Aktuell Indonesien 15. Oktober 2015

Neuer Amnesty-Bericht zur Todesstrafe in Indonesien

Neuer Amnesty-Bericht zur Todesstrafe in Indonesien

Kerzen bei einer Mahnwache für die zum Tode verurteilte Mary Jane Veloso vor der indonesischen Botschaft im April 2015

15. Oktober 2015 - Amnesty International hat in einem aktuellen Bericht zur Todesstrafe in Indonesien Mängel und Fehler innerhalb des Justizsystems aufgedeckt, die grundlegende Fragen zur dortigen Anwendung der Todesstrafe aufkommen lassen.

 

In Indonesien haben zum Tode Verurteilte häufig keinen Zugang zu Rechtsbeiständen und werden oftmals brutal geschlagen, bis sie "Geständnisse" ablegen. Ausländische Staatsangehörige, denen in Indonesien die Todesstrafe droht, sind mit einem Justizsystem konfrontiert, das sie kaum verstehen. Dies geht aus dem am 15. Oktober veröffentlichten Bericht "Flawed Justice" hervor.

Der Bericht deckt auf, wie die Regierung unter Präsident Joko Widodo das Völkerrecht mit der Durchführung von Hinrichtungen verspottet. Seit dem Amtsantritt von Widodo 2014 sind bereits 14 Menschen hingerichtet worden, Hunderte weitere befinden sich in den Todestrakten indonesischer Gefängnisse.

"Indonesiens radikale Kehrtwendung bei der Vollstreckung von Todesurteilen hat dazu geführt, dass bereits 14 Menschen exekutiert worden sind, obwohl es deutliche Beweise für schwerwiegende Verstöße gegen internationale Standards für faire Gerichtsverfahren gab. Die Regierung behauptet zwar, das Völkerrecht in jeder Hinsicht zu befolgen. Unsere Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Realität ganz anders aussieht, und dass das Justizsystem von Mängeln durchzogen ist", erklärte Josef Benedict, Kampagnenleiter für die Region Südostasien bei Amnesty International.

"Die Todesstrafe stellt immer einen Verstoß gegen die Menschenrechte dar. Die zahlreichen und schwerwiegenden Probleme hinsichtlich der Anwendung der Todesstrafe in Indonesien machen ihren Gebrauch jedoch noch tragischer. Die Regierung muss das sinnlose Töten ein für alle Mal einstellen und sofort alle Todesstrafenfälle mit dem Ziel überprüfen, die Strafen umzuwandeln oder bei Fehlurteilen die Betroffenen freizusprechen", so Josef Benedict.

In den vergangenen Jahren gab es deutliche Anzeichen dafür, dass Indonesien den Weg hin zu einer Abschaffung der Todesstrafe eingeschlagen hatte. Seit dem Amtsantritt von Präsident Widodo im Oktober 2014 hat die Anzahl der Hinrichtungen jedoch wieder stark zugenommen.

Von den 14 Menschen, die in diesem Jahr bisher durch Erschießungskommandos hingerichtet wurden, waren 12 ausländische Staatsangehörige. Alle waren wegen Drogendelikten zum Tode verurteilt worden. Die Regierung hat sich vorgenommen, die Todesstrafe zu nutzen, um einen nationalen "Drogen-Notstand" zu bekämpfen, obwohl es keinerlei Beweise dafür gibt, dass eine drohende Hinrichtung abschreckender wirkt, als eine mögliche Haftstrafe. Präsident Widodo hat erklärt, dass er alle Gnadengesuche von Personen ablehnen werde, die wegen Drogendelikten zum Tode verurteilt wurden.

Amnesty International hat die Fälle von zwölf zum Tode verurteilten Personen untersucht und dabei Mängel und Fehler innerhalb des indonesischen Justizsystems aufgedeckt, die grundlegende Fragen zur dortigen Anwendung der Todesstrafe aufkommen lassen.

Erzwungene "Geständnisse"

Bei der Hälfte der untersuchten Fälle gaben die Betroffenen an, zur Abgabe von "Geständnissen" gezwungen worden zu sein. Unter anderem hätten Polizeikräfte sie in Haft brutal geschlagen. Viele berichteten zudem von Folter und anderweitigen Misshandlungen. Die indonesischen Behörden sind diesen Vorwürfen jedoch nie nachgegangen.

Zulfiqar Ali, ein pakistanischer Staatsbürger, gibt an, dass Polizeiangehörige ihn nach seiner Festnahme drei Tage lang in einem Haus festgehalten hätten. Sie traten und schlugen ihn und bedrohten ihn mit dem Tod, bis er schließlich ein "Geständnis" unterzeichnete. Er trug so schwere Verletzungen davon, dass er an den Nieren und am Magen operiert werden musste.

Obwohl Zulfiqar Ali die erlittene Folter während seines Verfahrens detailliert schilderte, wurde sein "Geständnis" vor Gericht als Beweismittel zugelassen. Eine unabhängige Untersuchung seiner Foltervorwürfe ist nie durchgeführt worden.

Die im Amnesty-Bericht "Flawed Justice" festgehaltenen Ergebnisse entsprechen denen anderer indonesischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen, die ebenfalls Beweise dafür gefunden haben, dass Angehörige der indonesischen Polizei systematisch und weitverbreitet Folter und andere Misshandlungen anwenden und dabei straffrei bleiben.

Kein Zugang zu Rechtsbeiständen

Personen, die sich in Indonesien im Todestrakt befinden, wird häufig der Zugang zu Rechtsbeiständen verweigert, obwohl das Recht auf rechtlichen Beistand sowohl durch indonesische Gesetze als auch durch das Völkerrecht geschützt ist.

Viele der Gefangenen, die in dem Bericht genannt werden und denen Kapitalverbrechen vorgeworfen werden, müssen mehrere Wochen oder sogar Monate warten, bis sie Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten. In der Folge sind sie bei der Vorbereitung ihrer Verteidigung stark eingeschränkt.

Es gibt zudem starke Zweifel an der Qualität der rechtlichen Vertretung, die Personen bereitgestellt wird, denen Drogendelikte vorgeworfen werden. In einem Fall war der einzige Rat, den ein Angeklagter von seinem Rechtsbeistand erhalten hatte, auf jede Frage der Ermittlungsbehörden mit "Ja" zu antworten. In einem anderen Fall wurde die Todesstrafe verhängt, nachdem der Rechtsbeistand des Angeklagten diese selbst beantragt hatte.

In keinem der zwölf Fälle, die Gegenstand des Berichts sind, wurden die Betroffenen unmittelbar nach ihrer Festnahme einer Richterin oder einem Richter vorgeführt, wie es das Völkerrecht und internationale Standards vorschreiben. Die meisten mussten darauf einige Monate warten.

Ausländische Staatsangehörige

Zwölf der vierzehn Personen, die 2015 bisher in Indonesien hingerichtet worden sind, hatten nicht die indonesische Staatsbürgerschaft. Mindestens 35 weitere ausländische Staatsangehörige befinden sich derzeit in den Todestrakten des Landes.

Die Untersuchungen von Amnesty International haben ergeben, dass Indonesien in vielen Fällen die Rechte von zum Tode verurteilten ausländischen Staatsangehörigen verletzt. Ihnen wird weder vor noch während ihrer Verfahren eine Verdolmetschung zur Verfügung gestellt, sie müssen Dokumente unterzeichnen, die in einer ihnen fremden Sprache verfasst sind, oder man verweigert ihnen den Zugang zu konsularischen Diensten.

Auch der Brasilianer Rodrigo Gularte, bei dem eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden war, ist 2015 in Indonesien hingerichtet worden. Dies stellt ebenfalls einen Verstoß gegen das Völkerrecht dar, welches die Hinrichtung von geistig behinderten oder psychisch kranken Menschen verbietet.

Empfehlungen

Angesichts der schwerwiegenden Mängel des indonesischen Justizsystems fordert Amnesty International von der Regierung Indonesiens grundlegende Veränderungen. Sie muss einen unabhängigen Mechanismus zur Überprüfung aller Fälle von zum Tode verurteilten Menschen einrichten, mit dem Ziel, die Strafen umzuwandeln oder bei Fehlurteilen die betroffenen Personen freizusprechen.

Indonesien muss sein Strafgesetzbuch entsprechend internationaler Standards überarbeiten und sicherstellen, dass das Recht aller Gefangenen auf ein faires Verfahren gewahrt wird.

"Präsident Joko Widodo hat versprochen, die Menschenrechtslage in Indonesien zu verbessern. Dass er mehr als ein Dutzend Menschen vor ein Erschießungskommando gestellt hat, zeigt jedoch, wie leer diese Versprechungen sind", so Josef Benedict.

"Indonesien muss mit gutem Beispiel für die Region vorangehen. Es ist an der Zeit, diese Verantwortung ernst zu nehmen. Ein erster Schritt muss ein Hinrichtungsmoratorium sein", erklärt er weiter.

Hintergrundinformationen

Zwischen 1999 und 2014 wurden unter den ersten vier Präsidenten nach der Demokratisierung Indonesiens 27 Menschen hingerichtet. Zwischen 2009 und 2012 wurden hingegen keine Hinrichtungen vollzogen.

Laut Angaben des indonesischen Ministeriums für Justiz und Menschenrechte befanden sich am 30. April 2015 mindestens 121 Menschen in indonesischen Todestrakten. 54 von ihnen wurden wegen Drogendelikten zum Tode verurteilt, zwei wegen terroristischer Straftaten und 65 wegen Mordes.

Bis heute haben 140 Länder die Todesstrafe per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft. Amnesty International wendet sich in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe, ungeachtet der Schwere und der Umstände einer Tat, der Schuld, Unschuld oder besonderer Eigenschaften der Verurteilten, oder der vom Staat gewählten Hinrichtungsmethode, da sie das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht auf Leben verletzt und die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen darstellt.

Hier finden Sie den volltsändigen Bericht "Flawed justice: Unfair trials and the death penalty in Indonesia" (PDF, englisch, 73 Seiten) zum Download

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