Iran: Aktivist seit Monaten verschwunden

Appell an

Head of Judiciary

Gholamhossein Mohseni Ejei

c/o Embassy of Iran to the European Union

Avenue Franklin Roosevelt 15

1050 Brüssel

BELGIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Iran

S. E. Herrn Mahmoud Farazandeh


Podbielskiallee 67

14195 Berlin

Fax: 030 83 222 91 33

E-Mail: info@iranbotschaft.de

Amnesty fordert:

  • Bitte geben Sie umgehend das Schicksal und den Verbleib von Ebrahim Babaei bekannt und lassen Sie ihn unverzüglich und bedingungslos frei, da er sich ausschließlich wegen der friedlichen Ausübung seiner Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit in Haft befindet.
  • Sorgen Sie dafür, dass er bis zu seiner Freilassung in eine offizielle Hafteinrichtung verlegt wird, wo er vor dem Verschwindenlassen, vor Folter und anderen Misshandlungen geschützt ist und regelmäßigen Zugang zu seiner Familie, einem Rechtsbeistand seiner Wahl und einer angemessenen medizinischen Versorgung erhält.

Sachlage

Der Aktivist Ebrahim Babaei bleibt auch mehr als vier Monate nach seinem Versuch, aus dem Iran zu fliehen, verschwunden. Er wollte in der Türkei um Asyl ersuchen, um Haft- und Prügelstrafen zu entgehen. Ebrahim Babaei hatte bis zum 21. Dezember 2021 regelmäßigen Kontakt mit seiner Familie. Dann gab es plötzlich keine Nachrichten mehr von ihm. Vor seinem Verschwinden hatte er seinen Angehörigen und Freund_innen noch mitgeteilt, dass er sich in Maku in der Provinz West-Aserbaidschan befinde. Er wollte ihnen Bescheid geben, sobald die Schleuser_innen grünes Licht für den Aufbruch Richtung türkische Grenze geben würden. Seither hat niemand mehr etwas von ihm gehört. Von den Schleuser_innen hat die Familie widersprüchliche Informationen über seinen Verbleib erhalten. Nach seinem Verschwinden begab sich seine Familie ins Evin-Gefängnis und zur Ermittlungseinheit der iranischen Polizei (Agahi) in Teheran, um sich nach seinem Schicksal und Verbleib zu erkundigen. Die Behörden verweigerten jedoch jegliche Information darüber, ob Ebrahim Babaei inhaftiert wurde oder nicht. Außerdem weigerte sich die Polizei in Teheran, eine Vermisstenanzeige aufzunehmen. Erst nach mehreren Wochen gelang es einem Familienangehörigen aus Miandorud in der Provinz Mazandaran, bei den dortigen Behörden eine Vermisstenanzeige aufzugeben. In dieser sind Einzelheiten zum Verschwinden von Ebrahim Babaei aufgeführt, darunter auch die Kontaktinformationen der Schleuser_innen. Die Justizbehörden in Miandorud haben den Fall anschließend an die zuständigen Behörden in Maku überwiesen. Doch diese führten keine Ermittlungen durch, sie befragten auch die Schleuser_innen nicht. Die Familie von Ebrahim Babaei erfuhr erst auf inoffiziellem Wege von einem Geheimdienstmitarbeiter, dass er noch am Leben ist. Ein weiterer Angehöriger des Geheimdienstes teilte der Familie später inoffiziell mit, dass sich Ebrahim Babaei in einer geheimen Haftanstalt befindet, einem sogenannten "Safe House" (khanehay-e amn). Dies wurde von einer dritten Quelle mit engen Verbindungen zu Geheimdienst- und Sicherheitsorganen bestätigt. Allerdings wurde seine Inhaftierung bisher noch von keiner staatlichen Stelle bestätigt, und die offizielle Reaktion der Behörden auf die fortgesetzten Versuche der Familie, Informationen zu seinem Verbleib zu erhalten, besteht darin, diese fortzuschicken und zu vertrösten.

Amnesty International hat bereits in der Vergangenheit dokumentiert, dass Dissident_innen in sogenannten "Safe Houses" dem Verschwindenlassen und anderen Verbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen durch Geheimdienst- und Sicherheitskräfte ausgesetzt sind. Dazu gehört auch die systematische Anwendung von Folter und anderen Misshandlungen, um "Geständnisse" zu erzwingen und Verurteilungen in unfairen Gerichtsverfahren zu erreichen. Ebrahim Babaei ist schon lange politisch aktiv. Wegen seines friedlichen Aktivismus drohen ihm nach zwei separaten Verfahren erneut eine Haft- und Prügelstrafe. So hatte er u. a. die Kampagne seiner Tochter Shima Babaei, einer Frauenrechtlerin, gegen das diskriminierende Verschleierungsgesetz im Iran unterstützt und wurde dafür zu 74 Peitschenhieben verurteilt. Ebrahim Babaei leidet unter gesundheitlichen Problemen wie einer Herzerkrankung, einer chronischen Beinverletzung und psychischen Problemen. Er benötigt eine medizinische Behandlung und Medikamente.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Nach dem Verschwinden von Ebrahim Babaei hatten Schleuser_innen seiner Familie zunächst gesagt, dass er sich in der türkischen Stadt Van befände. Einige Tage später behaupteten sie jedoch, er sei im Haus eines_r der Schleuser_innen in der Nähe von Van gestorben und sein Leichnam von der türkischen Polizei in ein Krankenhaus überführt worden, um eine Autopsie vornehmen zu lassen. Zuletzt sagten die Schleuser_innen Ebrahim Babaeis Tochter Shima, er sei in dem entlegenen türkischen Dorf Özalp in etwa 16 Kilometern Entfernung von der iranischen Grenze gestorben und sie solle seinen Leichnam aus Özalp holen. Der Rechtsbeistand der Familie in der Türkei wandte sich zur Überprüfung dieser Behauptungen an die türkischen Behörden, darunter an Leichenschauhäuser, Krankenhäuser und die Sicherheitspolizei in Van, die Stadtverwaltung und die Polizei in Özalp sowie den türkischen Grenzschutz. Die Behörden gaben jedoch an, dass ihnen in diesem Zeitraum keine Leiche zugegangen sei, auf die die Beschreibung von Ebrahim Babaei passen würde. Außerdem teilten die türkischen Behörden dem Rechtsbeistand der Familie mit, dass Ebrahim Babaei ihren Nachforschungen zufolge nie in die Türkei eingereist ist.

In der Vergangenheit war Ebrahim Babaei für die friedliche Ausübung seiner Menschenrechte im Iran jahrelang willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen, unfairen Gerichtsverfahren sowie Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt. Der Aktivist hatte die Kampagne von Shima Babaei gegen die Zwangsverschleierungsgesetze Irans unterstützt, bevor diese 2018 aus dem Iran floh. Ebrahim Babaei wurde erstmals am 2. Februar 1984 in Sari in der Provinz Mazandaran festgenommen. Dort verbrachte er 16 Monate im Gefängnis, nachdem er wegen falscher Anschuldigungen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit verurteilt worden war. Er hätte Flugblätter "gegen die Islamische Republik" vorgelesen und besäße verbotene Bücher. In den nachfolgenden zwanzig Jahren wurde er wegen seines Aktivismus wiederholt von den Behörden zum Verhör vorgeladen und jedes Mal mehrere Stunden festgehalten.

Ebrahim Babaei wurde am 7. Februar 2010 im Zusammenhang mit seiner friedlichen Teilnahme an Protesten im Dezember 2009 erneut festgenommen. Er wurde mehrere Tage in einem "Safe House" festgehalten und dann in das Teheraner Evin-Gefängnis überstellt. Dort wurde er etwa vier Monate lang in verlängerter Einzelhaft festgehalten und wechselte zwischen den Trakten 209 und 240 sowie dem allgemeinen Gefängnistrakt. Während der Haft verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, da ihm die nötige medizinische Versorgung verweigert wurde. So litt er u. a. an einer chronischen Beinverletzung, die er sich während seines Wehrdienstes im ersten Golfkrieg zugezogen hatte. Ohne Gehhilfe und die Unterstützung anderer Häftlinge konnte er nicht gehen. Ebrahim Babaei wurde etwa im Dezember 2010 gegen Kaution freigelassen. Kurz vor seiner Freilassung wurde er vor einem Revolutionsgericht in Teheran wegen seiner friedlichen Teilnahme an den Protesten im Dezember 2009 angeklagt. 2011 wurde er zu fünf Jahren, neun Monaten und einem Tag Haft sowie 74 Peitschenhieben verurteilt, während er noch gegen Kaution frei war. Die Anklagepunkte lauteten "Versammlung und Verschwörung zur Begehung von Straftaten gegen die öffentliche Sicherheit", "Verbreitung von Propaganda gegen das System" und "Beeinflussung der öffentlichen Meinung". Im Oktober 2011 wurde er erneut festgenommen, um seine Strafe anzutreten. Einen Teil seiner Gefängnisstrafe verbrachte er im "inneren Exil" im Raja’i Shahr-Gefängnis in Karaj in der Provinz Alborz, den Rest im Evin-Gefängnis. Seine Prügelstrafe in Form von 74 Peitschenhieben wurde am 13. August 2013 im Evin-Gefängnis vollstreckt. Angesichts seiner gesundheitlichen Probleme wurde Ebrahim Babaei begnadigt und im September 2013 freigelassen.

Während seiner Haft im Raja’i Shahr-Gefängnis erfuhr er, dass die Behörden ohne sein Wissen ein weiteres Verfahren gegen ihn eingeleitet und ihn in Abwesenheit zu einer fünfjährigen Bewährungsstrafe verurteilt hatten. Grund des Verfahrens war sein friedlicher Aktivismus im Gefängnis. So war er u. a. mit anderen Gefangenen, die aus politischen Gründen inhaftiert waren, in einen gemeinsamen Hungerstreik getreten und hatte gemeinsame Erklärungen zu den Haftbedingungen verfasst. Darüber hinaus wurde er im Zusammenhang mit seiner Unterstützung für Shima Babaei in einem separaten Verfahren im September 2018 erneut zu 74 Peitschenhieben verurteilt. In den Monaten vor seinem Versuch, aus dem Iran zu fliehen, war Ebrahim Babaei untergetaucht, weil er befürchtete, dass die Behörden versuchen würden, ihn ausfindig zu machen, festzunehmen und die ausstehenden Urteile zu vollstrecken. 

Das Verschwindenlassen von Personen ist ein Verbrechen nach dem Völkerrecht und bezeichnet die Festnahme, den Entzug der Freiheit oder die Entführung von Personen, durchgeführt, unterstützt oder gebilligt durch staatliche Stellen und gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen oder Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib dieser Personen zu erteilen, in der Absicht, sie dem Schutz des Gesetzes zu entziehen. Die inoffiziellen, geheimen Haftanstalten im Iran stehen vollständig außerhalb des Schutzes durch das Gesetz und erleichtern das Verschwindenlassen sowie andere Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen wie Folter und andere Misshandlungen. Häufig handelt es sich dabei um Häuser oder Wohngebäude, die von Geheimdienst- oder Sicherheitsorganen, meist dem Geheimdienstministerium oder der Geheimdienstabteilung der Revolutionsgarden, rechtswidrig dazu genutzt werden, Personen in Gewahrsam zu halten. Diese geheimen Haftanstalten sind nicht bei der iranischen Justizvollzugsbehörde registriert, und Häftlinge und ihre Familien können nicht feststellen, wo genau sie festgehalten wurden. Von Sicherheits- und Geheimdienstkräften werden sie inoffiziell als "Safe Houses" (khanehay-e amn) bezeichnet. Ermöglicht wird die Inhaftierung von Personen in derartigen Einrichtungen durch einen mangelhaften rechtlichen Rahmen. Dieser sieht keine angemessene Aufsicht über alle Gefängnisse und Haftanstalten vor und gewährleistet nicht, dass die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlichen Behörden zur Rechenschaft gezogen werden.