Amnesty Journal Saudi-Arabien 04. Juni 2018

Schleier in den Stadien

Zeichnung einer aufgeschlagenen Zeitschrift

In Saudi-Arabien kämpfen Frauen seit Jahren um mehr Rechte – auch auf dem Fußballplatz. Die konservativen Herrscher gerieren sich weiter als Spielverderber.

Von Sonia Larsen, Riad

Im Januar konnten saudi-arabische Frauen erstmals ihre Lieblingsmannschaften direkt von der Tribüne anfeuern. Nachdem Ende 2017 die Erlaubnis erteilt worden war, hatte man drei Stadien überstürzt renoviert, um die strengen Regeln des Königreichs zur Geschlechtertrennung einzuhalten. Der Beschluss war symbolträchtig: Bilder von weiblichen Fans, die ihre Teams feierten, sandten die Botschaft in die Welt, dass Fußball nicht nur ein Männersport ist – nicht einmal im konservativen Saudi-Arabien.

Für saudische Frauen gibt es kaum Gelegenheiten, Sport zu treiben, oder sich überhaupt körperlich zu betätigen. Die rigide Geschlechterpolitik ist weltweit berüchtigt, allen voran das rückständige Fahrverbot für Frauen, das diesen Sommer enden soll. Aber auch das Vormundschaftssystem, das verhindert, dass Frauen ohne Zustimmung ihres Mannes das Land verlassen dürfen, zählt dazu.

Der Sport bildet dabei keine Ausnahme. Bis 2017 war es nicht möglich, Fitnessclubs für Frauen einzurichten – obwohl bereits fünf Jahre zuvor saudische Athletinnen erstmals an den Olympischen Spielen teilgenommen hatten. Zwar gab es vereinzelt Sporteinrichtungen, doch diese wurden in der Regel als Spas ­deklariert – mit einer kleinen Turnhalle im hinteren Bereich. Organisierte Sportangebote oder andere physische Aktivitäten, die sich direkt an Frauen richteten, gab es darüber hinaus allenfalls in abgeschlossenen Wohnanlagen oder in privaten Veranstaltungsorten – sie richteten sich damit vor allem an Ausländerinnen und wohlhabende saudische Frauen.

Zwar gab es bestimmte Gelände, die zum Walken freigehalten wurden. Doch da es in den meisten Monaten in Saudi-Arabien zu heiß ist, um sich im Freien in der Abaya fortzubewegen, dem langen, meist schwarzen Umhang, den Frauen tragen müssen, bleibt oft nur die Shopping Mall, um außerhalb der eigenen Wohnung ein paar Schritte zu gehen. Zwar wurde jüngst ein staatliches Programm zum Sportunterricht in Mädchenschulen gestartet, doch mangelt es weiter an ernsthaften Angeboten für organisierten Sport. Für das Recht, eine als dezidiert männlich wahrgenommene Sportart wie Fußball ausüben zu dürfen, muss weiter hart gekämpft werden.

Fußball genießt eine ungeheure Popularität in Saudi-Arabien, auch unter Frauen. Die Aufregung, die mit dem ersten ­offiziellen Stadionbesuch einherging, vermittelt jedoch den ­irreführenden Eindruck, damit habe die Teilnahme von Frauen am Fußball begonnen. Denn zum einen mangelt es trotz des ­erstaunlichen Beschlusses weiter an Unterstützung seitens

der Regierung, und konservative Teile der Gesellschaft leisten weiterhin starken Widerstand. Zum anderen haben saudi-arabische Frauen bereits seit Jahren Spiele angeschaut: zu Hause mit Freunden oder der Familie oder bei Auswärtsspielen von Vereinen wie Saudi al-Hilal.

Aber nicht nur als Zuschauerinnen treten saudische Frauen in Erscheinung, sondern auch als Spielerinnen – jenseits des Rampenlichts. Schon zehn Jahre bevor ihnen offiziell der Zutritt zu den Stadien gewährt wurde, reiste eine Frauenmannschaft aus Riad in die Ostprovinz und trat zu einer Partie an, die als ers­tes Frauenfußballspiel in Saudi-Arabien gilt. Den Erzählungen einer beteiligten Spielerin zufolge wurde der Auftritt von zahlreichen Zuschauerinnen verfolgt.

Die Begegnung markierte den Anfang einer Frauenfußball­liga in Riad, machte aber auch deutlich, welche Herausforderungen noch zu bewältigen sind: Auch wenn bestimmte Medien das Ereignis begrüßten, sahen sich die Frauen mit Kritik von Konservativen konfrontiert, die dafür sorgten, dass ihnen neue ­Restriktionen auferlegt wurden.

Obwohl die gesellschaftlichen Hürden hoch sind und es kaum Unterstützung durch die Behörden gibt, haben sich die Frauen Saudi-Arabiens nicht davon abhalten lassen, in inoffiziellen Mannschaften zu spielen – oft hinter hohen Mauern, die sie vor dem Blick der Öffentlichkeit abschotten. Eine Frau erinnert sich daran, dass in den ersten Mädchenmannschaften manche der Mitspielerinnen nicht einmal ihren Eltern davon ­erzählten. Stattdessen gaben sie an, eine Freundin zu besuchen oder für die Schule zu üben.

Zehn Jahre später überwiegt die Einschätzung, dass große Fortschritte gemacht wurden. Aber obwohl viele Spielerinnen inzwischen den Rückhalt ihrer Familien genießen, erzählen sie entfernteren Verwandten und Arbeitgebern immer noch nicht davon. Medienauftritte führen weiterhin zu negativen Reaktionen in den sozialen Medien, und eine Spielerin gibt an, dass sie "dumm genug" war, die Leserkommentare zu einem Bericht über Frauenfußball in Saudi-Arabien gelesen zu haben. Immer noch halten es viele Konservative für unerhört, dass Frauen im Königreich überhaupt Fußball spielen – obwohl sie sich an die restriktiven Kleiderregeln halten und selbst bei Interviews ihr Gesicht bedecken.

Als Prinzessin Rima bint Bandar Al Saud 2016 zur Vorsitzenden des Frauensportverbands ernannt wurde – als erste Frau in dieser Position –, bedeutete das den Beginn einer neuen Ära. Aber obwohl die Regierung den Frauensport weiterentwickeln will, ist es weiterhin schwer, eine Frauenfußballmannschaft in Saudi-Arabien zu unterhalten. Praktische Fragen wie die Anmietung eines Spielfelds sind nicht einfacher geworden. Eine Kombination aus strikten Trennungsregeln und Angst vor negativen Reaktionen durch die konservativen Tugendwächter halten Vermieter davon ab, Frauen ein Trainingsgelände zu überlassen.

Die Managerin eines Teams merkte in einer saudischen Zeitung an, dass es nicht nur an Stadien mangele, sondern auch an gut ausgebildeten Trainerinnen. Dennoch betrachtete sie die Entwicklungen als positiv – viele Mädchen hätten die Hoffnung, Saudi-Arabien eines Tages im Ausland repräsentieren zu können, obwohl umstritten ist, ob diese Spiele auch im Fernsehen gezeigt werden sollten.

Ihre Einschätzung macht deutlich, dass Saudi-Arabien eine konservative Gesellschaft bleibt, und dass viele Frauen sich nicht wohlfühlen, vor einem männlichen Publikum zu spielen. Unabhängig davon lassen sie nicht davon ab, den Sport auszu­üben, den sie lieben. Seit 2017 sind große Fortschritte gemacht worden, doch der Kampf um mehr Rechte auf dem Spielfeld wird noch lange dauern. So bleiben die Spielerinnen die wahren Heldinnen, Spiel für Spiel, Schuss für Schuss.

Weitere Artikel