Lebenslange Haft für kasachischen Autor

Mann im dunklen Anzug steht vor einem Schaufenster und blickt ernst in die Kamera.

Der chinesisch-kasachische Schriftsteller Nagyz Muhammed

Nagyz Muhammed ist Kasache und besitzt die chinesische Staatsbürgerschaft. Der Schriftsteller wurde des "Separatismus" schuldig gesprochen, weil er mit seinen Freund_innen den kasachischen Unabhängigkeitstag feierte, sich gegen die "zweisprachige Bildungspolitik" in Xinjiang äußerte und Kasach_innen dazu ermutigte, China zu verlassen und nach Kasachstan zu ziehen. Nagyz Muhammed sagte vor Gericht aus, dass er während der Verhöre gefoltert wurde. Im September wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt.

Appell an

Wang Jiang

Prison Administration Bureau of Xinjiang Uyghur Autonomous Region


No 380, Huanghe Iu, Urumqi

830000, Xinjiang Uyghur Autonomous Region

VOLKSREPUBLIK CHINA

Sende eine Kopie an

Botschaft der Volksrepublik China

S. E. Herrn Ken Wu

Märkisches Ufer 54

10179 Berlin


Fax: 030-27 58 82 21

E-Mail: de@mofcom.gov.cn

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, Nagyz Muhammed freizulassen, es sei denn es existieren glaubwürdige und zulässige Beweise dafür, dass er eine international als Straftat anerkannte Handlung begangen hat, und er erhält ein Verfahren, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht.
  • Stellen Sie sicher, dass Nagyz Muhammed bis zu seiner Freilassung nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt wird.

Sachlage

Der chinesisch-kasachische Schriftsteller Nagyz Muhammed wurde des "Separatismus" schuldig gesprochen und im September 2020 zu lebenslanger Haft verurteilt, nur weil er friedlich seine Rechte ausgeübt hatte. Es besteht große Sorge um seine Sicherheit.

Über das Urteil existieren keine offiziellen Dokumente, aber laut der Familie von Nagyz Muhammed wurde er verurteilt, weil er sich am kasachischen Unabhängigkeitstag mit seinen Freund_innen traf, sich gegen die "zweisprachige Bildungspolitik" in Xinjiang äußerte und Kasach_innen dazu ermutigte, von China nach Kasachstan zu ziehen. All dies sind friedliche Handlungen, die unter dem Völkerrecht und internationalen Menschenrechtsstandards geschützt sind.

Es ist beunruhigend, dass Nagyz Muhammed das Recht auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren verwehrt wurde und er nicht von einem Rechtsbeistand seiner Wahl vertreten werden durfte. Stattdessen vertrat ihn bei der gerichtlichen Anhörung ein staatlich beauftragter Rechtsbeistand. Wie Amnesty International bei ähnlichen Fällen dokumentiert hat, sind nur wenige Rechtsbeistände bereit, die Mandate für Fälle in Xinjiang anzunehmen, da diese als politisch brisant gelten.

Das Gericht hat die Vorwürfe von Nagyz Muhammed, dass er während Verhören geschlagen und ihm mit Zigaretten Verbrennungen zugefügt wurden nicht untersucht. Dies lässt die Vermutung aufkommen, dass seine Verurteilung auf Geständnissen beruht, die durch Folter und anderweitige Misshandlungen erzwungen worden waren. Nagyz Muhammed wird seit 2018 ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Deswegen besteht große Sorge um seine Sicherheit und seine körperliche Unversehrtheit.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Nagyz Muhammed ist Kasache und besitzt die chinesische Staatsbürgerschaft. Er arbeitete als Schriftsteller im Büro für Immaterielles Kulturerbe (Intangible Cultural Heritage Office) in Altay in der Autonomen Region Xinjiang in Nordwestchina. Er ist Mitglied im Schriftstellerverband von Xinjiang und veröffentlichte zwei Gedichtbände. Seine Familie zog im Jahr 2012 nach Kasachstan, weil es dort bessere Bildungsmöglichkeiten gab. Seitdem reiste Nagyz Muhammed mehrere Male nach Kasachstan, um seine Familie zu besuchen. Anfang 2018 reiste Nagyz Muhammed nach Almaty in Kasachstan, um nach einer Herzoperation in Urumqi, der Hauptstadt Xinjiangs, bei seiner Familie zu sein. Im März 2018 drängte ihn ein_e Kolleg_in in China, seine Arbeit wieder aufzunehmen. Zurück in Altay wurde Nagyz Muhammed noch im März auf die örtliche Polizeiwache vorgeladen und dort zu seinem letzten Aufenthalt in Kasachstan befragt. Seitdem konnte niemand mehr Kontakt zu ihm aufnehmen.

Im April 2020 erfuhr seine Familie aus inoffizieller Quelle, dass er des "Separatismus" überführt und zu sieben Jahren Haft verurteilt worden sei. Doch seine Angehörigen konnten dies nicht verifizieren. Erst im September 2020 erfuhr die Familie, dass die Informationen ihrer Quelle über das Urteil falsch waren und das Strafmaß weit höher war. Obwohl der Familie und dem Rechtsbeistand keine offiziellen Unterlagen zum Urteil zur Verfügung gestellt wurden, durften einige Verwandte der Anhörung vor Gericht hinter einer Trennscheibe beiwohnen.

Xinjiang ist eine ethnisch äußerst vielfältige Region. Mehr als die Hälfte der dort lebenden 22 Millionen Menschen gehören zu überwiegend türkischen und meist muslimischen ethnischen Gruppierungen, darunter Uigur_innen (etwa 11,3 Millionen), Kasach_innen (etwa 1,6 Millionen) und andere Gruppen, deren Sprachen, Kulturen und Lebensweisen sich erheblich von denen der Han-Chines_innen Zentralchinas unterscheiden, wo diese die Mehrheitsbevölkerung stellen.

Seit Chen Quanguo 2016 das Amt des Parteisekretärs der Autonomen Region Xinjiang angetreten hat, kann man an den Medienberichten ablesen, wie scharf die neu eingeführten Sicherheitsmaßnahmen sind. Im Oktober 2016 gab es zahlreiche Berichte darüber, dass die Behörden in der Region die Reisepässe von Uigur_innen konfisziert hatten, um ihre Bewegungsfreiheit weiter einzuschränken. Im März 2017 erließ die Autonome Region Xinjiang eine Verordnung zur "Entextremisierung", die ein breites Spektrum an Handlungen beschreibt und diese als "extremistisch" verbietet. Dazu zählen unter anderem "Verbreitung von extremistischem Gedankengut", die Verunglimpfung von staatlichen Radio- oder Fernsehsendern und die Weigerung, diese zu konsumieren sowie das Tragen von Burkas oder "ungewöhnlichen" Bärten. Darüber hinaus zählen Widerstand gegen nationale Politik sowie das Publizieren, Herunterladen, Aufbewahren und Lesen von Artikeln oder Publikationen und audiovisuellen Beiträgen mit "extremistischem Inhalt" zur Liste dieser "extremistischen" Handlungen. Aufgrund der Verordnung wurde zudem ein "Zuständigkeitssystem" eingerichtet, mit dem die "Antiextremismus-Arbeit" der Regierung in verschiedene Bereiche eingeteilt und jährlich überprüft wird.

Es werden schätzungsweise eine Million Uigur_innen, Kasach_innen und Angehörige anderer mehrheitlich muslimischer Bevölkerungsgruppen in sogenannten Einrichtungen für "Transformation durch Erziehung" festgehalten. Die chinesischen Behörden bestritten bis Oktober 2018 die Existenz dieser "Umerziehungseinrichtungen". Danach erklärten sie, die Menschen seien freiwillig in diesen Lagern und würden eine Berufsausbildung erhalten. Ziel dieser Einrichtungen sei es, den Menschen eine technische und berufliche Ausbildung zu bieten und ihnen zu ermöglichen, eine Arbeit zu finden und sich zu "nützlichen" Bürger_innen zu entwickeln. Im Widerspruch zu diesen Erläuterungen stehen allerdings die Berichte von ehemaligen Insass_innen dieser Lager, die Schläge, Nahrungsentzug und Isolationshaft beschreiben.

China ist bisher den Aufforderungen der internationalen Gemeinschaft und auch Amnesty International nicht nachgekommen, unabhängige Expert_innen uneingeschränkt nach Xinjiang einreisen zu lassen. Stattdessen versucht die chinesische Regierung, kritische Stimmen zu unterdrücken, indem sie sorgfältig ausgewählte Delegationen aus verschiedenen Ländern zu streng durchgeplanten und überwachten Besuchen nach Xinjiang einlädt.