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Ohne Kontakt zur Außenwelt
Der chinesische Menschenrechtsverteidiger Xu Zhiyong
© Privat
Bereits seit fünf Monaten wird der bekannte Rechtswissenschaftler Xu Zhiyong ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Jetzt wurde er unter dem Verdacht "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" formell inhaftiert. Xu Zhiyong war festgenommen worden, nachdem er in Xiamen an einem informellen Treffen von Anwält_innen und Aktivist_innen teilgenommen hatte. Er wird ohne Zugang zu seinen Angehörigen und einem Rechtsbeistand seiner Wahl an einem geheimen Ort festgehalten. Er ist in großer Gefahr, gefoltert oder in anderer Weise misshandelt zu werden.
Appell an
Director Li Dengquan
Linyi Shi Public Security Bureau
7 Shanghai Lu, Lanshan Qu
Linyi Shi, Shandong Sheng
VOLKSREPUBLIK CHINA
Sende eine Kopie an
Botschaft der Volksrepubli China
S. E. Herrn Ken Wu
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin
Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com
Amnesty fordert:
- Lassen Sie Xu Zhiyong bitte umgehend und bedingungslos frei, es sei denn es existieren glaubwürdige und zulässige Beweise dafür, dass er eine international als Straftat anerkannte Handlung begangen hat, und er erhält ein Verfahren, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht.
- Stellen Sie bitte sicher, dass Xu Zhiyong bis zu seiner Freilassung regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu seiner Familie und Rechtsbeiständen seiner Wahl erhält, und dass er nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt wird.
- Sorgen Sie bitte außerdem dafür, dass andere Menschenrechtsverteidiger_innen, die ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit und andere Menschenrechte friedlich wahrnehmen, nicht mehr schikaniert und verhaftet werden.
Sachlage
Nachdem Xu Zhiyong (许志永) bereits seit dem 15. Februar festgehalten wird, wurde er am 19. Juni wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" (煽动颠覆国家政权) formell inhaftiert. Er befindet sich an "einem dafür vorgesehenen Ort unter Überwachung" (指定居所监视居住). Hierbei handelt es sich um eine Form der geheimen Haft ohne Kontakt zur Außenwelt, mit der Personen bis zu sechs Monate lang außerhalb des offiziellen Systems festgehalten werden können.
Xu Zhiyong hatte im Dezember 2019 an einem informellen Treffen von Intellektuellen in der ostchinesischen Stadt Xiamen teilgenommen, bei dem sich die Teilnehmenden lediglich über die aktuelle Lage der chinesischen Zivilgesellschaft austauschten. Das Treffen war von der Polizei aufgelöst worden und in der Folge wurden mehr als zehn Menschenrechtsverteidiger_innen festgenommen und inhaftiert.
Internationale Menschenrechtsnormen und -standards garantieren Freiheitsrechte wie das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Niemand darf wegen der friedlichen Ausübung dieser Rechte festgenommen oder inhaftiert werden. Menschenrechtsexpert_innen der Vereinten Nationen haben schon wiederholt ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass die chinesischen Behörden nationale Sicherheitsbestimmungen gegen Menschenrechtsverteidiger_innen anwenden, die friedlich ihre Rechte wahrnehmen.
Xu Zhiyong wird seit mehr als fünf Monaten ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten, ohne dass seine Angehörigen oder Rechtsbeistände sein körperliches und geistiges Wohlbefinden überprüfen können. Angesichts der kaum möglichen Sicherheitsvorkehrungen in dieser Situation besteht große Sorge, dass Xu Zhiyong gefoltert oder in anderer Weise misshandelt werden könnte.
Hintergrundinformation
Xu Zhiyong ist ein chinesischer Rechtswissenschaftler und Menschenrechtsaktivist, der für seinen Einsatz für benachteiligte Gruppen und seine Aktivitäten für die "Neue Zivilgesellschaftliche Bewegung" bekannt ist, die er 2012 initiierte. Hinter dem losen Netzwerk steht die Idee, "neue zivilgesellschaftliche Verantwortung" zu zeigen, indem die Unterstützer_innen der Bewegung Korruption ablehnen und sich um die Gesellschaft verdient machen. Xu Zhiyong war bereits zuvor wegen seiner friedlichen Aktivitäten inhaftiert; er verbüßte von 2013 bis 2017 infolge einer konstruierten Anklage eine Haftstrafe, da er die öffentliche Ordnung gefährdet haben soll.
Im Dezember 2019 nahmen Dutzende Menschenrechtsverteidiger_innen, Anwält_innen und Aktivist_innen an einem informellen Treffen in Xiamen – einer Stadt an der Südostküste Chinas – teil. Viele der Teilnehmenden waren in der "Neuen Zivilgesellschaftlichen Bewegung" aktiv.
Seit dem 26. Dezember 2019 lädt die Polizei im ganzen Land Teilnehmende dieses Treffens vor oder nimmt sie fest. Bisher sind mehr als zehn Personen von diesen Maßnahmen betroffen, darunter Ding Jiaxi, Dai Zhenya und Zhang Zhongshun. Dai Zhenya und Zhang Zhongshun wurden am 18. Juni gegen Zahlung einer Kaution freigelassen. Der ehemalige Menschenrechtsanwalt Ding Jiaxi wurde mehr als sechs Monaten ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten, bevor er am 19. Juni 2020 offiziell wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" angeklagt wurde. (Vgl. UA-020/2020-1 vom 3. Juli 2020)
Xu Zhiyong war nach dem Treffen im Dezember 2019 untergetaucht, wie Freund_innen berichteten. Aus seinem Versteck heraus hatte er im Februar 2020 Beiträge veröffentlicht, in denen er Präsident Xi Jinping zum Rücktritt aufforderte. Er kritisierte unter anderem dessen Umgang mit der Coronavirus-Epidemie und den Demokratieprotesten in Hongkong. Am 15. Februar wurde Xu Zhiyong im Haus des mit ihm befreundeten Aktivisten Yang Bin festgenommen. Auch dieser hatte sich gegen die Zensur von Informationen im Zuge des Corona-Ausbruchs in China ausgesprochen. Seit seiner Festnahme wird Xu Zhiyong der Zugang zu seinen Rechtsbeiständen und Angehörigen verweigert.
Die Polizei geht nicht nur direkt gegen die Teilnehmenden des Treffens vor, sondern auch gegen deren Familien. Diese werden schikaniert und es kam auch schon zu Festnahmen: So war die Arbeitsrechtsaktivistin und Feministin Li Qiaochu von Februar bis Juni 2020 an einem unbekannten Ort inhaftiert. Li Qiaochu ist die Partnerin von Xu Zhiyong. Amnesty International geht davon aus, dass ihre Festnahme auch mit ihrer Verbindung zu Xu Zhiyong zu tun hatte. (Vgl. UA-028/2020 vom 17. März 2020)
Im März 2020 drückten die Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen ihre Besorgnis über die anhaltende Anwendung der "Überwachung an einem dafür vorgesehenen Ort" durch die chinesischen Behörden aus. Diese Maßnahme ermöglicht es strafrechtlichen Ermittler_innen, Personen unter bestimmten Umständen für bis zu sechs Monate außerhalb des formellen Haftsystems festzuhalten. Dies kann einer geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt gleichkommen. Diese Art der Haft wird benutzt, um die Aktivitäten von Menschenrechtsverteidiger_innen, darunter Rechtsbeistände, Aktivist_innen und Praktizierende einer Religion, zu unterdrücken.