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Rechtsstaat in Gefahr: Polen ignoriert Entscheidung des EU-Gerichtshofs
Demonstration in Warschau für die Unabhängigkeit der polnische Justiz am 11. Januar 2020
© Grzegorz Żukowski
Am Mittwoch hat das polnische Verfassungsgericht eine Anordnung des EU-Gerichtshofs für nichtig erklärt, mit der die Unabhängigkeit der Justiz im Land geschützt werden soll. Leidtragende der Entscheidung des polnischen Gerichts sind Richter_innen, die sich kritisch gegen die umstrittene Justizreform äußern sowie die polnische Zivilgesellschaft.
Es ist ein weiterer Schlag gegen die Unabhängigkeit des Justizwesens in Polen: Das polnische Verfassungsgericht erklärte am Mittwoch eine einstweilige Anordnung des EU-Gerichtshofs (EuGH) für unzulässig, die dieser zum Schutz der Unabhängigkeit der polnischen Justiz erlassen hatte. Die Anordnung sei nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar.
"Die gestrige Entscheidung besagt faktisch, dass Polen den Europäischen Gerichtshof ignorieren kann. Dies ist ein Bruch des europäischen Rechts und öffnet den Weg für politisch motivierte Strafverfahren und neue Disziplinarverfahren gegen Richter_innen in Polen, die abschreckende Wirkung auf sie haben können", sagte Katharina Masoud, Europa-Expertin bei Amnesty International in Deutschland. "Dabei ist gerade die Unabhängigkeit der Justiz fundamental für das Recht auf ein faires Verfahren und für den Schutz der Menschenrechte im Allgemeinen."
"Die gestrige Entscheidung zeigt eine eklatante Missachtung des höchsten Gerichts der Europäischen Union und gegenüber dem Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit. Die Entscheidung ist darüber hinaus nicht einzeln zu betrachten, sondern als Teil einer Reihe von Angriffen auf die Rechtsstaatlichkeit in Polen zu verstehen", so Masoud.
Leidtragende sind vor allem Richter_innen, die die Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz in Polen kritisieren, wie beispielsweise der Richter Igor Tuleya. Er ist für seinen Einsatz für die Unabhängigkeit der polnischen Justiz bekannt und bekommt nun die Konsequenzen zu spüren: Nach einem politisch motivierten Gerichtsverfahren wurde ihm von der Disziplinarkammer die Immunität entzogen. Amnesty International betrachtet ihn als Menschenrechtsverteidiger.
"Die Europäische Kommission sollte dringend Maßnahmen ergreifen, um die polnische Justiz zu schützen. Der politisierte Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach Entscheidungen getroffen, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit gefährden. Die Kommission darf dabei nicht tatenlos zusehen. Wir rufen alle Entscheidungsträger_innen in der EU auf, dieses Vorgehen aufs Schärfste zu verurteilen und Polen aufzufordern, die Menschenrechte und das EU-Recht zu achten", so Masoud.
Hintergrund
Nach einer Reihe von Angriffen auf die richterliche Unabhängigkeit in Polen hat die EU-Kommission den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine einstweilige Verfügung zur Aussetzung der Tätigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs in Polen gebeten. Die im Rahmen der umstrittenen Justizreform 2017 eingerichtete Disziplinarkammer entscheidet unter anderem über Anträge auf Aufhebung der richterlichen Immunität.
Am 8. April 2020 entschied der EuGH positiv über den Antrag. Am Mittwoch erließ der EuGH in einem zweiten Verfahren, das die Kommission am 1. April 2021 gegen das sogenannte "Maulkorbgesetz" angestrengt hatte, eine neue einstweilige Verfügung. Dieses Gesetz ist seit vergangenem Februar in Kraft und sieht vor, dass polnische Richter_innen für Kritik an den bisherigen Justizreformen bestraft werden können.
Im November 2020 hob die Disziplinarkammer die Immunität des Richters Igor Tuleya auf, der am Regionalgericht in Warschau tätig war. Ihm droht nun ein Strafverfahren, weil er Medienvertreter_innen die Aufzeichnung einer öffentlichen Anhörung erlaubt hatte. Neben Igor Tuleya droht zahlreichen weiteren Richter_innen in Polen die Aufhebung ihrer Immunität durch die Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs.