Ägypten: Menschenrechtler vor Sondergericht

Diese Urgent Action ist beendet

Der Masterstudent Patrick George Zaki wurde am 7. Dezember 2021 nach 22 Monaten willkürlicher Haft vorläufig freigelassen. Seit seiner Festnahme im Februar 2020 war er unter grausamen und unmenschlichen Bedingungen im Tora-Untersuchungsgefängnis inhaftiert. Die konstruierte Anklage "Verbreitung falscher Nachrichten" vor einem Staatssicherheitsgericht besteht weiter.

Patrick George Zaki

Patrick George Zaki

Seit dem 28. September muss sich der Menschenrechtsverteidiger Patrick George Zaki vor einem Staatssicherheitsgericht verantworten. Die Anklage wegen "Verbreitung falscher Nachrichten" bezieht sich auf einen Artikel, den er über die Diskriminierung koptischer Christ_innen in Ägypten geschrieben hatte. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft. Patrick Zaki George ist ein gewaltloser politischer Gefangener und muss umgehend und bedingungslos freigelassen werden, da er nur deshalb inhaftiert ist, weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hat.

Appell an

President Abdelfattah al-Sisi

Office of the President,

Al Ittihadia Palace, Cairo

ÄGYPTEN

Sende eine Kopie an

Botschaft von Ägypten

S.E. Herrn Khaled Mohamed Galaleldin Abdelhamid

Stauffenbergstraße 6 – 7

10785 Berlin

Fax: 030-477 1049

E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de

Amnesty fordert:

  • Ich bitte Sie, dafür zu sorgen, dass Patrick George Zaki unverzüglich und bedingungslos freigelassen wird und dass alle Anklagen gegen ihn fallen gelassen werden, da sie ausschließlich auf die Ausübung seiner Menschenrechte basieren.
  • Bitte leiten Sie eine unabhängige Untersuchung seiner Foltervorwürfe ein, mit dem Ziel, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass er bis zu seiner Freilassung angemessenen Zugang zu medizinischer Versorgung, einschließlich der Corona-Impfung, erhält und dass die Haftbedingungen den internationalen Standards für die Behandlung von Gefangenen entsprechen.

Sachlage

Am 28. September wurde der Menschenrechtsverteidiger und Masterstudent Patrick George Zaki wegen "Verbreitung falscher Nachrichten im In- und Ausland" vor einem (Notfall-)Staatssicherheitsgericht (Emergency State Security Court – ESSC) angeklagt. Hintergrund ist ein im Jahr 2019 veröffentlichter Artikel mit Auszügen aus seinem persönlichen Tagebuch, in denen er über die Diskriminierung koptischer Christ_innen in Ägypten schreibt. Patrick George Zaki verbrachte bereits 20 Monate in willkürlicher Untersuchungshaft, während in einem anderen Fall gegen ihn wegen "Verbreitung falscher Nachrichten", "Anstiftung zum Protest" und "Anstiftung zu Gewalt und terroristischen Straftaten" ermittelt wurde. Die Verfahren vor den ESSCs, die als Sondergerichte im Falle eines Ausnahmezustands tätig werden, sind für ihre unfairen Verfahren bekannt, ihre Urteile sind nicht anfechtbar. Der nächste Prozesstag wurde auf den 7. Dezember vertagt, nachdem sein Rechtsbeistand um eine Kopie seiner Akte gebeten hatte.

Freund_innen und Unterstützer_innen von Patrick George Zaki konnten ihn während der Gerichtsverhandlung am 28. September sehen und berichteten, dass er angesichts seiner willkürlichen Inhaftierung wütend und verstört wirkte. Obwohl er an Asthma leidet, haben ihm die Behörden noch keine Corona-Impfung ermöglicht. Seine Rechtsbeistände haben deswegen vor einem Verwaltungsgericht Klage eingereicht, die zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Urgent Action noch anhängig war. Außerdem sind seine Haftbedingungen sehr schlecht. Er leidet an Rückenschmerzen, da ihm die Gefängnisbehörden ein Bett oder eine Matratze verweigern, sodass er auf zusammengelegten groben Decken auf dem Boden schlafen muss.

Als Patrick George Zaki im Februar 2020 von einem Studienaufenthalt in Italien zurückkehrte, wurde er am Flughafen von Kairo willkürlich festgenommen. Seither befindet er sich im Untersuchungsgefängnis Tora. Seinen Rechtsbeiständen zufolge wurde er nach seiner Festnahme von Angehörigen des ägyptischen Geheimdienstes NSA zu seiner Menschenrechtsarbeit befragt. Während des Verhörs sollen sie ihn gefoltert und anderweitig misshandelt haben, unter anderem durch die Verabreichung von Elektroschocks und durch Schläge. Amnesty International ist der Ansicht, dass Patrick George Zaki ein gewaltloser politischer Gefangener ist, der allein wegen der friedlichen Ausübung seiner Menschenrechte festgehalten wird.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Patrick George Zaki war als Wissenschaftler bei der renommierten unabhängigen Menschenrechtsorganisation "Ägyptische Initiative für persönliche Rechte" (Egyptian Initiative for Personal Rights – EIPR) tätig. Er arbeitete dort zu Menschenrechtsthemen, mit den Schwerpunkten Gender und sexuelle Minderheiten. Im August 2019 zog er nach Italien, um an der Universität Bologna seinen Masterabschluss in Gender and Women's Studies zu machen.

In den letzten Monaten haben die ägyptischen Behörden eine wachsende Zahl von Politiker_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen und Journalist_innen wegen der Verbreitung von "Falschnachrichten" vor dem Staatssicherheitsgericht (ESSC) angeklagt. Viele von ihnen befanden sich zuvor lange in Untersuchungshaft; in einigen Fällen sogar über zwei Jahre, was die nach ägyptischem Recht zulässige Höchstdauer für Untersuchungshaft übersteigt. Währenddessen leitete die Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP) Ermittlungen wegen fingierter Terrorismusvorwürfe ein, die in der Regel in mehrere Fälle aufgeteilt werden. Anwält_innen berichteten, dass das ESSC in folgenden Punkten gegen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren verstoße: Es gewähre nicht genug Zeit für die Vorbereitung der Verteidigung und die Kommunikation zwischen den Angeklagten und den Rechtsbeiständen ihrer Wahl sei nicht immer möglich. Wenn Rechtsbeistände die Akten ihrer Mandant_innen, die in einigen Fällen mehr als 2.000 Seiten umfassen, kopieren wollen, wird dies von den Richter_innen routinemäßig abgelehnt. Stattdessen sollen sie die Akten im Gericht einsehen. Staatsanwält_innen und Richter_innen verletzten auch das Recht der Angeklagten auf genaue Informationen über Art und Grund der gegen sie erhobenen Anschuldigungen, indem sie weder ihnen noch ihren Rechtsbeiständen Kopien der Anklageschriften zukommen ließen.

Auch der Student Ahmed Samir Santawy gehört zu denen, die vom ESSC verurteilt wurden. Am 22. Juni 2021 wurde er wegen der Veröffentlichung "falscher Nachrichten" zu vier Jahren Haft verurteilt, nur aufgrund seiner Social-Media-Posts, in denen er Menschenrechtsverletzungen in Ägypten und den Umgang der Regierung mit der Pandemie kritisiert. Im Juli 2021 wurden der Menschenrechtsanwalt und ehemalige Parlamentsabgeordnete Zyad el-Elaimy, der Journalist und Politiker Hossam Moanis, der Gewerkschafter und sozialistische Politiker Hisham Fouad und drei weitere Personen vor das ESCC gestellt. Sie alle wurden allein aufgrund ihrer friedlichen politischen Aktivitäten wegen "Verbreitung falscher Nachrichten zur Untergrabung des Staates, der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Sicherheit und der Verbreitung von Panik unter der Bevölkerung" angeklagt. Am 23. August 2021 klagte die Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit Ezzat Ghoniem (Menschenrechtsverteidiger und Mitbegründer des Ägyptischen Koordinierungsbüros für Rechte und Freiheiten), Hoda Abdelmoniem (Menschenrechtsanwältin) und Aisha al-Shater (Tochter des hochrangigen Vertreters der Muslimbruderschaft, Shairat al-Shater) vor dem ESSC an. Die Vorwürfe gegen sie lauteten unter anderem "Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung der Muslimbruderschaft" sowie "Verbreitung von Falschnachrichten". Sie sollen über eine Facebook-Seite mit dem Namen "Ägyptische Koordination für Rechte und Freiheiten" über Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte berichtet haben. Im Oktober wurden auch der prominente Aktivist Alaa Abdelfattah, der Menschenrechtsanwalt Mohamed al-Baqer und der Blogger Mohamed Ibrahim, bekannt als Mohamed Oxygen, vor dem ESSC wegen der Verbreitung "falscher Nachrichten" angeklagt.

Am 25. Oktober 2021 gab Präsident Abdel Fattah al-Sisi seine Entscheidung bekannt, den Ausnahmezustand aufzuheben, der bereits seit April 2017 gilt. Dennoch finden gemäß den ägyptischen Rechtsvorschriften die Prozesse von Menschen, die während des Ausnahmezustands vor Gericht gestellt wurden, weiterhin vor Notstandsgerichten statt.

Die Festnahme von Patrick George Zaki steht im Zusammenhang mit dem massiven Vorgehen der Behörden nach den Protesten vom September 2019 – der größten Inhaftierungswelle seit 2014. Sein Haftbefehl ist auf den 24. September 2019 datiert. Er zählt nun ebenfalls zu der langen Liste inhaftierter Menschenrechtsverteidiger_innen und friedlicher politischer Aktivist_innen, unter ihnen auch Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer. Am 20. September 2019 brachen in mehreren ägyptischen Städten Proteste aus, bei denen Präsident al-Sisi zum Rücktritt aufgefordert wurde. Die Proteste waren durch virale Videos ausgelöst worden, in denen Mohamed Ali, ein ehemaliger Auftragnehmer der Armee, die ägyptische Militärführung und den Präsidenten beschuldigte, öffentliche Gelder für den Bau von Luxusimmobilien zu verschwenden. In den folgenden Wochen dokumentierte Amnesty International, wie die ägyptischen Sicherheitskräfte willkürliche Festnahmen friedlicher Demonstrierender durchführten und dabei Journalist_innen, Menschenrechtsanwält_innen, Aktivist_innen, Anwält_innen und Politiker_innen ins Visier nahmen, um Kritiker_innen zum Schweigen zu bringen und weitere Proteste zu verhindern. Nach Angaben ägyptischer Menschenrechtsanwält_innen sind im Zusammenhang mit den Protesten vom September 2019 mehr als 4.000 Menschen wegen Teilnahme oder Unterstützung der Demonstrationen festgenommen worden. Die Behörden haben gegen mindestens 3.715 Personen wegen Terrorismus-Anklagen Untersuchungshaft angeordnet. Somit handelt es sich um die größte strafrechtliche Ermittlung im Zusammenhang mit Protesten in der Geschichte Ägyptens.