Aktuell Vereinigte Staaten von Amerika 10. Juni 2020

Rassistische Polizeigewalt in den USA: "Die Menschen sind wütend"

Frau mit Plakat bei einer Demonstration, darauf das Porträt von George Floyd, hinter ihr eine Frau mit US-Flagge

Millionen Menschen sind nach dem Tod von George Floyd auf die Straßen gegangen, um gegen rassistische Polizeigewalt in den USA zu demonstrieren. Damit diese Gewalt beendet wird, müssen die Polizei- und Justizbehörden des Landes unbedingt reformiert werden. Dies fordert Kristina Roth, leitende Programmverantwortliche bei Amnesty International in den USA. 

Knapp zwei Wochen ist es her, seit George Floyd am 25. Mai 2020 in Minneapolis von der Polizei getötet wurde. Wie geht es mit der juristischen Aufarbeitung voran? 

Die Polizeibeamten, die an diesem Einsatz beteiligt waren, wurden verhaftet und angeklagt. Derek Chauvin, der sein Knie in den Nacken von George Floyd presste, muss sich wegen Mord zweiten Grades verantworten. Drei weitere Polizeibeamte sind wegen Beihilfe zum Mord sowie Beihilfe zum Totschlag angeklagt.


Schwarze Menschen werden in den USA immer wieder Opfer rassistischer Polizeigewalt. Warum erleben wir gerade jetzt Proteste mit historischem Ausmaß? 

    

Vor knapp sechs Jahren wurde Eric Garner von Polizeibeamten der New Yorker Polizeibehörde getötet. Wie bei George Floyd waren auch seine letzten Worte: 'Ich kann nicht atmen'. Die Menschen sind wütend und verletzt, weil die Polizei offensichtlich nichts dazu gelernt hat und nicht erkennt, wenn eine Person um Hilfe ruft. Schwarze Menschen stellen weniger als 15 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung, fast 25 Prozent von ihnen gehören jedoch zu den Todesopfern übermäßiger Polizeigewalt.

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Die meisten Demonstrationen, die nun unter dem Slogan "Black Lives Matter" stattfinden, sind friedlich. Die Polizei setzte in den vergangenen Tagen dennoch Schlagstöcke, Pfefferspray, Tränengas und Gummigeschosse ein. Wie sind solche brutalen Einsätze zu rechtfertigen? 

Solche Maßnahmen, vor allem wenn sie gegenüber friedlichen Protestierenden eingesetzt werden, werfen ernsthafte menschenrechtliche Fragen auf. Nach der tödlichen Polizeigewalt gegen Michael Brown im August 2014 – der 18-Jährige wurde in Ferguson, Missouri von einem Polizisten erschossen – kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Protestierenden. Amnesty hat im Anschluss die Gesetze der US-Bundesstaaten überprüft und folgendes festgestellt: Falls sie Regelungen zum Einsatz tödlicher Gewalt enthielten, standen sie nicht im Einklang mit internationalen Rechtsstandards. Viele von ihnen entsprachen nicht einmal den Standards der US-Gesetzgebung. Das System ist fehlerhaft, hinzu kommen Interessenkonflikte.

Welche Interessenskonflikte sind gemeint? 

Gibt es einen Fall mit tödlicher Polizeigewalt, werden die Ermittlungen intern von den Strafverfolgungsbehörden durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft soll nun einerseits die Polizei für die Anwendung tödlicher Gewalt zur Verantwortung ziehen, andererseits muss sie eine gute Arbeitsbeziehung zu ihnen aufrechterhalten. Das ist ein grober Interessenkonflikt und hat zu berechtigten Forderungen geführt, solche Fälle von einer unabhängigen Stelle untersuchen zu lassen. 

Demonstration vor dem Lincoln Memorial, auf den Treppen stehen Einheiten der Nationalgarde

 

Welche Maßnahmen fordert Amnesty von der US-Regierung? 

Kurzfristig muss sie sicherstellen, dass die Polizeibeamten, die für den Tod von George Floyd verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden. Die US-Sektion von Amnesty International setzt sich langfristig dafür ein, systematische rassistische Strukturen im US-Justizsystem abzubauen. Dazu arbeiten wir insbesondere mit den Mitgliedern des Kongresses an Gesetzen wie dem "Justice in Policing Act" und dem "PEACE Act". Die Gesetzesentwürfe besagen, dass tödliche Gewalt nur noch als letztes Mittel angewendet werden soll, wenn alle anderen angemessenen Optionen ausgeschöpft sind. Zudem muss die Ausstattung von Polizeibehörden mit Militärausrüstung beendet werden, der Kongress soll den Polizeibehörden kein zusätzliches Budget mehr zur Verfügung stellen. 

Als Reaktion auf die Proteste hat US-Präsident Donald Trump dennoch Soldaten nach Washington verlegen lassen.

Das Militär ist keine Antwort auf Rassismus und Ungleichheit. Mit dem Einsatz schwerer Kampfausrüstung und Militärwaffen sollen friedliche Protestierende eingeschüchtert werden, die Ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen. Die US-Regierung muss sicherstellen, dass dieses international garantierte Recht gewährleistet wird. Die Militarisierung der Polizeiarbeit sorgt nicht dafür, Gewalt zu verhindern. Im Gegenteil: Militarisierung führt dazu, dass Situationen eskalieren und es zu noch mehr Gewalt kommt.



Fragen: Ralf Rebmann

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