Amnesty Report 23. Mai 2018

Somalia 2017/18

Report Cover 17/18

Eine Dürre in Somalia führte dazu, dass sehr viele Menschen ihre Wohnorte verlassen mussten und eine Hungersnot entstand. Berichten zufolge wurden mindestens drei Zivilpersonen durch Luft- und Drohnenangriffe der USA getötet. Kenia setzte sein freiwilliges Rückführungsprogramm für somalische Flüchtlinge aus dem Flüchtlingslager Dadaab fort. Neuankömmlinge aus Somalia wurden von Kenia nicht mehr als Flüchtlinge registriert. Die bewaffnete Gruppe Al-Shabab und die staatlichen Stellen behinderten Journalisten massiv bei ihrer Arbeit. Auf politischer Ebene gab es hinsichtlich der Lage der Frauen zwar kleinere Fortschritte, doch sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt waren nach wie vor weit verbreitet.

Hintergrund

Das somalische Parlament, in dem alle Regionen Somalias vertreten waren – Somaliland und Puntland eingeschlossen –, wählte im Februar 2017 Mohamed Abdullahi "Farmajo" Mohamed zum Staatsoberhaupt des Landes. Ende Februar ernannte dieser Hassan Ali Khayre zum Ministerpräsidenten. Einigen Präsidentschaftskandidaten wurde vorgeworfen, Wahlkampfgelder in Höhe von mehreren Millionen US-Dollar abgezweigt zu haben, um sich damit die Stimmen von Parlamentsabgeordneten zu kaufen. Die Parlamentsabgeordneten wurden nach einem System gewählt, welches vorsah, dass die männlichen Clanältesten der vier großen Clanfamilien eine Stimme pro Person erhielten, die männlichen Clanältesten der kleinen Clanfamilien hingegen nur eine halbe Stimme. Durch dieses System wurden jungen Menschen, Frauen und Männern aus kleinen Clanfamilien gleiche Stimmrechte vorenthalten. In Somaliland fanden im November ebenfalls Wahlen statt. Hier wurde Muse Bihi Abdi zum Präsidenten gewählt, er trat das Amt im Dezember an.

Die Friedensmission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) zog sich 2017 aus wichtigen Standorten im Land zurück. Dies führte dazu, dass die bewaffnete Gruppe Al-Shabab die Kontrolle in Städten wiedererlangte, die in Konfliktgebieten lagen, so u. a. in den Städten El Buur, Bardere und Lego in Süd- und Zentralsomalia.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Präsident Mohamed erklärte wenige Tage nach Amtsantritt, dass die Reform der Sicherheitskräfte und der Sieg über Al-Shabab zu seinen wichtigsten Prioritäten gehörten. Im Jahresverlauf nahmen die Anschläge von Al-Shabab auf Zivilpersonen zu. Bei dem schlimmsten Anschlag der bewaffneten Gruppe auf ein Hotel in der Hauptstadt Mogadischu wurden am 14. Oktober 2017 nach Angaben der Regierung mehr als 512 Personen getötet.

Medienberichten zufolge nahm die Regierung der USA geheime Änderungen der Regeln über den Einsatz tödlicher Gewalt bei Antiterroreinsätzen vor, so dass nun auch in Somalia "aktive Kampfhandlungen" erlaubt waren. Das bedeutete, dass die Streitkräfte der USA Personen, die als Al-Shabab-Kämpfer galten, angreifen durften, ohne Rücksicht darauf, wo sie sich aufhielten oder ob sie eine unmittelbare Bedrohung für das Leben anderer Menschen darstellten, und ohne die Erlaubnis höherer Befehlshaber einholen zu müssen. Nach Berichten der britischen NGO Bureau of Investigative Journalism sollen die USA im Berichtsjahr 31 Luftangriffe und Angriffe mit unbemannten Flugkörpern (Drohnen) geflogen haben, bei denen bis zu drei Zivilpersonen getötet wurden.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Das Hohe Gericht in Kenia urteilte am 9. Februar 2017, dass die 2016 ergangene Anordnung der kenianischen Regierung zur Schließung des Flüchtlingslagers Dadaab im Bezirk Garissa verfassungswidrig sei und gegen die Verpflichtungen der Regierung nach kenianischem und internationalem Recht verstoße (siehe Länderbericht Kenia). In dem Lager lebten vor allem Flüchtlinge aus Somalia. Nach Angaben des Amtes des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) wurden von Januar bis November 2017 im Rahmen der zwischen Kenia, Somalia und dem UNHCR geschlossenen Trilateralen Vereinbarung etwa 32500 somalische Flüchtlinge aus Kenia nach Kismayo, Baidoa, Mogadischu, Luuq und Afmadow in Süd- und Zentralsomalia zurückgeführt. Ende 2017 waren im Flüchtlingslager Dadaab 229592 somalische Staatsangehörige als Flüchtlinge registriert. Es war jedoch weiterhin so, dass die kenianischen Behörden Neuankömmlinge aus Somalia nicht als Flüchtlinge registrierten.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die bewaffnete Gruppe Al-Shabab verbot Journalisten die Betätigung in den von ihr kontrollierten Gebieten. Medienschaffende wurden von Al-Shabab nach wie vor überall in Somalia festgenommen, bedroht und drangsaliert.

Im Juli 2017 verabschiedete das somalische Kabinett ein repressives Gesetz, mit dem u. a. eine Regulierungsbehörde geschaffen wurde, die Inhalte von Printmedien und audiovisuellen Medien kontrollierte und deren Mitglieder vom Informationsminister ernannt wurden. Das Gesetz enthielt außerdem ein umfassendes Verbot der Verbreitung von "Falschnachrichten" und "Propaganda", ohne diese Begriffe jedoch klar zu definieren. Die Bestimmungen des Gesetzes enthielten vage Formulierungen und umfassende Beschränkungen für Journalisten. Zugleich räumten sie den staatlichen Stellen bei der strafrechtlichen Verfolgung von Medienschaffenden großen Handlungsspielraum ein.

Nach Angaben des somaliländischen Journalistenverbandes waren in Somaliland mehr als 30 Journalisten von den dortigen Behörden festgenommen und inhaftiert worden, weil sie die Regierung kritisiert hatten.

Frauenrechte

Das somalische Wahlsystem sah einen Frauenanteil von 30 % der Sitze vor. Dadurch verbesserte sich die Repräsentation von Frauen; ihr Anteil stieg auf 24 % der Abgeordneten im Unterhaus und auf 22 % im Oberhaus.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt war weiterhin weit verbreitet, und es wurden bei weitem nicht alle Fälle von Gewalt gemeldet. Eine Regierungsstelle (Integrated Management System of Somalia) dokumentierte mindestens 271 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt gegen vertriebene Frauen und Mädchen in Somaliland, 312 Fälle in Puntland und mindestens 400 Fälle im Süden und im Zentrum des Landes. Die Dürre hatte zur Folge, dass mehr Frauen von ihren Familien getrennt wurden. Dadurch war die Gefahr sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt für sie größer, vor allem weil sie als Frauen wahrgenommen wurden, die keinen "männlichen Begleitschutz" hatten.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Durch die außergewöhnlich schwere Dürre schnellte die Zahl der Binnenvertriebenen nach oben. Schätzungen zufolge lag sie Ende 2017 bei 943000 Menschen. Mehr als 3 Mio. Menschen litten akut an Hunger. In Süd- und Zentralsomalia lag das Niveau der Unterernährung an der Notfallgrenze. Besonders stark betroffen waren Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, und Menschen, die direkt von dem seit vielen Jahren dauernden Konflikt betroffen waren. Nach Schätzungen des Amtes für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen vom August 2017 waren 388000 Kinder unterernährt, 87000 Kinder benötigten lebensrettende Maßnahmen.

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