Iran: Aktivist seit über einem Jahr verschwunden

Das Bild zeigt das Porträtbild eine Mannes

Der iranische Aktivist Ebrahim Babaei (Archivbild)

Der Aktivist Ebrahim Babaei ist vor 15 Monaten dem Verschwindenlassen durch die iranischen Behörden zum Opfer gefallen und ist wahrscheinlich der Folter und anderen Formen der Misshandlung ausgesetzt. Trotz zunehmender Hinweise darauf, dass er sich in staatlichem Gewahrsam befindet, weigern sich die Behörden, seine Inhaftierung zu bestätigen. Sein Schicksal und sein Verbleib sind seiner Familie nach wie vor nicht bekannt. Er verschwand im Dezember 2021 bei einem Versuch aus dem Iran zu fliehen, um ungerechtfertigten Haft- und Prügelstrafen zu entgehen.

Appell an

Oberste Justizautorität

Head of Judiciary

Gholamhossein Mohseni Ejei

c/o Embassy of Iran to the European Union

Avenue Franklin Roosevelt 15

1050 Brüssel

BELGIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Iran

S. E. Herrn Mahmoud Farazandeh

Podbielskiallee 67

14195 Berlin


Fax: 030 83 222 91 33

E-Mail: info@iranbotschaft.de

Amnesty fordert:

  • Bitte geben Sie umgehend das Schicksal und den Verbleib von Ebrahim Babaei bekannt und lassen Sie ihn unverzüglich und bedingungslos frei, da er sich ausschließlich wegen der friedlichen Ausübung seiner Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit in Haft befindet.
  • Sorgen Sie dafür, dass er bis zu seiner Freilassung in eine offizielle Hafteinrichtung verlegt wird, wo er vor dem Verschwindenlassen, vor Folter und anderen Misshandlungen geschützt ist und regelmäßigen Zugang zu seiner Familie, einem Rechtsbeistand seiner Wahl und einer angemessenen medizinischen Versorgung erhält.

Sachlage

Der 56-jährige Aktivist Ebrahim Babaei bleibt auch 15 Monate nach seinem Versuch, über die türkische Grenze aus dem Iran zu fliehen, verschwunden. Er wollte in der Türkei um Asyl ersuchen, um ungerechtfertigten Haft- und Prügelstrafen zu entgehen, zu denen er wegen seines friedlichen Aktivismus verurteilt worden war. So hatte er u. a. die Kampagnen der iranischen Frauen gegen das diskriminierende Verschleierungsgesetz unterstützt. Ebrahim Babaei hatte bis zum 21. Dezember 2021 regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie. Dann gab es plötzlich keine Nachrichten mehr von ihm. Seitdem haben sich seine Familie und sein Rechtsbeistand an verschiedene Justiz-, Staatsanwalts- und Gefängnisstellen gewandt, aber die Behörden verweigern jegliche Auskunft über sein Schicksal und seinen Verbleib und bestätigen nicht, dass er sich in staatlichem Gewahrsam befindet. Die Behörden legten auf Drängen der Familie eine Vermisstenakte für ihn an, die jedoch von den Justizbehörden in Maku in der Provinz West-Aserbaidschan am 12. Juni 2022 ohne weitere Untersuchungen wieder geschlossen wurde. Nach einem am 19. Juni 2022 auf BBC Persian ausgestrahlten Bericht über sein Verschwindenlassen meldete sich am 1. Juli 2022 eine Person bei der Familie, die angab, gesehen zu haben, wie Mitglieder des Geheimdienstministeriums Ebrahim Babaei und 25 weitere Personen, die ebenfalls über die Grenze geschleust werden sollten, am 21. Dezember 2021 festgenommen hatten. Die Person berichtete der Familie, dass Ebrahim Babaei und zwei weitere Personen zuerst zur Abteilung 103 des Justizministeriums in Maku und von dort aus in eine Geheimdienstabteilung der Revolutionsgarden in Urmia in der Provinz West-Aserbaidschan gebracht worden seien. Unabhängig von diesen Informationen teilte ein*e Staatsbedienstete*r der Familie von Ebrahim Babaei informell mit, dass Angehörige der Staatssicherheit ihn am 30. Dezember 2021 von Urmia an einen unbekannten Ort in Täbris in der Provinz Ost-Aserbaidschan gebracht und anschließend an einen unbekannten Ort in Teheran überführt hatten. Der Quelle zufolge trug Ebrahim Babaei eine Fußfessel und "sah aus, als sei er schwer geschlagen worden". Ebrahim Babaei leidet unter gesundheitlichen Problemen wie einer Herzerkrankung, einer chronischen Beinverletzung und psychischen Problemen. Da er auf medizinische Behandlung und Medikamente angewiesen ist, besteht Grund zur Sorge um seine Gesundheit und sein Wohlergehen.

Kurz nach Ebrahim Babaeis Verschwinden wurde der Familie durch zwei Staatsbedienstete inoffiziell mitgeteilt, dass Ebrahim Babaei in einer geheimen Haftanstalt festgehalten wird, einem sogenannten "Safe House" (khanehay-e amn). Dies wurde von einer dritten Quelle mit engen Verbindungen zu Geheimdienst- und Sicherheitsorganen bestätigt. Amnesty International hat bereits in der Vergangenheit dokumentiert, dass Dissident*innen in sogenannten "Safe Houses" dem Verschwindenlassen und anderen Verbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen durch Geheimdienst- und Sicherheitskräfte ausgesetzt sind. Dazu gehört auch die systematische Anwendung von Folter und anderen Misshandlungen, um "Geständnisse" zu erzwingen und Verurteilungen in unfairen Gerichtsverfahren zu erreichen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Nach dem Verschwinden von Ebrahim Babaei hatten Schleuser*innen seiner Familie zunächst gesagt, dass er sich in der türkischen Stadt Van befände. Einige Tage später behaupteten sie jedoch, er sei im Haus eines*r der Schleuser*innen in der Nähe von Van gestorben und sein Leichnam von der türkischen Polizei in ein Krankenhaus überführt worden, um eine Autopsie vornehmen zu lassen. Zuletzt sagten die Schleuser*innen Ebrahim Babaeis Tochter Shima Babaei, er sei in dem entlegenen türkischen Dorf Özalp in etwa 16 Kilometern Entfernung von der iranischen Grenze gestorben und sie solle seinen Leichnam aus Özalp holen. Der Rechtsbeistand der Familie in der Türkei wandte sich zur Überprüfung dieser Behauptungen an die türkischen Behörden, darunter an Leichenschauhäuser, Krankenhäuser und die Sicherheitspolizei in Van, die Stadtverwaltung und die Polizei in Özalp sowie den türkischen Grenzschutz. Die Behörden gaben jedoch an, dass ihnen in diesem Zeitraum keine Leiche zugegangen sei, auf die die Beschreibung von Ebrahim Babaei passen würde. Außerdem teilten die türkischen Behörden dem Rechtsbeistand der Familie mit, dass Ebrahim Babaei ihren Nachforschungen zufolge nie in die Türkei eingereist sei.

In der Vergangenheit war Ebrahim Babaei für die friedliche Ausübung seiner Menschenrechte im Iran jahrelang willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen, unfairen Gerichtsverfahren sowie Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt. Ebrahim Babaei wurde erstmals am 2. Februar 1984 in Sari in der Provinz Mazandaran festgenommen. Dort verbrachte er 16 Monate im Gefängnis, nachdem er wegen falscher Anschuldigungen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit verurteilt worden war. Er soll Flugblätter "gegen die Islamische Republik" vorgelesen haben und verbotene Bücher besitzen. In den nachfolgenden zwanzig Jahren wurde er wegen seines Aktivismus wiederholt von den Behörden zum Verhör vorgeladen und jedes Mal für mehrere Stunden festgehalten.

Ebrahim Babaei wurde am 7. Februar 2010 im Zusammenhang mit seiner friedlichen Teilnahme an Protesten im Dezember 2009 erneut festgenommen. Er wurde mehrere Tage in einem "Safe House" festgehalten und dann in das Teheraner Evin-Gefängnis überstellt. Dort wurde er etwa vier Monate lang in verlängerter Einzelhaft festgehalten und wechselte zwischen den Trakten 209 und 240 sowie dem allgemeinen Gefängnistrakt. Während der Haft verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, da ihm die nötige medizinische Versorgung verweigert wurde. So litt er u. a. an einer chronischen Beinverletzung, die er sich während seines Wehrdienstes im ersten Golfkrieg zugezogen hatte. Ohne Gehhilfe und die Unterstützung anderer Inhaftierter konnte er nicht gehen. Ebrahim Babaei wurde im Dezember 2010 gegen Kaution freigelassen. Kurz vor seiner Freilassung wurde er vor einem Revolutionsgericht in Teheran erneut wegen seiner friedlichen Teilnahme an den Protesten im Dezember 2009 angeklagt. 2011 wurde er zu fünf Jahren, neun Monaten und einem Tag Haft sowie 74 Peitschenhieben verurteilt, während er noch gegen Kaution frei war. Die Anklagepunkte lauteten "Versammlung und Verschwörung zur Begehung von Straftaten gegen die öffentliche Sicherheit", "Verbreitung von Propaganda gegen das System" und "Beeinflussung der öffentlichen Meinung". Im Oktober 2011 wurde er erneut festgenommen, um seine Strafe anzutreten. Einen Teil seiner Gefängnisstrafe verbrachte er im "inneren Exil" im Raja’i Shahr-Gefängnis in Karaj in der Provinz Alborz, den Rest im Evin-Gefängnis. Seine Prügelstrafe in Form von 74 Peitschenhieben wurde am 13. August 2013 im Evin-Gefängnis vollstreckt. Angesichts seiner gesundheitlichen Probleme wurde Ebrahim Babaei begnadigt und im September 2013 freigelassen.

Während seiner Haft im Raja’i Shahr-Gefängnis erfuhr er, dass die Behörden ohne sein Wissen ein weiteres Verfahren gegen ihn eingeleitet und ihn in Abwesenheit zu einer fünfjährigen Bewährungsstrafe verurteilt hatten. Grund des Verfahrens war sein friedlicher Aktivismus im Gefängnis. So war er u. a. mit anderen Gefangenen, die aus politischen Gründen inhaftiert waren, in einen gemeinsamen Hungerstreik getreten und hatte gemeinsame Erklärungen zu den Haftbedingungen verfasst. Darüber hinaus wurde er im Zusammenhang mit der Unterstützung seiner Tochter Shima Babaei in einem separaten Verfahren im September 2018 erneut zu 74 Peitschenhieben verurteilt. Die Frauenrechtsaktivistin Shima Babaei hatte sich gegen die diskriminierenden und unterdrückenden Verschleierungsgesetze im Iran eingesetzt. In den Monaten vor seinem Versuch, aus dem Iran zu fliehen, war Ebrahim Babaei untergetaucht, weil er befürchtete, dass die Behörden versuchen würden, ihn ausfindig zu machen, festzunehmen und die ausstehenden Urteile zu vollstrecken.

Das Verschwindenlassen von Personen ist ein Verbrechen nach dem Völkerrecht und bezeichnet die Festnahme, den Entzug der Freiheit oder die Entführung von Personen, durchgeführt, unterstützt oder gebilligt durch staatliche Stellen und gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen oder Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib dieser Personen zu erteilen, in der Absicht, sie dem Schutz des Gesetzes zu entziehen. Die inoffiziellen, geheimen Haftanstalten im Iran stehen vollständig außerhalb des Schutzes durch das Gesetz und erleichtern das Verschwindenlassen sowie andere Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen wie Folter und andere Misshandlungen. Häufig handelt es sich dabei um Häuser oder Wohngebäude, die von Geheimdienst- oder Sicherheitsorganen – die meist dem Geheimdienstministerium oder der Geheimdienstabteilung der Revolutionsgarden angehören – rechtswidrig dazu genutzt werden, Personen in Gewahrsam zu halten. Diese geheimen Haftanstalten sind nicht bei der iranischen Justizvollzugsbehörde registriert, und Häftlinge und ihre Familien können nicht feststellen, wo genau sie festgehalten wurden. Von Sicherheits- und Geheimdienstkräften werden sie inoffiziell als "Safe Houses" (khanehay-e amn) bezeichnet. Ermöglicht wird die Inhaftierung von Personen in derartigen Einrichtungen durch einen mangelhaften rechtlichen Rahmen. Dieser sieht keine angemessene Aufsicht über alle Gefängnisse und Haftanstalten vor und gewährleistet nicht, dass die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlichen Behörden zur Rechenschaft gezogen werden.