Juni wieder auf. Die gerichtliche Anordnung zur erneuten Festnahme von Natividad Castro war bis zum Jahresende noch nicht vollstreckt worden.

Im August 2022 nahm die Polizei die als "rot" eingestufte Menschenrechtsverteidigerin Adora Faye de Vera in Metro Manila fest. Sie war bereits in den 1970er-Jahren während des von Ex-Präsident Marcos Sr. verhängten Kriegsrechts willkürlich inhaftiert worden und hatte sich seitdem dafür eingesetzt, dass andere Opfer des Kriegsrechts Gerechtigkeit erfahren. Adora Faye de Vera befand sich zum Jahresende weiterhin in Polizeigewahrsam. Ihr wurde im Zusammenhang mit einem angeblichen Hinterhalt im Jahr 2009, bei dem Angehörige der Sicherheitskräfte getötet wurden, Mord und Rebellion vorgeworfen.

Das im September 2022 erfolgte "Red-Tagging" der Richterin Marlo Magdoza-Malagar durch einen ehemaligen Sprecher der Nationalen Einsatzgruppe zur Beendigung des lokalen kommunistischen bewaffneten Konflikts (National Task Force to End Local Communist Armed Conflict) wurde vom Obersten Gerichtshof der Philippinen scharf kritisiert. Die Richterin hatte zuvor einen Antrag des Justizministeriums abgelehnt, die Kommunistische Partei der Philippinen und ihren bewaffneten Arm, die NPA, als terroristische Gruppen einzustufen.

Die gewaltlose politische Gefangene und ehemalige Senatorin Leila de Lima verbrachte aufgrund politisch motivierter Vorwürfe wegen Drogendelikten 2022 ihr sechstes Jahr in Haft, obwohl Hauptzeug*innen ihre Aussagen zurückgezogen hatten. Im August 2022 wies das Büro der Ombudsperson in einem anderen Fall gegen Leila de Lima erhobene Vorwürfe wegen Bestechung zurück.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Tätliche Angriffe und gerichtliche Schikanen gegen Journalist*innen nahmen zu, und unabhängige Nachrichtenseiten im Internet wurden blockiert.

Im Jahr 2022 wurden mindestens zwei Journalist*innen getötet, darunter der bekannte Radiomoderator Percival Mabasa (bekannt als Percy Lapid). Er wurde am 3. Oktober in Las Piñas City, Metro Manila, erschossen. Ein Mann, der an der Tötung beteiligt gewesen sein soll, wurde kurz darauf im Gefängnis getötet. Der Leiter der Strafvollzugsbehörde, den Percy Lapid in einer Sendung wegen Korruption kritisiert hatte, wurde später als Verdächtiger genannt. Die Ermittlungen dauerten zum Jahresende noch an.

Im Juni 2022 wies die Nationale Kommission für Telekommunikation (NTC) Internetdienstanbieter an, den Zugang zu 28 Websites zu sperren. Davon betroffen waren u. a. Websites unabhängiger Mediengruppen, die von der Regierung beschuldigt wurden, mit "Terroristen und terroristischen Organisationen" in Verbindung zu stehen oder diese zu unterstützen. Nachdem das Nachrichtenportal Bulatlat Rechtsmittel eingelegt hatte, wies ein Gericht die NTC an, die Sperrung der Bulatlat-Website aufzuheben. Im Oktober 2022 wurde Ronalyn Olea, Chefredakteurin von Bulatlat, von einem Nachrichtensprecher eines regierungsnahen Fernsehsenders als "rot" gebrandmarkt. Er beschuldigte sie in einer Sendung, Internetseiten für kommunistische Organisationen zu betreiben.

Im Juli 2022 bestätigte das Berufungsgericht die Verurteilung der Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa und ihres ehemaligen Mitarbeiters Reynaldo Santos Jr. wegen Verleumdung im Internet. Ein zweites Rechtsmittel wurde im Oktober abgewiesen. Maria Ressa ist Gründerin des unabhängigen Nachrichtenportals Rappler und Reynaldo Santos ein ehemaliger Rechercheur des Portals. Das Verfahren gegen die beiden stand im Zusammenhang mit einem im Jahr 2012 veröffentlichten Artikel, in dem ein Geschäftsmann beschuldigt worden war, in den Drogen- bzw. Menschenhandel verwickelt zu sein. Den beiden Medienschaffenden drohten mehr als sechs Jahre Gefängnis, falls ihr letztes Rechtsmittel vor dem Obersten Gerichtshof erfolglos bleiben sollte. Gegen Maria Ressa waren zum Jahresende noch mindestens sieben weitere Verfahren anhängig. Ein Rechtsmittel, das gegen eine Anordnung zur Schließung von Rappler eingelegt worden war, war Ende 2022 ebenfalls noch anhängig.

Im August 2022 wurde der politische Aktivist und ehemalige Vizepräsidentschaftskandidat Walden Bello unter dem Vorwurf der Verleumdung im Internet festgenommen. Der ehemalige Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit der amtierenden Vizepräsidentin Sara Duterte hatte die Klage eingereicht. Grund dafür waren Kommentare, in denen Walden Bello den Kläger mit Drogengeschäften in Verbindung gebracht haben soll. Ein Antrag Walden Bellos auf Abweisung der Klage war zum Jahresende noch anhängig. Die Klage wurde weithin als Versuch angesehen, eine führende Stimme der Opposition zum Schweigen zu bringen.

Rechte indigener Gemeinschaften

Im April 2022 schoss das Sicherheitspersonal einer privaten Plantage während des Treffens eines Präsidentschaftskandidaten mit Sprecher*innen der indigenen Gemeinschaft der Manobo-Pulangiyon in der Provinz Bukidnon mit scharfer Munition. Mindestens fünf Personen wurden dabei verletzt. Im September forderte die indigene Gemeinschaft die Regierung auf, den Vorfall zu untersuchen, die Ansprüche auf ihr angestammtes Land rechtlich anzuerkennen und der Landnahme durch private Unternehmen, die zur Vertreibung der Gemeinschaft geführt hatte, ein Ende zu setzen.

Klimakrise

Präsident Marcos Jr. verpflichtete sich bei seinem Amtsantritt, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. Haushaltskürzungen, die u. a. die nationale Kommission für Klimawandel betrafen, sowie ein politischer Vorstoß zur stärkeren Nutzung von Atomenergie und fossiler Brennstoffe weckten jedoch bei Umweltgruppen Zweifel daran, dass die Pläne zur Anpassung an den Klimawandel und die Zusagen zur verstärkten Nutzung erneuerbarer Energiequellen eingehalten werden können.

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