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Acht Jahre nach dem rassistischen OEZ-Anschlag in München: "We will shine for these nine"
Wurden am 22. Juli 2016 bei dem rassistischen Terroranschlag in München ermordet (v.l.): Sabine S., Dijamant Zabërgja, Sevda Dağ, Can Leyla, Guiliano Kollmann, Armela Segashi, Hüseyin Dayıcık, Selçuk Kılıç und Roberto Rafael.
© Arif Abdullah Haidary
Am 22. Juli jährt sich zum achten Mal der rassistische Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München, bei dem neun Menschen getötet wurden. Bis heute kämpfen Angehörige, Überlebende und Unterstützer*innen für würdevolle Erinnerung, soziale Gerechtigkeit, lückenlose Aufklärung und politische Konsequenzen.
Im Juni 2024 organisierte die Themenkoordinationsgruppe Antirassismus von Amnesty International gemeinsam mit der Initiative "München OEZ Erinnern" die Veranstaltung "Widerstände zwischen Traum und Trauma". Im Rahmen der Veranstaltung sind vier Betroffene von verschiedenen rassistischen Anschlägen in München auf einem Podium zusammengekommen, um über ihre Erfahrungen und ihre Expertise zu sprechen und einen Raum für geteilte Erinnerungen sowie Widerständigkeiten zu schaffen.
Denn es ist wichtig, betroffenen Personen und Selbstorganisationen zuzuhören und diese mit ihrem Wissen bei der Erarbeitung von wirksamen Maßnahmen gegen Rassismus aktiv miteinzubeziehen: Gisela Kollmann, Margareta Zabërgja, Mandy Boulgarides und Robert Höckmayr gehören zu den vielen Überlebenden und Angehörigen von Opfern rassistischer Gewalt, die sich für soziale Veränderung und eine andere Erinnerungspolitik in Deutschland einsetzen.
"München OEZ Erinnern": Veranstaltung in München mit Menschen, die rassistische Anschläge in München überlebt oder dabei Angehörige verloren haben (23. Juni 2024).
© Arif Abdullah Haidary
Die Teilnehmenden fordern Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen für die rassistischen Anschläge am OEZ in München 2016, den NSU-Morden und dem Oktoberfest-Attentat 1980. Erinnern heißt aus ihrer Perspektive kämpfen – kämpfen um zu verändern. Und Erinnern heißt auch, sich zu verbünden. Der folgende Beitrag fasst die wichtigsten Aussagen der Teilnehmenden zusammen.
Informationen zu den Teilnehmenden an der Veranstaltung vom 23. Juni 2024
Gisela Kollmann ist die Großmutter von Guiliano, der beim OEZ-Anschlag getötet wurde. Guiliano war 19 Jahre alt und stand kurz davor, seine Berufsausbildung zum Drucker zu beginnen. Von seinen Freund*innen und seinem Vater wird er "Giuli" genannt. Er trainierte beim FC Aschheim Fußball und war im Verein für seine ruhige Art sehr beliebt. Ein Freund schreibt zum Gedenken an ihn "Er hätte keiner Fliege etwas getan. Er ging fröhlich durchs Leben – bis zum Freitagabend." Im Viertel kannte ihn jede*r. Seit seinem dritten Lebensjahr zog ihn seine Großmutter Gisela groß.
Margareta Zabërgja ist die Schwester von Dijamant, der beim OEZ-Anschlag getötet wurde. Dijamant wurde von seiner Familie und seinen Freund*innen Dimo genannt. Im Sommer 2016 hatte er seine Ausbildung als Lagerist am Münchner Flughafen abgeschlossen und seinen Realabschluss nachgeholt. Kurze Zeit nach dem Anschlag wäre er 21 Jahre alt geworden. Laut seiner besten Freundin war er "einfach immer gut drauf". Mit seiner besten Freundin und ihrem Cousin saß er tagsüber gerne im Park. Wenn sie abends lange unterwegs waren, schlief er gerne bei seiner großen Schwester Margareta Zabërgja und seinen beiden Nichten. So auch am Abend vor der Tat. Die Schwester sah in ihm einen "liebevollen Onkel", oft habe er mit seinen Nichten im Garten gespielt oder sei mit ihnen auf den Spielplatz gegangen. Ein enger Freund beschreibt Dijamant Zabërgja als "sehr lebensfrohen Menschen, er hatte immer lustige Geschichten auf Lager". Traurig habe er ihn nie erlebt.
Mandy Boulgarides ist die Tochter des 2005 vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ermordeten Theodoros Boulgarides.
Robert Höckmayr ist Überlebender des Oktoberfestattentats von 1980, bei dem 13 Menschen durch eine Bombenexplosion getötet wurden. 221 Menschen wurden verletzt, 68 davon schwer.
Sapir von Abel studierte Naher und Mittlerer Osten sowie Interkulturelle Kommunikation an der LMU München. Sapir arbeitet als Kuratorin für Bildung und Vermittlung am Jüdischen Museum München und gehört zum Kurator*innenteam des Münchner Kunst- und Kulturfestivals "ausARTen". Sie engagiert sich in verschiedenen Bildungsinitiativen, leitet Workshops und moderiert unterschiedliche Gesprächsgruppen.
Sapir von Abel: Angehörige und Überlebende rassistischer und rechter Gewalt werden häufig erst im Nachgang oder überhaupt nicht in Gespräche mit einbezogen – zum Beispiel, wenn es um die offiziellen Gedenkveranstaltungen geht, aber auch bei der Gestaltung eines Erinnerungsortes. Ihre Forderungen und Wünsche müssen häufig erst mit großen und vielseitigen Anstrengungen in den Mittelpunkt gestellt werden. Heute gibt es sowohl für das Oktoberfestattentat, die NSU-Morde, als auch den OEZ-Anschlag öffentliche Orte des Gedenkens. Welche Erfahrungen habt ihr mit dem Prozess des Entstehens dieser Erinnerungsorte gemacht?
Gisela Kollmann: Der Erinnerungsort am Olympia-Einkaufszentrum bedeutet mir nicht viel, weil er kurzfristig und ohne uns entschieden wurde. Wir hatten zwei Entwürfe zur Auswahl und bis zum Schluss wusste ich nicht, wie der Erinnerungsort konkret aussehen wird. Man hat sich einfach für den einen Entwurf entschieden und das war’s. Wir konnten nicht wirklich mitreden, wir waren noch tief in unserer Trauer.
Margareta Zabërgja: Das Problem war, dass das recht schnell entschieden wurde. Das geschah zu einem Zeitpunkt, wo wir noch gar nicht verstanden haben, was da überhaupt passiert ist. Die Innschrift, welche inkorrekt an den rassistischen Anschlag als "Amoklauf" erinnerte, war bereits eingraviert. Es wurde demnach nicht auf die Einbeziehung von uns gewartet. Es war gut gemeint, da schnell ein Erinnerungsort geschaffen werden sollte. Wir waren aber zu dem Zeitpunkt noch so traumatisiert, sodass wir im Nachhinein für die Korrektur der Innschrift von "Amoklauf" zu "In Erinnerung an alle Opfer des rassistischen Attentats vom 22.7.2016" kämpfen mussten.
Mandy Boulgarides: Es wird nicht mit uns zusammengearbeitet. Wir müssen die Erinnerungskultur, die sich so festgefahren hat, wirklich aufbrechen und eine Dynamik zwischen Angehörigen und Verwaltungsapparaten schaffen.
Robert Höckmayr: Es gehört viel mehr zur Zusammenarbeit. Vor allem ist ganz wichtig, zuzuhören, was wir wollen.
Margareta Zabërgja: Mittlerweile ist es so, dass wir bei den Gedenkveranstaltungen auch mitwirken. Das war in den ersten Jahren nicht so. Durch unsere Initiative haben wir es geschafft, gehört zu werden. Und nun ist es so, dass wir auf unserer Veranstaltung bestimmen können.
Sapir von Abel: Ihr habt das in Teilen schon gesagt, aber ich frage noch mal nach – was ist euch wichtig, wenn es um die kollektive Erinnerung geht?
Gisela Kollmann: Es ist wichtig, den rechtsradikalen Hintergrund des Anschlags am Olympia-Einkaufszentrum ins kollektive Gedächtnis zu rufen.
Robert Höckmayr: Ich finde, dass es eigentlich von der Gedenkkultur viel mehr Erinnerungsorte oder eine bessere Kennzeichnung braucht. Es ist wichtig, transparent zu machen, was den Menschen passiert ist. Es wird einfach viel zu schnell vergessen. Im Hinblick auf das Oktoberfest-Attentat haben wir 40 Jahre kämpfen müssen, damit der Anschlag als rechter anerkannt wurde, obwohl es bereits zuvor bekannt war.
Sapir von Abel: Der Umgang mit der Tat begleitet euch jeden Tag. Das habt ihr mir auch erzählt. Vielen ist nicht klar, dass euer Gedenken nicht an einem einzigem Tag stattfindet, sondern 365 Tage im Jahr. Was wünscht ihr euch von der Gesellschaft, im persönlichen Umgang mit euch und mit den anderen Familien?
Margareta Zabërgja: Ich erwarte von der Gesellschaft, sich über den Fall zu informieren und dass die damaligen inkorrekten Berichterstattungen entfernt werden. Dass die Presse so berichtet, wie es ist und wie damals die Tat passiert ist. Und am Jahrestag zu erscheinen, damit es nicht in Vergessenheit gerät.
Robert Höckmayr: Meiner Meinung nach gehört mehr Transparenz in die Gesellschaft, dass die Gesellschaft mehr Informationen zu dem ganzen Geschehenen erhält. Es bringt ja nichts, wenn ich nur einen Teil in die Gesellschaft gebe an Wahrheiten und den Rest verschlossen halte. Wer wusste denn, wie viele Menschen verletzt wurden am Oktoberfest? Es war der schlimmste Anschlag der Nachkriegszeit. 36 Jahre war er fast vergessen. Und erst 2017, mit der ersten Rede, als erster Überlebender des Anschlags, von vielen, die noch leben, kam die Erinnerung wieder ins Leben und wurde auch gesehen.
Mandy Boulgarides: Was alle Täter gemeinsam hatten, war, dass sie die Gesellschaft spalten wollten. Sie wollten die Opfer, ihre Familien und ihre Freunde aus der Mitte der Gesellschaft reißen, Angst machen. Nichts davon ist gut zu machen, man kann es nicht beschwichtigen, denn es wird auch nicht besser für uns. Aber wir, die Hinterbliebenen, die Überlebenden, wir lassen uns nicht aus der Mitte rausdrängen – so wie heute. Das hier ist ein super Anfang, wir stehen solidarisch zusammen. Ich hoffe, dass irgendwann noch viel, viel mehr Leute kommen, damit wir wirklich ein Zeichen setzen können.
Gisela Kollmann: Ich hoffe, dass wir endlich Einsicht in die Polizeiakten erhalten. Wir haben bis heute noch keinen Einblick. Ich weiß bis heute nicht, wie mein Enkelsohn gestorben ist.
Sapir von Abel: Seit ein paar Jahren gibt es die Initiative München OEZ Erinnern, die unterstützt. Über sie seid ihr auch miteinander vernetzt. Könnt ihr ein bisschen erzählen, wie das entstanden ist und warum es auch für Robert und Mandy wichtig ist?
Gisela Kollmann: Wir lernten uns vor zwei Jahren kennen. Am Anfang musste man sich erst aneinander rantasten. Aber mittlerweile ist es so eine innige Beziehung geworden, sodass wir über alles sprechen können. Wir Hinterbliebenen sind nicht nur in Trauer verbunden, wir haben auch Freundschaften untereinander und so ist es richtig. Wir können uns auch immer wieder an unsere Initiative wenden und finden so Gehör, es wird auch was gemacht.
Mandy Boulgarides: Auf die Initiative bin ich über eine Person, die ich vor ein paar Jahren beim Gericht kennengelernt habe, gekommen. Die Hinterbliebenen vom NSU hatten miteinander auch nicht viel zu tun, das war alles jedoch nach meiner Meinung gewollt. Die Familien mussten sich sortieren und später war das möglich. Jetzt ist ein richtiger Umbruch entstanden, man vernetzt sich intern, OEZ Erinnern mit den NSU Hinterbliebenen und mit dem Oktoberfest-Attentat. Da passiert auch gerade immer mehr und ich hoffe, dass wir es mal schaffen, möglichst viele zusammen zu bekommen, um sich noch besser zu vernetzen. Dadurch ist ein gemeinsamer Austausch und Unterstützung möglich. Das kann etwas ganz Tolles werden und ich freue mich schon auf die weitere Zusammenarbeit.
Sapir von Abel: Wir befinden uns in nicht so guten Zeiten, die Ergebnisse der Europawahl zum Beispiel haben mich persönlich enorm erschüttert, auch wenn sie mich nicht überrascht haben. Wie habt ihr das wahrgenommen, was macht es mit euch und was sagt es auch aus, vielleicht über das rechtsextreme Motiv und die Kontinuitäten, die nicht viel besprochen werden?
Mandy Boulgarides: Wir müssen gar nicht so weit wegschauen, denn wir haben auch hier massive Probleme. Wir bekämpfen immer nur die Symptome, aber nicht die Ursache, wir müssen erstmal fünf Schritte zurückgehen, die Ursachen bekämpfen, denn es ist meist temporär und so kommen wir nicht weiter.
Robert Höckmayr: Recht und Gerechtigkeit klaffen auseinander einander, eigentlich sollte man davon ausgehen, dass in unserem Rechtsstaat, in unserer Demokratie ein Einklang vorliegen sollte.
Margareta Zabërgja: Ich finde es erschreckend, dass es so eine Partei heute überhaupt gibt. In Zukunft werden wir sehen, wie sich das entwickelt. Trotz alledem hoffe ich und will die Hoffnung, dass sich das alles irgendwie noch zum Guten ändert, auch nicht aufgeben.
Sapir von Abel: Maggie, Gisela, Mandy und Robert – vielen Dank, dass ihr euch heute hier geöffnet habt, dass ihr euch die Zeit genommen habt und die Kraft hattet. An alle Unterstützer*innen: Seid solidarisch, kommt zu den Veranstaltungen und hört zu, was diese Menschen sagen.
Solidarisiert euch mit den Kämpfen der Betroffenen und kommt auch dieses Jahr zur Kulturveranstaltung "WE WILL SHINE FOR THESE NINE" am 20. Juli 2024 und zum Gedenken am 22. Juli 2024 nach München. Mehr Informationen zum Gedenken am 8. Jahrestag findet ihr auf der Website der Initiative München Erinnern.
Nachruf
Wir erinnern an die Menschen, die am 22. Juli 2016 bei dem rassistischen Terroranschlag in München ermordet wurden:
Armela Segashi,
Can Leyla
Dijamant Zabërgja
Guiliano Kollmann
Hüseyin Dayıcık
Roberto Rafael
Sabine S.
Selçuk Kılıç
Sevda Dağ
Unsere Solidarität gilt ihren Familien und Bezugspersonen.
"auch unter staatsgewalt – miteinander
beisammenstehen
nicht wegsehen, wenn staat mit machtapparat
gewalt ausübt, unser augenlicht betrübt, uns
überlistet – betrügt, geblendet
durchbreche die stille, indem ich spreche:
hanau – münchen – halle
keine einzeltat, dies war staatsversagen"
Erdem Teper aus "Stille, Schweigsamkeit, Staatsversagen" in "Worte aus Honig", Literarische Diverse (2023).