Aktuell Ungarn 27. März 2020

Ungarische Regierung greift nach unbegrenzter Macht

Mehrere Personen sitzen an einem Tisch mit vielen Mikrofonen, Viktor Orban im Vordergrund

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán bei einer Pressekonferenz im Europäischen Parlament in Straßburg am 11. September 2018

+++ Update vom 30.03.2020: Das ungarische Parlament hat dem Gesetzentwurf der Regierung am Nachmittag mit der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit zugestimmt. +++

Die Regierung unter Viktor Orbán nutzt die Corona-Pandemie offenbar als Vorwand, um ihren Angriff auf Menschenrechte und Rechtsstaat fortzusetzen und sich unbegrenzte Macht zu verschaffen. Ein neues Gesetz soll der Regierung ermöglichen, auf unbestimmte Zeit per Dekret zu regieren.

Am Montag, 30. März 2020 entscheidet das ungarische Parlament über einen Gesetzentwurf der Regierung, der einen unbefristeten Ausnahmezustand schaffen würde. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Regierung per Dekret neue Gesetze erlassen und ändern kann – ohne klares Enddatum, nennenswerte Aufsicht oder regelmäßige Überprüfungen durch das ungarische Parlament. Die Regierung rechtfertigt das Vorhaben mit der Bekämpfung des Coronavirus, doch das Gesetz könnte weit über die Pandemie hinaus dramatische Folgen für die Menschen in Ungarn haben.

Der Gesetzentwurf soll außerdem neue Straftatbestände schaffen, die mit internationalen Menschenrechtsstandards nicht vereinbar sind. Wer falsche oder verzerrte Tatsachen veröffentlicht, die den "erfolgreichen Schutz" der Öffentlichkeit beeinträchtigen, die Bevölkerung alarmieren oder aufwiegeln, könnte mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Wer die Umsetzung einer Quarantäne- oder Isolationsanordnung behindert, könnte ebenfalls mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden, wobei die Strafe auf acht Jahre ansteigt, wenn jemand in der Folge stirbt. Eine ausführliche Analyse des Gesetzentwurfes hat Amnesty International in Ungarn zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen am 22. März 2020 veröffentlicht.  

Die ungarische Regierung scheint die Corona-Krise als Vorwand zu nutzen, um ihren Angriff auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit fortzusetzen. Das neue Gesetz würde der ungarischen Regierung einen Freibrief zur Einschränkung der Menschenrechte erteilen, auch über die Pandemie hinaus. Premierminister Viktor Orbán hat in den letzten Jahren zahlreiche menschenrechtliche Rückschritte veranlasst: Seine Regierung hat den Einsatz für Flüchtlinge zur Straftat erklärt, die Unabhängigkeit der Gerichte abgebaut und versucht, kritische Stimmen in Ungarn durch restriktive Gesetze und Hetzkampagnen zum Schweigen zu bringen. Wenn diese Regierung per Dekret regiert, ist zu befürchten, dass sich der Negativtrend noch beschleunigt. Auf EU-Ebene läuft wegen der Angriffe auf Menschenrechte und Rechtsstaat derzeit ein Grundwerte-Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags gegen die ungarische Regierung.

Regierungen müssen dafür Sorge tragen, dass alle Schritte, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie ergriffen werden, im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards stehen. Die Maßnahmen müssen verhältnismäßig und in der Situation unbedingt notwendig sein. Wenn ein Ausnahmezustand nötig ist, darf er nur vorübergehend gelten und muss regelmäßig und umfassend entsprechend rechtsstaatlicher Kriterien überprüft werden. 

Das geplante Gesetz wurde auf internationaler Ebene kritisiert, unter anderem vom Europarat, dem Europäischen Parlament und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

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