Aktuell 26. März 2014

"Spielen lindert unseren Schmerz"

Für die lesbische Fußballmannschaft Chosen FEW aus Johannesburg findet auf dem Platz nicht nur Sport statt. Über ein Team, das sich für die Rechte von LGBTI einsetzt.

Von Uta von Schrenk

Fußball kann etwas Befreiendes haben. Weniger im sportlichen Sinne, das schon auch, sondern vor allem als emotionales Gegengewicht zu den Belastungen des Alltags. Zweimal die Woche mit dem 18-köpfigen Team über den Platz zu jagen, zweimal im Monat ein Fußballwochenende, dann und wann ein Freundschaftsspiel, ein Turnier oder gar ein internationaler Wettbewerb – für Dikeledi Sibanda und ihr Team Chosen FEW, zu Deutsch "Die wenigen Auserwählten", ist dies echte Freizeit. Freie Zeit, in der sie keine Beleidigungen hören. Freie Zeit, in der sie nicht an die Konflikte in ihrer Familie denken müssen. Freie Zeit, in der sie keine Angst vor Übergriffen haben müssen.

Chosen FEW ist eine Frauenfußballmannschaft aus den Townships von Johannesburg – allein das ist in einer patriarchalen Gesellschaft wie der südafrikanischen schon eine Besonderheit. Bei den Chosen FEW kommt eine zweite hinzu: Die Mitglieder des Teams sind durchweg lesbisch. Und das ist in Südafrika trotz einer liberalen Gesetzgebung immer noch ein gesellschaftliches Stigma und ein hohes persönliches Risiko.

"Wir müssen täglich mit der Homophobie in diesem Land umgehen", sagt Dikeledi Sibanda, die mit ihren 30 Jahren und aufgrund einer Verletzung nicht mehr aktive Spielerin ist, das Team aber seit sechs Jahren trainiert. "Wir müssen umgehen mit dem Hass, mit der Diskriminierung, mit der Marginalisierung." Zwar haben sexuelle Minderheiten wie Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LGBTI) formal die gleichen Rechte wie die heterosexuelle Mehrheit der südafrikanischen Bürger, doch sie können sie nicht leben.

Die meisten verschweigen ihre sexuelle Orientierung, um ihre Familie vor Anfeindungen der Nachbarn zu schützen, um ihren Job zu behalten oder weil sie schlicht um ihr Leben fürchten. "Man kann es jeden Tag in der Zeitung lesen: Lesbische Frau wurde gequält, lesbische Frau wurde vergewaltigt, lesbische Frau wurde ermordet. Und wo ist die Stimme unserer Regierung gegen diese Hassverbrechen zu hören?", fragt Dikeledi Sibanda. Auch aus diesem Grunde gebe es die Chosen FEW: Um die Gefährdung dieser Frauen öffentlich zu machen – und sich gegenseitig Halt zu geben. "Mit den Chosen FEW zu trainieren, bedeutet für mich, sich einfach wohlfühlen zu können. Auf dem Platz fühle ich mich frei."

Die Chosen FEW wurden 2004 als ers­tes lesbisches Fußballteam Afrikas gegründet – von spielbegeisterten Mitgliedern der Selbsthilfeorganisation "Forum for the Empowerment of Women", kurz FEW, darunter auch Dikeledi Sibanda. Allesamt Frauen, die in ihren bisherigen Fußballclubs Anfeindungen ausgesetzt waren und nach einer Alternative suchten, um unbehelligt ihrem Sport nachgehen zu können.
Zurzeit jedoch finden kaum mehr als Freundschaftsspiele statt. Für die Teilnahme an Wettkämpfen und intensives Training fehlt dem Club schlicht das Geld. Im Moment bemüht sich Coach Sibanda um Fundraising, um ihren Spielerinnen die Teilnahme an der südafrikanischen Indoor Soccer League zu ermöglichen. Die African Women’s League lässt das Team zu ihren Spielen nicht zu – "Diskriminierung", kommentiert Coach Sibanda den Vorgang. Inzwischen organisieren die Chosen FEW jährlich ein eigenes Turnier für lesbische Fußballmannschaften, das zu Ehren der US-amerikanischen Sponsorin "Peg Grey Women’s Tournament" heißt.

Doch Sport ist bei Chosen FEW nicht alles. Die Spielerinnen nehmen teil an LGBTI-Demonstrationen, gehen als Prozessbeobachterinnen zu Gerichtsverhandlungen bei Hassverbrechen oder sexuellen Anschuldigungen – und sie tragen bei Spielen Forderungen für LGBTI-Rechte auf ihren T-Shirts. "Es geht auch darum, uns sichtbar zu machen", sagt Sibanda. Und das geht wegen der alltäglichen Gefahr, der eine lesbische Frau in Südafrika ausgesetzt ist, eben nur gemeinsam, im Team.

Auch einige der Spielerinnen von Chosen FEW haben eine Vergewaltigung erlitten. "Korrigierende Vergewaltigung" gilt in weiten Kreisen der südafrikanischen Gesellschaft als ein probates Mittel, eine lesbische Frau "auf den Pfad der Tugend" zurückzuführen. Allein zwischen Juni und November 2012 wurden "bei offensichtlich gezielten Angriffen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechts­identität mindestens sieben Menschen getötet, darunter fünf lesbische Frauen", heißt es im Amnesty-Report 2013. Ohnehin ist Südafrika mit rund 64.000 gemeldeten sexuellen Übergriffen im Jahr eine Hochburg der Vergewaltigung. Weil die meisten Opfer jedoch das Verbrechen nicht der Polizei meldeten, liege die Dunkelziffer um das 25-Fache höher, sagen Experten. Wie hoch der Anteil an Übergriffen auf lesbische Frauen ist, wird nicht erhoben. Der Selbsthilfe-Organisation "Luleki Siswe" zufolge werden allein in der Region um Kapstadt jede Woche etwa zehn lesbische Frauen vergewaltigt. Opfer einer Vergewaltigung zu werden, ist somit für eine lesbische Frau in Südafrika eine stets präsente Gefahr.

Für die betroffenen Spielerinnen von Chosen FEW bedeutet das Training mit den anderen Frauen vor diesem Hintergrund eine Möglichkeit, wieder innere Stärke zu erlangen, ihren Stolz zurückzugewinnen. Auf dem Platz sind sie die Sieger, nicht die Unterlegenen: Bronze bei den International Gay Games in Chicago 2006, vierter Platz beim Federation Cup of Gay Games in London 2008 und Bronze bei den Gay Games in Köln 2010. Für die Worldoutgames 2013 in Antwerpen erhielt die gesamte Mannschaft sogar ein Stipendium. "Spielen lindert unseren Schmerz", sagt Sibanda.

Sport ist politisch – das ist die Botschaft von Chosen FEW. "Ich habe Blut wie jeder andere Mensch. Ich vergieße Tränen wie jeder andere Mensch. Ich spüre Schmerz wie jeder andere Mensch. Und darum möchte ich auch wie jeder andere Mensch behandelt werden", fordert die engagierte Trainerin. Zehn Jahre gibt es jetzt die "wenigen Auserwählten". Doch Coach Sibanda sagt, um die südafrikanische Gesellschaft zu verändern, brauche es einen "langen Atem" – auch deswegen also das harte Training.

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