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Katastrophale Zustände in Flüchtlingslagern
Das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos im Januar 2018
© Amnesty International, Foto: Giorgos Moutafis
Überfüllte Unterkünfte und mangelhafte Versorgung: Auf Griechenland eskaliert die Situation. Besonders geflüchtete Frauen und Mädchen leiden unter den katastrophalen Zuständen. Kumi Naidoo, der internationale Amnesty-Generalsekretär, hat Lesbos besucht. Er unterstützt die Forderungen, die die Betroffenen an europäische Regierungen stellen.
Der neue Amnesty-Bericht "I want to decide about my future: Uprooted women in Greece speak out" beschreibt die gefährliche Flucht von Frauen und Mädchen und die furchtbaren Bedingungen und Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, wenn sie schließlich die griechischen Inseln bzw. das Festland erreichen. Der Bericht belegt aber auch die enorme Belastbarkeit und Stärke, die diese Frauen im Kampf gegen Elend und Not zeigen.
"Das absolute Versagen der europäischen Regierungen bei der Schaffung von sicheren und legalen Zugangswegen für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, setzt Frauen und Mädchen einer erhöhten Gefahr von Menschenrechtsverstößen aus", sagt Kumi Naidoo. "Aber trotz der Gefahren und gegen alle Widerstände finden diese Frauen die Kraft, sich öffentlich dagegen zu wehren. Diejenigen, die Regierungsverantwortung tragen, müssen diesen Frauen zuhören und ihre Kritik entsprechend handeln.
In Zeiten von #MeToo und #TimesUp sind wir stolz, an der Seite unserer geflohenen Schwestern in Griechenland zu stehen und zu sagen: 'Wir sehen euch, wir hören euch, wir glauben euch und wir kämpfen an eurer Seite'."
Amnesty-Bericht beschreibt katastrophale Bedingungen
Amnesty hat ab März 2017 mit über 100 Frauen und Mädchen gesprochen, die in Flüchtlingslagern und anderen Unterkünften in und in der Umgebung von Athen und auf den griechischen Inseln leben. Auf der Grundlage ihrer Schilderungen legt der Bericht zehn Forderungen der Frauen vor, um gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen, die weibliche Flüchtlinge erleben.
Frauen, die sich auf den Weg nach Europa machen, sind in besonderer Gefahr, körperlicher, verbaler und sexualisierter Übergriffe durch Schlepperinnen und Schlepper ausgesetzt zu werden.
"Als die europäischen Regierungen den Geflüchteten die Fluchtwege abschnitten, waren wir Frauen den Übergriffen der Schlepperinnen und Schlepper noch schutzloser ausgeliefert", erklärt eine Syrerin Amnesty International. "Du kannst weder die Polizei noch jemand anderen um Hilfe bitten, weil du 'illegal' bist. Die Schlepperinnen und Schlepper nutzen das aus."
Selbst wenn sie es schaffen, nach Europa zu gelangen, ist ihr Leidensweg noch nicht zu Ende. Die Mehrheit der Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten, die in Griechenland eintreffen, sind inzwischen Frauen und Kinder – in diesem Jahr waren es bis jetzt knapp über 60 Prozent. Aufgrund des zwischen der EU und der Türkei im März 2016 geschlossenen Migrationsabkommens sehen sich die Menschen, die in Griechenland ankommen, in einer ausweglosen Situation gefangen: unter furchtbaren Bedingungen in heruntergekommenen, von der EU finanzierten Lagern.
Lager völlig überbelegt
Die Überbelegung hat ein krisenhaftes Ausmaß angenommen: Fast 17.000 Menschen befinden sich auf den Inseln in fünf Flüchtlingslagern, die für etwa 6.400 Menschen konzipiert sind. Tausende Menschen, darunter viele mit spezifischen Bedürfnissen, wie Personen mit Behinderungen und Babys, schlafen in Zelten außerhalb des offiziellen Lagers. Mangelhafte und fehlende sanitäre Einrichtungen, zu wenig sauberes Trinkwasser, offen durch das Lager fließendes Abwasser sowie Ratten- und Mäuseplagen prägen das Leben in allen Flüchtlingslagern.
"Es wird jeden Tag schlimmer ... Das Lager ist so überfüllt", sagt eine Frau im Camp Moria auf Lesbos, das derzeit zweieinhalb Mal so viele Menschen beherbergt wie die vorgesehene Kapazität von 3.100.
Erschwerte Situation von Mädchen und Frauen
Zwar leiden alle Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten unter diesen Bedingungen,aber für Frauen und Mädchen ist die Lage noch schlimmer. Mehrere schwangere Frauen haben Amnesty International erzählt, dass sie auf dem Boden schlafen müssen und keinen oder nur minimalen Zugang zu pränataler Betreuung haben. Im vergangenen Monat soll eine Frau ohne jegliche medizinische Betreuung in einem Zelt im Camp Moria ein Kind zur Welt gebracht haben.
Weil die Waschraumtüren nicht abschließbar sind und die Beleuchtung mangelhaft ist, werden die gewöhnlichen Tagesaktivitäten, wie der Gang zur Toilette oder das Duschen oder auch nur ein Gang nach draußen am Abend, zu einer Gefahrenquelle für Frauen und Mädchen.
Im Camp Vathy auf Samos erzählte eine Frau Vertreterinnen und Vertretern von Amnesty International: "Es gibt keine Schlösser an den Türen der Duschräume. Es kommen einfach Männer rein, wenn Frauen in den Duschen sind. Es gibt kein Licht in den Toiletten. Abends oder nachts gehe manchmal zusammen mit meiner Schwester zu den Toiletten, oder ich mache in einen Eimer."
Der internationale Amnesty-Generalsekretär Kumi Naidoo im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos am 4. Oktober 2018
© Amnesty International, Foto: Giorgos Moutafis
Schlechte Lage auch auf dem Festland
Auf dem griechischen Festland leben etwa 45.500 Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten in Übergangsunterkünften in städtischen Gebieten oder in Flüchtlingslagern. Die Bedingungen in diesen Lagern auf dem Festland sind extrem schlecht. In diesem Jahr sind drei Flüchtlingslager, die zuvor geschlossen wurden, weil sie als unbewohnbar eingestuft worden waren, wieder eröffnet worden, weil es keine anderen Unterkünfte gibt. Die Bedingungen aber haben sich nicht verbessert.
Eine Jesidin aus dem Irak, die in Skaramagas in der Nähe von Athen wohnt, sagte Amnesty International: "Wir fühlen uns völlig vergessen. Einige von uns leben seit zwei Jahren in dem Lager, aber es ändert sich nichts ... Ich kann mich kaum über meine Probleme austauschen, weil niemand unsere Sprache versteht."
Egal ob sie in den Flüchtlingslagern oder in Wohnungen in städtischen Regionen wohnen, der Mangel an Informationen und Dolmetscherinnen ist das größte Hindernis für Frauen, die Zugang zu wichtigen Dienstleistungen brauchen, z.B. zu Einrichtungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und zu Rechtsberatung.
Frauen und Mädchen schließen sich zusammen
Trotz dieser enormen Herausforderungen sind die geflüchteten Frauen und Mädchen entschlossen, ihre Situation zu verändern. Sie schließen sich zusammen und gründen Initiativen, die ihr Leben verbessern, z.B. durch die Schaffung von Orten, die auf die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen zugeschnitten sind, an denen sie zusammen kommen, Zugang zu Dienstleistungen haben, Netzwerke schaffen und ihr Wissen und ihre Fähigkeiten erweitern können, um ein besseres Leben für sich und ihre Familien aufzubauen.
"Durch ein grausames Schicksal verbunden, machen sich Frauen, die aus gefährlichen Orten überall auf der Welt geflohen sind, gegenseitig Mut und entwickeln ein Gemeinschaftsgefühl und eine bemerkenswerte Stärke", sagt Kumi Naidoo.
"Die Frauen setzen sich für ihre eigenen Belange ein. Da die Situation auf den griechischen Inseln aber immer kritischer wird, fordern sie die griechischen Behörden auf, die Menschen auf den Inseln nicht mehr dieser ausweglosen Situation auszusetzen. Die Aufnahmebedingungen auf dem Festland müssen verbessert werden und die europäischen Regierungen müssen den geflüchteten Frauen dringend die Unterstützung und den Schutz gewähren, der ihnen zusteht und sie so willkommen heißen, wie sie es verdienen", sagt Kumi Naidoo.