Amnesty Report 23. Mai 2018

Südafrika 2017/18

Report Cover 17/18

Ausgeprägte Benachteiligungen sorgten weiterhin dafür, dass viele Menschen ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nicht wahrnehmen konnten. Dies betraf auch den Zugang zu Leistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit. Mängel im Strafrechtssystem führten dazu, dass Opfer von Hassverbrechen und geschlechtsspezifischer Gewalt keine Gerechtigkeit erfuhren. Ermittlungen zu Polizeieinsätzen, bei denen exzessive Gewalt gegen Protestierende angewandt wurde, waren noch nicht abgeschlossen.

Hintergrund

Es gab 2017 zahlreiche Demonstrationen, die sich gegen Korruption richteten. Die politischen Spannungen nahmen zu, nachdem Staatspräsident Jacob G. Zuma im März eine umfangreiche Kabinettsumbildung vorgenommen und dabei auch Finanzminister Pravin Gordhan entlassen hatte. 

Zwar wurden die staatlichen Ausgaben für Gesundheit, Bildung und grundlegende Leistungen erhöht, nach Angaben der nationalen Statistikbehörde gelang es dem Land aber nicht, Armut und Ungleichheit zu verringern.

Exzessive Gewaltanwendung

Die unabhängige Polizeiaufsichtsbehörde (Independent Police Investigative Directorate – IPID) meldete, dass die Fälle von Machtmissbrauch durch die Polizei zugenommen hatten. Für den Zeitraum 2016/17 verzeichnete die Behörde 394 Todesfälle im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen und 302 Todesfälle in Polizeigewahrsam. Beide Zahlen lagen höher als 2015/16. Die IPID registrierte außerdem 173 Fälle von Folter, 112 Vergewaltigungen durch Polizisten (davon waren 35 von Beamten im Dienst verübt worden) und 3827 Fälle von tätlichen Übergriffen durch Polizisten. Ende 2017 schloss die IPID ihre Untersuchung zum Tod des Journalisten Godknows Nare ab, der im April 2017 in Johannesburg von Polizisten erschossen worden war, und übergab den Fall an den Generalstaatsanwalt. Berichten zufolge töteten die Polizisten den Journalisten, als er mit erhobenen Händen aus seinem Auto stieg. Sie hatten ihn verdächtigt, ein Fahrzeug gestohlen zu haben. 

Am 23. Mai 2017 schossen Polizisten in der Provinz Gauteng aus kurzer Distanz mit einem Gummigeschoss auf den 17-jährigen Leonaldo Peterson. Der Vorfall ereignete sich im Haus des Opfers, während in seiner Nachbarschaft Proteste stattfanden. Er erlitt schwere Verletzungen an einer Hand, die mehrere Operationen erforderlich machten. 

Am 27. Mai 2017 starb Samuel Mabunda, ein Migrant aus Mosambik, an den Folgen von Verletzungen, die er erlitten hatte, als Angehörige der privaten Sicherheitsfirma Red Ants ("Rote Ameisen") ihn verprügelten. Die Sicherheitsfirma war von der Polizei angeheuert worden, um Zwangsräumungen im Johannesburger Stadtviertel Ivory Park durchzuführen. Ende 2017 waren die polizeilichen Ermittlungen in diesem Fall noch nicht abgeschlossen. 

Am 12. September 2017 setzten Polizisten aus kurzer Entfernung Gummigeschosse gegen den 14-jährigen Ona Dubula ein, die ihn im Gesicht und in der Brust trafen. Aufgrund der Verletzungen leidet er seither an Sprachstörungen. Der Vorfall ereignete sich während Protesten im Zusammenhang mit Fischereilizenzen in einer informellen Siedlung in Hout Bay (Provinz Westkap). Die IPID leitete Ermittlungen ein, die zum Jahresende noch andauerten. 

Rechtswidrige Tötungen

Nach Angaben des Polizeiministeriums wurden weiterhin Gemeinderäte getötet. In den Wohnblocks Glebelands Hostel in Durban kam es nach wie vor zu Morden und Mordversuchen, die mehrere Festnahmen zur Folge hatten. Im März 2017 führte eine Untersuchungskommission, die sich mit den Ursachen von politischen Morden in der Provinz KwaZulu-Natal beschäftigte, erste Anhörungen durch. Das Mandat der Kommission wurde bis März 2018 verlängert.

Geschlechtsspezifische Gewalt

Gewalt gegen Frauen und Mädchen war weiterhin allgegenwärtig – bis hin zu Tötungen aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit. Von April 2016 bis März 2017 wurden mehr als 39000 Vergewaltigungen bei der Polizei angezeigt; es war allerdings davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl noch wesentlich höher lag. Im September 2017 gab der Medizinische Forschungsrat (Medical Research Council – MRC) bekannt, dass im Jahr 2012 nur 8,6 % der von der Polizei eingeleiteten Verfahren wegen Vergewaltigung zu einer Verurteilung geführt hatten. Gründe für die geringe Quote waren nach Ansicht des MRC Ressourcenmangel, eine unzureichende Ausbildung der Polizei sowie Versäumnisse bei der Untersuchung der Straftaten und der Sicherung gerichtsmedizinischer Beweismittel. 

Im Mai 2017 veröffentlichte das Justizministerium den Bericht der Kommission für Gesetzesreformen (South African Law Reform Commission) über Erwachsenenprostitution. Die Kommission empfahl, den Verkauf und Kauf sexueller Dienstleistungen weiterhin strafrechtlich zu verfolgen – entgegen den Erfahrungsberichten und Empfehlungen von Sexarbeiterinnen und Frauenrechtlerinnen, der Kommission für Geschlechtergerechtigkeit sowie Menschenrechts- und Gesundheitsexperten, die eine Entkriminalisierung der Prostitution befürwortet hatten. Im Juni 2017 wurde Zwelethu Mthethwa wegen der Ermordung der Sexarbeiterin Nokuphila Kumalo im Jahr 2013 zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt. Der Fall zeigte in aller Deutlichkeit, wie lange Verfahren verschleppt werden, wenn es um Personen geht, die Sexarbeit nachgehen.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Der Zugang von Frauen zu Dienstleistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit war weiterhin von extremer Ungleichheit geprägt. Weniger als 7 % der insgesamt 3880 Gesundheitseinrichtungen des Landes boten Schwangerschaftsabbrüche an. Die Regierung unternahm nichts gegen den Missstand, dass medizinische Fachkräfte sich weigerten, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, und Frauen auch nicht über Orte informierten, an denen der Eingriff möglich war, was internationalen Menschenrechtsstandards widersprach. Unzureichende Informationen über die sexuelle und reproduktive Gesundheit und entsprechende Rechte – einschließlich Hinweisen darauf, wie und wo der Eingriff legal möglich war – stellten ernsthafte Hindernisse für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch dar. Für benachteiligte Gruppen von Frauen und Mädchen waren die Barrieren noch höher, weil sie ungleich behandelt wurden, wenn sie einen Abbruch vornehmen lassen wollten.

Recht auf Gesundheit

Offiziellen Statistiken zufolge litten annähernd ein Drittel aller Jungen und ein Viertel aller Mädchen an Wachstumsstörungen. 

Obwohl gesundheitspolitische Maßnahmen ergriffen wurden, um die Ausbreitung von HIV einzudämmen, waren die Infektionsraten weiterhin hoch, vor allem bei Mädchen und Frauen. Schätzungen zufolge infizierten sich jede Woche 2000 Mädchen und junge Frauen im Alter von 15 bis 24 Jahren neu mit HIV. 

Der Gesundheitsminister berichtete im September 2017 im Parlament, die Politisierung der Gesundheitsbehörden in den Provinzen und schlechtes Management hätten dazu geführt, dass es den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen an medizinischem Personal, Medikamenten, Ausrüstung und anderem medizinischen Bedarf mangelte. Die Vorsitzende des Haushaltsausschusses für den öffentlichen Dienst und die Verwaltung (Portfolio Committee on Public Service and Administration as well as Performance Monitoring and Evaluation) erhielt im März 2017 dem Vernehmen nach Morddrohungen, nachdem sie in einer Untersuchung festgestellt hatte, dass die Gesundheitseinrichtungen in der Provinz Mpumalanga äußerst mangelhaft funktionierten. Im Juni 2017 erklärte die Südafrikanische Menschenrechtskommission, das Gesundheitsministerium der Provinz KwaZulu-Natal hätte die Rechte auf Leben, Gesundheit und Menschenwürde von Krebspatienten verletzt, weil es nicht genug Onkologen und funktionstüchtige Ausrüstung zur Untersuchung und Behandlung gab.

Im Oktober 2017 begann ein Schiedsgerichtsverfahren zum Tod von mindestens 118 psychisch Kranken, die gestorben waren, nachdem das Gesundheitsministerium der Provinz Gauteng im Jahr 2016 aus Kostengründen insgesamt 1300 Patienten aus Krankenhäusern des Trägers Life Esidimeni in Einrichtungen verlegt hatte, die von NGOs betrieben wurden. Die Südafrikanische Menschenrechtskommission hob hervor, dass die 27 Organisationen, denen die Patienten zugewiesen worden waren, weder über eine Zulassung noch über die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen verfügten, um psychisch Kranke zu versorgen. Die Ombudsstelle für Gesundheit stellte im Februar 2017 fest, dass die Verlegung die Rechte der Patienten und ihrer Familien verletzt hatte, einschließlich der Rechte auf Leben und Menschenwürde.

Internationale Strafverfolgung

Am 6. Juli 2017 urteilte die Vorverfahrenskammer II des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), dass Südafrika verpflichtet gewesen wäre, den Haftbefehl des IStGH gegen den sudanesischen Staatspräsidenten Omar al-Bashir zu vollstrecken, als dieser das Land im Juni 2015 besucht hatte. Das Oberste Berufungsgericht Südafrikas hatte im März 2016 festgestellt, dass die Entscheidung der Regierung, Präsident al-Bashir nicht zu verhaften, rechtswidrig war. 

Nachdem der juristische Prozess in Südafrika abgeschlossen war, hatte die Vorverfahrenskammer des IStGH den Fall im April 2017 verhandelt.

Anfang Dezember 2017 wurde ein Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, um die Umsetzung des Römischen Statuts in nationales Recht rückgängig zu machen. Damit wurde deutlich, dass die Regierung entschlossen war, den IStGH zu verlassen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Am 7. Juli 2017 gab das Hohe Gericht von Süd-Gauteng einer Unterlassungsklage statt, die das Nationale Herausgeberforum (South African National Editors’ Forum – SANEF) und elf Journalisten gegen die politische Partei Black First Land First (BLF) und ihren Vorsitzenden Andile Mngxitama angestrengt hatten. Die Kläger waren von Anhängern der Partei bedroht und schikaniert worden, nachdem sie über Korruptionsvorwürfe gegen Präsident Zuma und die indischstämmige Unternehmerfamilie Gupta berichtet hatten. Am 17. Juli berichtete der Journalist Micah Reddy vom amaBhungane-Zentrum für investigativen Journalismus, eine Gruppe von BLF-Mitgliedern und -Unterstützern habe ihn bedroht, nachdem er an einer Diskussion mit Andile Mngxitama in der Südafrikanischen Rundfunkanstalt teilgenommen hatte. 

Am 27. Juli 2017 organisierte das amaBhungane-Zentrum in Johannesburg eine öffentliche Diskussionsveranstaltung zu den sogenannten Gupta-Leaks. Unter diesem Titel waren zuvor Tausende E-Mails veröffentlicht worden, die mutmaßliche Korruption der politischen Elite enthüllt hatten. Bei der Veranstaltung kam es zu Störungen durch BLF-Mitglieder und eine Gruppe von etwa 20 Personen, die vermutlich der Veteranenvereinigung MK Inkululeko Foundation angehörten. Nachdem sich die Journalisten Sam Sole und Ferial Haffajee sowie SANEF an das Hohe Gericht von Süd-Gauteng gewandt hatten, stellte dieses am 11. August fest, die BLF und Andile Mngxitima hätten das Urteil vom 7. Juli missachtet. Außerdem weitete das Gericht seine Anordnung aus und erklärte, Schikanen und Bedrohungen seien nicht nur gegenüber den Klägern zu unterlassen, sondern gegenüber allen Journalisten. Am 29. September legten BLF und Andile Mngxitama ein Rechtsmittel gegen das Urteil ein, gegen das SANEF und die Journalisten wiederum Einspruch erhoben.

Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche

Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche waren 2017 weiterhin Schikanen, Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Am 4. April wurde in Kroonstad (Provinz Free State) der verbrannte Leichnam von Matiisetso Alleta Smous aufgefunden. Die lesbische Frau war nach Angaben eines Augenzeugen vergewaltigt worden, und man hatte ihr ein Messer in die Brust gerammt und sie bei lebendigem Leib verbrannt. Am 5. April wurden drei Tatverdächtige festgenommen, die jedoch noch im selben Monat aus Mangel an Beweisen wieder freikamen. Zum Jahresende dauerten die Mordermittlungen noch an. 

Am 15. Mai 2017 fand man auf einem Feld in Soweto (Provinz Gauteng) den Leichnam von Lerato Moloi. Die Obduktion ergab, dass die lesbische Frau vergewaltigt und ihr ein Messer in den Hals gerammt worden war. Im Mai wurden zwei Tatverdächtige festgenommen. Die nationale Strafverfolgungsbehörde leitete den Fall an das Hohe Gericht in Johannesburg weiter. 

Am 11. August 2017 verurteilte das Hohe Gericht von Potchefstroom David Shomolekae zu lebenslanger Haft, weil er im August 2016 den offen homosexuell lebenden 16-jährigen Schüler Lesley Makousa erwürgt hatte. David Shomolekae wurde wegen Mord, Raub und Einbruch schuldig gesprochen. 

Das im Oktober 2016 auf den Weg gebrachte Gesetz zur Verhinderung und Bekämpfung von Hassverbrechen und Hassreden, das auch Verbrechen aus homofeindlichen Motiven einbezog, musste noch vom Kabinett gebilligt werden, bevor es dem Parlament zur Verabschiedung vorgelegt werden konnte.

Am 6. September 2017 entschied das Hohe Gericht Westkap, die Weigerung des Innenministeriums, die Geschlechtsbezeichnung von Transgeschlechtlichen in offiziellen Dokumenten zu ändern, wenn sie sich nach der Heirat für ihr neues Geschlecht entschieden, verletze die Rechte von Ehepaaren auf Gleichheit und Menschenwürde. Das Ministerium hatte in diesen Fällen verlangt, dass die Betroffenen sich scheiden lassen müssten, bevor die Geschlechtsbezeichnung in ihren Personaldokumenten geändert werden könne.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten waren weiterhin Opfer von Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung. 

Am 29. Juni 2017 erklärte das Verfassungsgericht, die Abschnitte 34(1)(b) und (d) des Einwanderungsgesetzes 13/2002 seien mit den Abschnitten 12(1) und 35(2) der Verfassung unvereinbar und damit ungültig. Dies betraf auch die Bestimmung, "illegale Ausländer" bis zu 120 Tage lang ohne Gerichtsbeschluss in Gewahrsam halten zu können. Die Umsetzung des Urteils wurde jedoch für zwei Jahre ausgesetzt, um dem Parlament Zeit für eine Reform des Gesetzes zu geben. 

Das Innenministerium veröffentlichte im Juli 2017 ein Weißbuch zur internationalen Migration, um seine Migrationspolitik neu zu bestimmen. Es enthielt den Vorschlag, an den Grenzen des Landes Haftzentren einzurichten, um Asylsuchende unterzubringen, während ihre Anträge bearbeitet wurden, und ihre Rechte auf Arbeit und Freizügigkeit einzuschränken, bis über die Anträge entschieden worden war. Das Weißbuch betonte außerdem die Notwendigkeit einer zentralen Grenzkontrollbehörde (Border Management Authority), zu der auch Polizei und Zoll gehören sollten. Die Nationalversammlung hatte bereits am 8. Juni ein Gesetz zur Schaffung der neuen Behörde (Border Management Authority Bill) beschlossen. Die Verabschiedung im Nationalrat der Provinzen stand noch aus.

Die Südafrikanische Menschenrechtskommission übte im Juli 2017 scharfe Kritik am stellvertretenden Polizeiminister, nachdem dieser erklärt hatte, die meisten Ausländer in Johannesburg seien an verschiedenen Straftaten beteiligt. Die Kommission verurteilte die Äußerungen als "unverantwortlich" und "fremdenfeindlich".

Am 29. September 2017 urteilte das Oberste Berufungsgericht, die vom Innenministerium im Jahr 2012 getroffene Entscheidung, die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Kapstadt zu schließen, sei rechtswidrig gewesen, und ordnete die Wiedereröffnung bis März 2018 an. 

Am 30. November verabschiedete die Nationalversammlung eine Reform des Flüchtlingsgesetzes 130 aus dem Jahr 1998. Die geänderte Fassung beschränkte das Recht von Flüchtlingen, Schutz vor Verfolgung zu suchen und gewährt zu bekommen. Das geänderte Gesetz (11/2017) trat im Dezember nach der Unterzeichnung durch Präsident Zuma in Kraft.

Bericht von Amnesty International

ICC rules against South Africa on shameful failure to arrest President Al-Bashir (News story, 6 July)

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