China: Menschenrechtler gefoltert

Der chinesische Menschenrechtsverteidiger Xu Zhiyong
© Privat
Dem bekannten Rechtswissenschaftler und Aktivisten Xu Zhiyong wurde zum ersten Mal seit seiner Inhaftierung im Februar 2020 gestattet, sich per Videoanruf mit seinem Rechtsbeistand auszutauschen. Während der beiden Gespräche berichtete Xu Zhiyong, dass er während seiner Haft an einem geheimen Ort gefoltert worden sei. Zudem beschrieb er die harten Bedingungen in seiner derzeitigen Haftanstalt. Nachdem er ursprünglich wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" inhaftiert worden war, lautet die Anklage nun "Untergrabung der Staatsgewalt". Xu Zhiyong ist in großer Gefahr, erneut gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden.
Appell an
Wang Qinjie
People Procurator of Linyi Shi
Jiefang East Road, Hedong Qu
Linyi Shi, Shandong Sheng, 276034
VOLKSREPUBLIK CHINA
Sende eine Kopie an
Botschaft der Volksrepublik China
S. E. Herrn Ken Wu
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin
Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com
oder de@mofcom.gov.cn
Amnesty fordert:
- Lassen Sie Xu Zhiyong bitte umgehend und bedingungslos frei, es sei denn es existieren glaubwürdige und zulässige Beweise dafür, dass er eine international als Straftat anerkannte Handlung begangen hat, und er erhält ein Verfahren, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht.
- Stellen Sie bitte sicher, dass Xu Zhiyong bis zu seiner Freilassung regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu seiner Familie und Rechtsbeiständen seiner Wahl erhält, und dass er nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt wird.
- Stellen Sie sicher, dass Xu Zhiyong angemessen ernährt wird und gewähren Sie ihm auf Anfrage oder bei Bedarf umgehend regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung.
Sachlage
Es besteht große Sorge um den bekannten Rechtswissenschaftler und Aktivisten Xu Zhiyong (許志永). Er ist seit Februar 2020 inhaftiert und wurde am 20. Januar 2021 wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" (颠覆国家政权) angeklagt.
Es ist zu begrüßen, dass Xu Zhiyong sich nach über einem Jahr ohne Kontakt zur Außenwelt am 21. Januar sowie am 5. Februar endlich per Videoanruf mit seinem Rechtsbeistand sprechen durfte. In diesen Gesprächen habe er jedoch berichtet, dass seine derzeitigen Haftbedingungen im Gefängnis von Linshu County äußerst hart seien. Es ist besorgniserregend, dass Xu Zhiyong jeden Tag nur ein gedämpftes Brötchen pro Mahlzeit erhält. Ohne angemessene Ernährung ist seine Gesundheit in Gefahr.
Ebenso erschütternd ist die Behandlung, die Xu Zhiyong während seiner Haft "an einem dafür vorgesehenen Ort" erdulden musste. Laut eigener Aussage wurde er an einen Eisenstuhl gefesselt und seine Gliedmaßen wurden über eine Woche lang mehr als zehn Stunden am Tag fixiert. Er sei sehr erschöpft gewesen und habe nur schwer atmen können, während er gefesselt war. Diese Behandlung verstößt nach internationalen Menschenrechtsnormen gegen das Verbot von Folter und anderen Misshandlungen.
Xu Zhiyong wurde inhaftiert, weil er friedlich sein Recht auf Versammlungsfreiheit wahrgenommen hat. Die Folter und Misshandlungen während seiner Haft "an einem dafür vorgesehenen Ort" sowie die harten Bedingungen in seiner aktuellen Haftanstalt verstärken die Sorge um seine Gesundheit und seine Sicherheit.
Hintergrundinformation
Xu Zhiyong ist ein chinesischer Rechtswissenschaftler und Menschenrechtsaktivist, der für seinen Einsatz für benachteiligte Gruppen und seine Aktivitäten für die "Neue Zivilgesellschaftliche Bewegung" bekannt ist. Hinter dem losen Netzwerk steht die Idee, "neue zivilgesellschaftliche Verantwortung" zu zeigen, indem die Unterstützer_innen der Bewegung Korruption ablehnen und sich um die Gesellschaft verdient machen. Xu Zhiyong initiierte die Bewegung im Jahr 2012 und wurde wegen seiner friedlichen Aktivitäten bereits 2013 bis 2017 inhaftiert. Die konstruierte Anklage lautete damals "Gefährdung der öffentlichen Ordnung".
Im Dezember 2019 nahm Xu Zhiyong mit Dutzenden Anwält_innen und Aktivist_innen an einem informellen Treffen in der Stadt Xiamen an der Südostküste Chinas teil. Viele der Teilnehmenden waren in der "Neuen Zivilgesellschaftlichen Bewegung" aktiv. Das Treffen diente dem Austausch über die Lage der chinesischen Zivilgesellschaft und aktuelle Ereignisse. Seit dem 26. Dezember 2019 lädt die Polizei im ganzen Land Teilnehmende dieses Treffens vor oder nimmt sie fest.
Xu Zhiyong war nach dem Treffen im Dezember 2019 untergetaucht, wie Freund_innen berichteten. Aus seinem Versteck heraus veröffentlichte er im Februar 2020 Beiträge, in denen er Präsident Xi Jinping zum Rücktritt aufforderte. Er kritisierte unter anderem dessen Umgang mit der Corona-Pandemie und den Demokratieprotesten in Hongkong. Am 15. Februar wurde Xu Zhiyong im Haus des mit ihm befreundeten Aktivisten Yang Bin festgenommen. Bis zum 21. Januar 2021 wurde er anschließend ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten.
Der Fall erinnert an den inhaftierten Menschenrechtsanwalt Ding Jiaxi, der zur gleichen Zeit festgenommen wurde – auch er hatte an dem Treffen in Xiamen teilgenommen. Die Behörden untersuchten die beiden Fälle bis zum 20. Januar 2021 gemeinsam. Seither lautet die Anklage "Untergrabung der Staatsgewalt" und ihre Rechtsbeistände wurden darüber informiert, dass ihre Fälle getrennt behandelt würden. Bisher wurden noch keine Verhandlungstermine bekanntgegeben.
Auch die Partnerin von Xu Zhiyong, Arbeitsrechtsaktivistin und Feministin Li Qiaochu, war von Februar bis Juni 2020 an einem unbekannten Ort inhaftiert. Infolge ihrer unablässigen Forderung nach der Freilassung und besserer Behandlung von Xu Zhiyong wurde sie am 6. Februar 2021 erneut von den Behörden festgenommen. Derzeit wird sie im selben Haftzentrum wie Xu Zhiyong und Ding Jiaxi festgehalten – allerdings ist unklar, ob ihr Fall separat oder zusammen mit einem der anderen beiden Fälle behandelt wird.
Seit dem harten Vorgehen gegen Anwält_innen und Aktivist_innen im Jahr 2015 nutzen die chinesischen Behörden systematisch extrem vage Anklagen bezüglich der nationalen Sicherheit wie "Untergrabung der Staatsgewalt" oder "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt", um Anwält_innen, Wissenschaftler_innen, Journalist_innen, Aktivist_innen und NGO-Mitarbeiter_innen strafrechtlich zu verfolgen.