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Chile: Straflosigkeit beenden!
Diese Urgent Action ist beendet.
Am 3. Januar erhob die Regionale Staatsanwaltschaft in Santiago de Chile Anklage gegen drei derzeitige bzw. ehemalige hochrangige Kommandanten der Polizei. Sie will die drei Polizeikräfte wegen ihrer mutmaßlichen Rolle bei der Unterdrückung der Massenproteste Ende 2019 zur Rechenschaft ziehen. Nach der Anhörung durch die Anklage wird ein Prozess gegen diejenigen erwartet, die für das Leid Tausender Menschen verantwortlich sind. Dabei müssen sämtliche Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren und einen fairen Prozess eingehalten werden, um das Recht der Opfer auf Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung in vollem Umfang zu gewährleisten.
Im Oktober jährte sich der Ausbruch massiver sozialer Unruhen in Chile zum vierten Mal. Im Verlauf der Proteste kam es zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch chilenische Polizeikräfte, den Carabineros. Bis heute ist keine Führungskraft innerhalb der Polizei für diese Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen worden. Am 27. November forderten zwei UN-Sonderberichterstatter die chilenischen Behörden öffentlich auf, Staatsbedienstete, die während der Proteste von 2019 und 2020 Verbrechen begangen hatten, zügig strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Sie kritisierten scharf, dass bisher keine einzige polizeiliche Führungskraft strafrechtlich verfolgt wurde, und betonten die Aufgabe des Staates, Befehlshabende zur Verantwortung zu ziehen.
Appell an
Staatsanwalt der Metropolregion Zentrum-Nord
Xavier Armendáriz
Av. Pedro Montt 1606
Santiago Centro
CHILE
Sende eine Kopie an
Staatsanwalt per X (ehemals Twitter): @FRCentroNorte
Botschaft der Republik Chile
I.E. Frau Maria Magdalena Atria Barros
Mohrenstr. 42
10117 Berlin
Fax: 030-726 203 603
E-Mail: echile.alemania@minrel.gob.cl
Amnesty fordert:
- Anklagen zu erheben und ein Strafverfahren gegen die Befehlshabenden der Carabineros einzuleiten, wenn es genügend zulässige Beweise dafür gibt, und zwar im Rahmen eines fairen Verfahrens mit allen verfahrensrechtlichen Garantien.
Sachlage
Am 18. Oktober 2019 brachen in Chile soziale Unruhen aus. Seitens der Sicherheitskräfte kam es zu zahllosen Menschenrechtsverletzungen, Hunderte verloren ihr Augenlicht durch Schüsse der Carabineros. Es ist besorgniserregend, dass vier Jahre nach diesen Ereignissen immer noch Straffreiheit herrscht, insbesondere im Hinblick auf die polizeilichen Führungskräfte.
Seit 2020 hat Amnesty International die chilenische Generalstaatsanwaltschaft immer wieder aufgefordert, die Verantwortung der operativen und strategischen Führungskräfte zu klären, die in ihrer Rolle die wiederholte Begehung von Menschenrechtsverletzungen angeordnet oder stillschweigend zugelassen haben. Amnesty hat die Justizbehörden aufgefordert, Verfahren gegen alle mutmaßlich Verantwortlichen einzuleiten und diese strafrechtlich zu verfolgen. Zu diesen könnten auch der Generaldirektor und der Direktor der Nationalen Direktion für Ordnung und Sicherheit (Dirección Nacional de Orden y Seguridad – DIOSCAR) gehören, die zum Zeitpunkt der Ereignisse im Amt waren. Den Opfern und ihren Angehörigen muss Zugang zur Justiz verschafft werden.
Am 27. November 2023 schlossen sich der UN-Sonderberichterstatter für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und der Sonderberichterstatter über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen dem Ruf nach Rechenschaftspflicht an. Sie machten klar, dass "das Ausmaß der Verstöße und der den Demonstrierenden zugefügten Schäden sowie die Kontinuität der Verstöße darauf hindeuten, dass es sich nicht um isolierte Vorfälle handelte, sondern dass entsprechende Befehle von oben kamen." Auch sie unterstrichen, wie wichtig es ist, die Verantwortlichen auf den höchsten Ebenen der Befehlskette zur Rechenschaft zu ziehen und die strafrechtliche Verfolgung und Bestrafung der verantwortlichen Staatsbediensteten voranzutreiben.
Hintergrundinformation
Am 18. Oktober 2019 hatte in ganz Chile eine massive Protestbewegung eingesetzt, die sich an hohen Fahrpreisen im Nahverkehr entzündet hatte, sich dann aber schnell gegen soziale Missstände und die Regierung richtete. Für viele Chilen*innen waren die Proteste der letzte Strohhalm, nachdem ihnen der Zugang zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten jahrzehntelang zunehmend eingeschränkt worden war.
Die weitgehend friedlichen Proteste wurden massiv unterdrückt. Doch obwohl die staatlichen Repressionsmaßnahmen ein Ausmaß erreichten, das es seit der Pinochet-Regierung nicht mehr gegeben hatte, konnten die Proteste nicht gestoppt werden. Die Carabineros setzten grundlos weniger tödliche Waffen ein und feuerten wiederholt ungerechtfertigt und wahllos potenziell tödliche Munition ab, wobei sie in vielen Fällen auf die Köpfe der Menschen zielten. Immer wieder setzten sie übermäßig und unnötigerweise Tränengas ein – auch im Umfeld von Krankenhäusern, Universitäten, Wohnhäusern und sogar Schulen, wodurch auch Kinder und Menschen mit Behinderungen getroffen wurden. Tausende von Menschen wurden verletzt. Hunderte trugen schwere Augenverletzungen durch Gummischrot und Tränengas davon, die wahllos und in unangemessener Weise eingesetzt wurden. Es gab Berichte von Folter und sexualisierten Übergriffen an gefangengenommenen Demonstrierenden. Die meisten der dokumentierten Menschenrechtsverletzungen wurden von Carabineros begangen. Deren Führungskräfte – die ihre Einheiten kontrollieren und sicherstellen müssen, dass Gewalt nur im Einklang mit nationalem Recht, dem Völkerrecht und internationalem Standards angewendet wird – haben diese Menschenrechtsverletzungen nicht verhindert.
Ein typisches Beispiel, das die entsprechenden Verantwortlichkeiten deutlich macht, ist der Fall von Gustavo Gatica, der bei den Protesten im November 2019 durch Schüsse aus Schrotflinten sein Augenlicht verlor. Die chilenische Polizei leitete zwar eine interne Untersuchung der Vorfälle ein, kam aber zu dem Schluss, dass niemand ihrer Mitarbeiter*innen verantwortlich gemacht werden könne. Im Juni 2020 deckte Amnesty International allerdings einen möglichen Versuch der Carabineros auf, die Verwicklung eines ihrer Beamten – der als "G-3" identifiziert wurde – zu vertuschen. Seit dem 29. September 2023 wird gegen diesen Beamten wegen seiner Rolle bei dem Angriff auf Gustavo Gatica strafrechtlich ermittelt. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen ihn erhoben, ein Verfahren steht jedoch noch aus. Die Befehlskette in diesem Fall soll in einem eigenen Verfahren untersucht werden.
In dem Bericht Eyes on Chile: Police violence and chain of command responsibility during the period of social unrest stellte Amnesty International die mögliche strafrechtliche Verantwortung von mindestens drei Führungskräften der Carabineros im Zusammenhang mit massiven Verletzungen des Rechts auf körperliche Unversehrtheit von Demonstrierenden fest. Die Menschenrechtsorganisation startete eine weltweite Kampagne, in der die Generalstaatsanwaltschaft aufgefordert wird, gegen die Führungskräfte zu ermitteln. In dem Bericht empfahl Amnesty International außerdem eine strukturelle Polizeireform, die den militärischen Charakter und die Struktur der Carabineros ins Visier nimmt. Die Organisation fordert eine stärkere Kontrolle durch zivile Behörden, sowie weitere dringende Änderungen, damit die Einhaltung internationaler Menschenrechtsnormen gewährleistet werden kann.
Die Menschenrechtsverletzungen durch Polizeikräfte im Zusammenhang mit den sozialen Unruhen Ende 2019 hatten nach Angaben des Nationalen Menschenrechtsinstituts (INDH) zu 10.568 Anzeigen geführt. Bis Ende 2022 hatte die Staatsanwaltschaft jedoch nur 127 Anklagen erhoben. In 27 Fällen kam es zu Verurteilungen, acht weitere Fälle endeten mit einem Freispruch. Bis heute wurde gegen keine der Führungskräfte der Carabineros Anklage erhoben, die während der Unruhen im Amt waren. Im Rahmen der gegenwärtigen Untersuchung gegen Führungskräfte der Carabineros hat die Staatsanwaltschaft den Leiter der Polizeibehörde bereits sechs Mal vorgeladen, um auszusagen. Dies ist bisher jedoch noch nicht geschehen, was die Ermittlungen behindert.