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Proteste in Georgien: "Wir brauchen das Signal, nicht allein zu sein"

Schaut nach Tbilisi: Demonstration gegen Repressionen in Georgien (Berlin, Dezember 2024)
© Daniel Biskup / laif
Die Organisation Georgisches Zentrum im Ausland versucht von Deutschland aus, die Protestbewegung in Georgien zu unterstützen. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden Giorgi Kakabadze.
Interview: Carmen Traute
Täglich gehen in Georgien Tausende Menschen auf die Straße. Was hat diese Proteste ausgelöst?
Wir hatten große Hoffnungen in die Parlamentswahl im Oktober 2024 gesetzt, aber die Wahl wurde massiv gefälscht. Die Protestierenden fordern inzwischen Neuwahlen. Das größte Ausmaß erreichten die Demonstrationen, nachdem die Regierungspartei Georgischer Traum den EU-Beitrittsprozess gestoppt hat. Entsprechend wenden sich die Proteste gegen den Einfluss des russischen Regimes, etwa gegen das "russische Gesetz", wie wir es nennen. Offiziell soll es ausländischen Einfluss in Georgien stoppen, faktisch richtet es sich vor allem gegen den Westen. Es diffamiert Menschen und Organisationen als "Agenten" und damit als Spione, die ihre Finanzierung zu 20 Prozent oder mehr aus dem Ausland erhalten. In Georgien ist die Bezeichnung "Spion" ein schwerer Vorwurf. Und wir haben in Russland gesehen, was passiert, wenn man nichts gegen solche Bestrebungen unternimmt. Zumal die "Agenten" anonym gemeldet werden können und kein Gericht über die Fälle entscheiden soll. Eine eigens dafür eingerichtete Kommission kann alles beschlagnahmen, inklusive privater Handys und Laptops, und darf Daten von Personen einsehen, die von der beschuldigten Organisation unterstützt wurden. Die Menschen gehen also für die Freiheit und eine europäische Zukunft Georgiens auf die Straße – und sie demonstrieren trotz der Angst, dass Russland Georgien angreifen könnte.
Was ist der Charakter dieser Proteste?
Die Proteste sind friedlich, von unten gewachsen, dezentral, ohne Führungsfiguren. Bisher wollten die Menschen in Georgien nichts mit Politik zu tun haben, weil sie als schmutziges Geschäft gilt. Deshalb gibt es auch keine starken zivilgesellschaftlichen Organisationen. Mit einer organisierten, sichtbaren Opposition könnten wir unsere Ziele vielleicht schneller erreichen. Aber dafür braucht es mehr öffentliche Diskussionen. Diesen Prozess wollen wir von Berlin aus unterstützen, wir wollen die georgische Gesellschaft davon überzeugen, dass politisches Engagement wichtig ist und wirken kann.
Wie reagieren die georgischen Behörden auf die Proteste?
Polizei und Spezialkräfte haben viele Menschenrechtsverletzungen begangen. Auf diese Weise soll die Zivilgesellschaft eingeschüchtert werden. Als die Polizei nicht mehr genug Einsatzkräfte hatte, um die Demonstrationen niederzuschlagen, hat sie auf gewaltbereite Gruppen zurückgegriffen. Diese handeln ohne Kennzeichnung und können daher nicht identifiziert werden. Videos belegen, dass sie Demonstrierende angriffen, von denen keine Gewalt ausging. Viele wurden geschlagen, manche entführt und mehr als 500 Menschen inhaftiert. Nun werden die Prozesse gegen sie verschleppt. Wir fordern das Ende der Folter der Inhaftierten und ihre Freilassung.

Der Aktivist Giorgi Kakabadze
© Giorgi Kakabadze
Konnten die Proteste dennoch etwas erreichen?
Es gab kleinere Erfolge. 2023 sind 100.000 Menschen auf die Straße gegangen. Das hat die Regierung dazu bewegt, das bereits damals geplante "russische Gesetz" vorerst zurückzunehmen. Zunächst dachten wir, dass die Massenproteste zum Erfolg geführt hätten. Das war jedoch ein Fehler, wie die Verabschiedung des Gesetzes 2024 und das Vorgehen von Regierung und Polizei zeigen. Doch allein, dass nun Gerüchte über Neuwahlen kursieren, zeigt, dass wir mit den Demonstrationen zumindest etwas erreicht haben. Aber wir müssen sie in politische Prozesse überführen.
Welche Rolle spielt Ihre Organisation dabei?
Wir versuchen, die georgische Diaspora zu mobilisieren. Nur wenige haben sich in der Vergangenheit an Wahlen beteiligt. Mit Kampagnen konnten wir inzwischen die Beteiligung der Emigrant*innen verdreifachen, in Berlin sogar verfünffachen. Die Diaspora ist aktiver und nimmt die Probleme des Landes stärker wahr. Es ist großartig, dass die georgische Gesellschaft über Grenzen hinweg zusammenhält und wir gemeinsam für demokratische Werte einstehen.
Welche Zukunft wünschen Sie sich für die georgische Zivilgesellschaft?
Die georgische Gesellschaft hat gezeigt, dass sie bereit ist, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. Hierbei ging Georgien schon immer in der Region voran. Im Vergleich zu unseren Nachbarländern haben wir weniger natürliche Ressourcen, aber mehr Freiheiten. Wir möchten Teil der EU und der NATO werden. Das ist die einzige Möglichkeit für Georgien, sich zu schützen und wirtschaftlich stärker zu werden. Die Regierungspartei bezweckt genau das Gegenteil, und wird ihre Position und Macht nicht aufgeben. Auch die internationale Lage ist derzeit schwierig für uns. Dennoch bin ich optimistisch. Bei vielen Menschen, die bislang hinter der Regierung standen, regen sich angesichts der Proteste Zweifel. Wir versuchen, diese Menschen davon zu überzeugen, dass wir auch für sie und ihre Zukunft kämpfen.
Wird die Lage in Georgien seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine international stärker wahrgenommen?
Dass Russland Krieg führt gegen die Ukraine, nur weil diese einen Demokratisierungsweg eingeschlagen hat, hat Europa die Augen geöffnet. Das ist auch für uns Georgier*innen wichtig. Als Russland 2022 den Krieg begann, hielt sich die georgische Regierung mit pro-ukrainischen Äußerungen zurück. Und das, obwohl Georgien eng mit der Ukraine verbunden ist und dieselben Erfahrungen gemacht hat: Seit unser Land unabhängig ist, haben wir drei Kriege und einen Bürgerkrieg erlebt – an allen war Russland beteiligt. Deshalb hat unsere Organisation bei Kriegsbeginn vor der georgischen Botschaft demonstriert und hat sich auch den ukrainischen Großdemonstrationen angeschlossen. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen jetzt endlich verstehen, was Georgier*innen meinen, wenn sie Russland kritisieren.
Welche Unterstützung erhoffen Sie sich?
Die georgische Gesellschaft braucht die Solidarität der demokratischen Kräfte weltweit. Europa muss handeln und die Demokratie verteidigen, dazu gehört auch, Ländern wie Georgien oder der Ukraine beizustehen, deren Menschen für Freiheit und eine europäische Zukunft kämpfen. Nach den jüngsten Entwicklungen in den USA ist diese Unterstützung noch wichtiger geworden. Dazu gehört, die georgischen Wahlergebnisse nicht anzuerkennen und Sanktionen gegen georgische Regierungsmitglieder zu verhängen. Wir brauchen das Signal, nicht allein zu sein.
Carmen Traute ist Fachreferentin für Europa und Zentralasien bei Amnesty International in Deutschland.
HINTERGRUND
Die NGO Georgisches Zentrum im Ausland (GZA) versucht seit 2022, der georgischen Diaspora in Deutschland und Europa eine Stimme zu geben. Das GZA positioniert sich pro-europäisch und kritisiert, dass Georgien von vielen immer noch als ehemaliger Teil des russischen Reichs betrachtet wird. Das GZA versucht, diese kolonialistische Perspektive zu bekämpfen, in dem es über das moderne Georgien, seine Politik, Kultur und Wissenschaft aufklärt.