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Aktivistin im Hungerstreik
Die iranische Arbeitsrechtsaktivistin Sepideh Gholian
© Private
Die Arbeitsrechtsaktivistin Sepideh Gholian ist seit dem 23. Juli im Hungerstreik und protestiert damit gegen ihre Haftbedingungen und die Misshandlung ihrer Familie. Ihr Gesundheitszustand hat sich bereits so sehr verschlechtert, dass sie zum Laufen zu schwach ist. Die Anhörung im Verfahren gegen Sepideh Gholian und einen weiteren Arbeitsrechtsaktivisten, Esmail Bakhshi, ist auf den 3. August anberaumt. Die beiden müssen umgehend und bedingungslos freigelassen werden.
Appell an
Ali Alghasi Mehr
Shahr-e Rey prison
Tehran-Varamin Highway
Gharchak
IRAN
Sende eine Kopie an
Botschaft der Islamischen Republik Iran
Herrn Ali Akbar Dabiran
Geschäftsträger a.i.
Podbielskiallee 65-67, 14195 Berlin
Fax: 030 84 353 133
E-Mail: info@iranbotschaft.de
Amnesty fordert:
- Bitte lassen Sie Sepideh Gholian und Esmail Bakhshi umgehend und bedingungslos frei, da sie gewaltlose politische Gefangene sind, die sich nur deshalb in Haft befinden, weil sie ihr Recht auf Meinungsfreiheit wahrgenommen haben.
- Stellen Sie bitte sicher, dass sie regelmäßige Besuche ihrer Familien und Rechtsbeistände erhalten dürfen und dass Sepideh Gholian angemessene medizinische Behandlung erhält und zwar in Übereinstimmung mit der Medizinethik und unter Einhaltung der Grundsätze der Vertraulichkeit, Patientenautonomie und Einwilligung nach Aufklärung.
- Leiten Sie bitte umgehend entsprechend dem Völkerrecht und internationalen Standards, einschließlich der "Nelson-Mandela-Regeln", Maßnahmen zur Verbesserung der Haftbedingungen im Gefängnis Shahr-e Rey ein und ermöglichen Sie internationalen Menschenrechtsbeobachter_innen die Durchführung von Inspektionsbesuchen.
Sachlage
Die Arbeitsrechtsaktivistin Sepideh Gholian ist seit dem 23. Juli im Hungerstreik und protestiert damit gegen die Misshandlung ihrer Familie durch Gefängnisangestellte und ihre schlechten Haftbedingungen im Gefängnis Shahr-e Rey nahe Teheran. Sepideh Gholian ist schwindelig, ihr Blutdruck fällt immer wieder rapide ab und sie ist extrem schwach, so dass sie nicht laufen kann. Zudem erbricht sie Magensäure. Am 26. Juli wurde sie in das Gefängniskrankenhaus verlegt, nachdem sie das Bewusstsein verloren hatte. Anschließend berichtete sie, dass die Gefängniskrankenschwester sie beschimpft hatte und sie nicht mehr in diese Klinik gehen wolle. Die Behörden haben sie aufgefordert zu unterschreiben, dass sie medizinische Hilfe aus freien Stücken zurückweist.
Am 23. Juli nahm Sepideh Gholians Familie eine 13-stündige Fahrt aus der Provinz Khuzestan im Süden des Iran auf sich, um sie nach einem Monat endlich zu besuchen. Im Gefängnis schrien Gefängnisangestellte die Eltern an, beleidigten sie und unterzogen sie unnötig intensiven Leibesvisitationen. Später schrien Gefängnisangestellte auch Sepideh Gholian vor ihren Eltern im Besuchsraum an und warfen ihr vor, ihr Haar und ihren Körper nicht angemessen bedeckt zu haben. Die Spannung eskalierte, als sie sich gegen dieses missbräuchliche Verhalten wehrte. Daraufhin beendeten die Gefängnisangestellten den Besuch nur fünf Minuten, nachdem er begonnen hatte, und brachten Sepideh Gholian weg. Ihre Eltern blieben zitternd und weinend zurück. Nach diesem Vorfall trat Sepideh Gholian in den Hungerstreik. In einem auf den 24. Juli datierten Brief schrieb sie, dass sich der Hungerstreik auch gegen die "furchtbaren" Haftbedingungen im Gefängnis Shahr-e Rey richtet. Sie bezog sich dabei auf die dauernden Bedrohungen von Insassen durch das Gefängnispersonal, die Bedrohung des Lebens der Gefangenen, unhygienische Bedingungen und das häufige Ausbleiben von Wasser. Weitere Beschwerden aus diesem Gefängnis beziehen sich auf die Überbelegung, extreme Hitze aufgrund mangelnder Klimaanlagen, nicht trinkbares salziges Wasser und ungenießbares Essen.
Die Anhörung im Verfahren gegen Sepideh Gholian und ihren Mitstreiter Esmail Bakhshi ist vor dem Revolutionsgericht in Teheran auf den 3. August anberaumt. Ihnen werden konstruierte Anklagen wegen der nationalen Sicherheit zur Last gelegt, die auf ihre Beteiligung an friedlichen Protesten wegen nicht bezahlter Löhne in der Zuckerrohrfabrik Haft Tappeh in der Provinz Khuzestan zurückgehen und auf ihre Aussage, dass sie nach ihrer ersten Festnahme im November 2018 gefoltert wurden.
Hintergrundinformation
Sepideh Gholian und Esmail Bakhshi wurden am 20. Januar von Angehörigen des Geheimdienstministeriums in Ahvaz in der Provinz Khuzestan gewaltsam festgenommen. Dies war allem Anschein nach eine Vergeltungsmaßnahme, weil sie über die erlittene Folter im Gewahrsam während ihrer Haft im November und Dezember 2018 gesprochen hatten. Bis zum 28. April 2019 wurde Sepideh Gholian im Sepidar-Gefängnis und Esmail Bakhshi im Sheyban-Gefängnis festgehalten, dann überstellte man sie in das Evin-Gefängnis. Am 3. Juni wurde Sepideh Gholian in das Gefängnis Shahr-e Rey nahe Teheran verlegt. Seither werden ihnen mehrere Straftaten im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit zur Last gelegt, darunter "Versammlung zur Verschwörung gegen die nationale Sicherheit", "Verbreitung von Propaganda gegen das System", "Verbreitung von Lügen" sowie "Störung der öffentlichen Ordnung". Die Anklagen gründen sich nur auf ihre Beteiligung an friedlichen Protesten wegen nicht bezahlter Löhne in der Zuckerrohrfabrik Haft Tappeh in der Provinz Khuzestan und auf ihre Aussage, dass sie nach ihrer ersten Festnahme im November 2018 gefoltert wurden.
Die Sicherheit und das Wohlergehen von Sepideh Gholian sind im Gefängnis Shahr-e Rey in großer Gefahr. Dort sind Frauen, denen schwerwiegende Gewaltverbrechen zur Last gelegt werden, in überfüllten und unhygienischen Zellen eingesperrt. Berichte aus dem Gefängnis deuten auf eine hohe Anzahl gewalttätiger Übergriffe – sowohl durch Mitgefangene als auch durch das Wachpersonal – sowie auf einen ungezügelten Drogenkonsum und Probleme durch Infektionskrankheiten hin. Das Wasser im Gefängnis ist salzig und eignet sich nicht zum Trinken. Deshalb müssen die Insass_innen überteuerte Wasserflaschen aus dem Gefängnisladen kaufen. Das Essen wird als ungenießbar beschrieben und die meisten Gefangenen ziehen es vor, ihr Essen im Gefängnisladen zu kaufen, dort gibt es fast nur Nahrungsmittel in Dosen. Die Gefangenen erhalten in der Regel Geld von ihren Familien oder sie arbeiten im Gefängnis, um Wasser und Nahrungsmittel kaufen zu können. Häufige Beschwerden sind auch Mangel an Wasser, zu wenig Frischluft und Klimaanlagen, schmutzige und zu wenige Badezimmer, sehr wenig Wasserdruck in den Duschen und viel zu wenig Betten, weshalb Gefangene auf dem Boden schlafen müssen. Den Gefangenen wird zudem eine angemessene medizinische Versorgung verweigert, dadurch gibt es viele ansteckende Krankheiten und Fälle von Hepatitis. Nach dem Völkerrecht und in den UN-Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) aufgeführt müssen die Gefängnisbehörden die Gefangenen mit Lebensmittel versorgen, die genügend Nährwerte enthalten, sowie mit sauberem Trinkwasser und sauberen sanitären Anlagen.
Sepideh Gholian und Esmail Bakhshi wurden erstmals am 18. November 2018 festgenommen. Sie hatten zusammen mit anderen vor dem Büro des Gouverneurs in Shush in Khuzestan friedlich gegen ausstehende Lohnzahlungen in der Zuckerfabrik in Haft Tappeh protestiert. Nach ihrer Freilassung gegen Kaution Mitte Dezember machten sie öffentlich bekannt, dass sie in Shush und in Ahvaz von Angehörigen der Sicherheitspolizei und des Geheimdienstes gefoltert wurden. Wie sie berichteten, wurden sie wiederholt geschlagen, gegen die Wand geschleudert und auf den Boden geworfen, durch sexualisierte Beleidigungen erniedrigt und mit Peitschenhieben, sexualisierter Gewalt und Mord bedroht. Die iranischen Behörden reagierten zunächst mit dem Versprechen, den Foltervorwürfen nachzugehen. Innerhalb weniger Tage gaben jedoch wichtige Staatsbedienstete, darunter der Oberste Richter des Iran, der Generalstaatsanwalt des Landes und der Leiter des Büros des Präsidenten, Erklärungen ab, in denen sie die Foltervorwürfe als falsch bezeichneten und drohten, gegen Esmail Bakhshi Klage zu erheben, weil er das System der Islamischen Republik in Verruf gebracht hätte.
Am 19. Januar 2019, nur einen Tag vor der erneuten Verhaftung der Aktivist_innen, wurden die "Geständnisse", von denen sie sagten, dass sie durch Folter erlangt wurden, im staatlichen Fernsehen übertragen. In den Videos werden die Aktivist_innen gezeigt, wie sie "gestehen", mit marxistischen und kommunistischen Gruppen außerhalb des Iran "konspiriert" zu haben, um den Sturz des Systems der Islamischen Republik durch die Organisation von Arbeiterstreiks und Demonstrationen herbeizuführen. Wie Esmail Bakhshi berichtet, kämmte man ihm vor dem Filmen der "Geständnisse" die Haare, rasierte ihn und drückte ihm einen Text in die Hand. Er sagt, dass man die Aufzeichnung wiederholt unterbrochen und ihn angeschrien habe, dass in seinem Gesicht nicht "genügend Reue" zu sehen sei. Sepideh Gholian zufolge war der Druck, mit dem man sie zu einem "Geständnis" bringen wollte, so hoch, dass sie bei den Verhören in unkontrolliertes Schreien und Zittern ausbrach. Mit dem Erzwingen und der Veröffentlichung erzwungener "Geständnisse" verstoßen die iranischen Behörden in grober Weise gegen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, darunter das Recht zu schweigen und die Unschuldsvermutung.
Die Anhörung im Verfahren gegen Sepideh Gholian und Esmail Bakhshi soll am 3. August vor der Abteilung 28 des Revolutionsgerichts in Teheran stattfinden. Ein weiterer Arbeitsrechtsaktivist, Ali Nejati, und vier Journalist_innen, Sanaz Alahyari, Amirhossein Mohammadifar, Amir Amirgholi und Asal Mohammadi, stehen in demselben Verfahren vor Gericht. Ali Nejati, der ehemalige Vorsitzende und derzeitiges Mitglied des Gewerkschaftsverbandes von Haft Tappeh, wurde am 29. November 2018 festgenommen. Am 28. Januar 2019 wurde er dann bis zu seiner Verhandlung gegen Kaution wieder freigelassen. Die vier Journalist_innen sind für das Online-Magazin Gam tätig und berichten über Fragen der sozialen Gerechtigkeit und zum Thema Arbeitsrechte. Amir Amirgholi, Sanaz Alahyari und Amirhossein Mohammadifar werden seit Januar 2019 im Evin-Gefängnis von Teheran festgehalten. Asal Mohammadi wurde am 8. Dezember 2018 festgenommen und am 5. Januar 2019 bis zu ihrer Verhandlung gegen Kaution wieder freigelassen. Die Vorwürfe gegen die vier Journalist_innen sind fadenscheinig und wurden ausschließlich aufgrund ihrer Berichterstattung über Arbeitskämpfe in der Zuckerrohrfabrik Haft Tappeh in der Provinz Khuzestan erhoben.