Amnesty Journal Deutschland 21. Dezember 2016

"Ich bin nur eine mehr, die dieser Hass trifft"

Rassismus im Alltag protokolliert
Porträt von Lamya Kaddor

Lamya Kaddor

Lamya Kaddor, Lehrerin und Publizistin aus Duisburg, erhält nahezu täglich Diffamierungen und Drohungen per E-Mail. Sie wurde zur Zielscheibe von Rechtsextremen wie Islamisten, weil sie als Deutsche mit syrischen Wurzeln eine Integrationsleistung von Deutschen wie von Migranten fordert.

Protokoll: Andreas Koob

Als ich im Oktober mein neuestes Buch auf der Frankfurter Buchmesse präsentierte, schützten mich fünf Polizisten. Öffentliche Auftritte in so einem Rahmen sind gegenwärtig nicht anders möglich. Ich werde deshalb auch zunächst nicht als Lehrerin weiterarbeiten können, weil ich sonst regelmäßig zur selben Zeit an einem bestimmten Ort anzutreffen wäre. Dauernd bekomme ich E-Mails: Die Leute drohen, einige wollen mich umbringen. Unter diesen Umständen zu unterrichten, kann ich gegenüber meinen Schutzbefohlenen nicht verantworten.

Mit Vorabdrucken meines Buchs Mitte September ging alles los: Fortan bekam ich täglich zig Botschaften: "Irgendwann wird es dunkel und dann kommen wir dich holen." "Du gehörst von hundert Afrikanern vergewaltigt." "Du gehörst vergast, Heil Hitler." Diffamierende und denunzierende Hassmails bringe ich bereits seit Jahren zur Anzeige. Ich werde schon lange angefeindet – von Rechten und von Islamisten. Aber der derzeitige Hass, die vielen Drohungen, übertreffen alles.

Ich komme klar, ich muss ja damit klar kommen. Das, was ich erlebe, ist leider symptomatisch für unsere heutige Gesellschaft: Ich bin nur eine mehr, die dieser Hass trifft. Zu viele Menschen messen Minderheiten willkürlich Eigenschaften zu, um sie abzuwerten, um sich selbst aufzuwerten.

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Nur mal angenommen: Wir nehmen das, was die AfD und andere Rechtspopulisten möchten, ernst: Keine Flüchtlinge, keine Muslime und am liebsten gar keine Menschen mit Migrationshintergrund – vielleicht bis in die zehnte Generation. Welche Barbarei wäre wohl nötig, um das umzusetzen?

Das völkische Denken eines Teils der Gesellschaft, das ich als "Deutschomanie" bezeichne, ist gefährlich. In diesen Kreisen wird nahezu wahnhaft fabuliert: "Deutsch, deutsch, deutsch. Wir müssen Deutschland verteidigen, homogen sein." Wenn das so weitergeht, muss sich jeder fragen, wann er selbst nicht mehr in die Illusion dieser reklamierten Homogenität passt. Denn keiner weiß, was genau "deutsch" ist.

Es geht nicht darum, irgendjemanden zu verdrängen. Das plurale Deutschland ist in der Hauptsache immer deutsch. Jeder soll an dem festhalten, was er als "deutsch" versteht. Man darf dieses "Deutschsein" nur nicht über Menschen stellen, die hier in zweiter, dritter, vierter Generation leben. Auch das sind Deutsche mit exakt denselben Rechten und Pflichten.

Ein wesentlicher Grund, warum ich so angegriffen werde, ist, dass ich von einer Bringschuld der Mehrheitsgesellschaft spreche. Sie besteht darin, Menschen, die willens sind, sich zu integrieren, zumindest die Chance zu geben, als gleichwertige Mitglieder dieser Gesellschaft anerkannt zu werden.

Man kann ihnen nicht immer wieder sagen: "Ihr seid keine Deutschen." Andernfalls entsteht zwangsläufig sozialer Sprengstoff. Natürlich haben Minderheiten auch eine Bringschuld: Sie müssen sich anpassen. Das ist völlig klar. Das wird aber schon seit Jahren zu Recht betont – anders als die Bringschuld der Mehrheitsgesellschaft.

Ich kenne es selbst nur zu gut, obwohl ich davon – weiß Gott! – nicht am stärksten betroffen bin. Aber ich höre auch: "Du wirst nie deutsch. Du hast keine deutschen Eltern, in deinen Adern fließt kein deutsches Blut." Jahrelang hat man uns zugerufen: "Integriert euch!" Jetzt integrieren wir uns, nun heißt es: "Haut ab!" Diese Rufe werden lauter. Muslime und Angehörige der einstigen "Gastarbeiter", die längst Deutsche sind, werden zu Fremden gemacht.

Dieses völkische Denken ein für alle Mal zu kappen, muss zum "neuen deutschen Wir" gehören. Ich unterrichte seit 13 Jahren – vor allem Kinder, die in der dritten Generation in Deutschland leben. Ich möchte ihnen nicht mehr erklären müssen, dass sie keine Fremden im eigenen Land sind! Das muss einfach selbstverständlich sein.

Dieser Artikel ist in der Dezember/Januar-Ausgabe 2016/2017 des Amnesty Journal erschienen

Weitere Videos und Texte aus der Serie "Alltagsrassismus protokolliert" gibt es auf www.amnesty.de/alltagsrassismus-protokolliert

Weitere Informationen zum Thema Rassismus in Deutschland finden Sie auf www.amnesty.de/gegen-rassismus

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