Amnesty Report Syrien 23. Mai 2013

Syrien 2013

 

Amtliche Bezeichnung: Arabische Republik Syrien Staatsoberhaupt: Bashar al-Assad Regierungschef: Wa’el al-Halqi (löste im August Omar Ibrahim Ghalawanji im Amt ab, der es im August von Riyad Farid Hijab übernommen hatte; Letzterer hatte im Juni Adel Safar im Amt abgelöst)

Der interne bewaffnete Konflikt zwischen Regierungskräften und der Opposition, die sich aus der Freien Syrischen Armee (FSA) und anderen bewaffneten oppositionellen Gruppen zusammensetzt, war geprägt von schweren Menschenrechtsverstößen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Für einen Großteil dieser Menschenrechtsverletzungen zeichneten die Regierungskräfte verantwortlich. Sie führten wahllose Angriffe auf bewohnte Gebiete durch und setzen dabei Flugzeuge, Artilleriegeschosse, Granatwerfer, Brand- und Streubomben ein. Zusammen mit verbündeten Milizen nahmen die Regierungskräfte Tausende von Menschen in Gewahrsam, darunter auch Kinder. Viele Personen wurden Opfer des Verschwindenlassens. Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen waren an der Tagesordnung. Mindestens 550 Gefangene kamen Berichten zufolge in der Haft ums Leben, viele davon als Folge von Folter. Andere fielen außergerichtlichen Hinrichtungen zum Opfer. Scharfschützen der Sicherheitskräfte schossen weiterhin auf Menschen, die friedlich gegen die Regierung demonstrierten, sowie auf Teilnehmer an öffentlichen Beisetzungen. Medizinisches Personal, das Verletzte versorgte, geriet ins Visier der Sicherheitskräfte. Es herrschte ein Klima der Straflosigkeit für schwere Menschenrechtsverletzungen, die in der Gegenwart und Vergangenheit begangen wurden. Auch die bewaffneten Gruppen, die gegen die Regierung kämpften, begingen schwere Menschenrechtsverstöße sowie Kriegsverbrechen. Sie folterten Regierungssoldaten und Angehörige der Milizen und/oder richteten sie nach ihrer Festnahme summarisch hin. Außerdem führten sie wahllos Bombenanschläge durch, bei denen Zivilpersonen getötet oder verletzt wurden. Hunderttausende Menschen flohen aus ihren Wohnungen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen galten 2012 über 2 Mio. Menschen als Binnenflüchtlinge und fristeten in Syrien ein Leben in bitterer Not. Fast 600000 Menschen seien seit Beginn des Konflikts in die Nachbarländer geflüchtet, wo die Bedingungen oft ebenfalls hart seien. Es lagen keine bestätigten Informationen darüber vor, ob im Berichtsjahr Todesurteile verhängt oder vollstreckt wurden.

Hintergrund

Der interne bewaffnete Konflikt weitete sich 2012 auf einen Großteil des syrischen Staatsgebiets aus und forderte Tausende Todesopfer unter der Zivilbevölkerung. Wahllose Luftangriffe, Artilleriebeschuss, Angriffe mit Granatwerfern, Bombenanschläge, außergerichtliche Hinrichtungen und summarische Tötungen, Drohungen, Entführungen und Geiselnahmen waren an der Tagesordnung.

Im Januar 2012 setzte die Arabische Liga ihre Mission zur Überprüfung der Umsetzung der Versprechen der syrischen Regierung aus. Laut dieser Versprechen sollten die Streitkräfte aus den Städten abgezogen, der Gewalt ein Ende gesetzt und Gefangene freigelassen werden. In ähnlicher Weise endete im August wegen anhaltender bewaffneter Gewalt auch die im April eingesetzte UN-Beobachtermission in Syrien (UN Supervision Mission in Syria). Die Mission sollte die Umsetzung eines Plans überwachen und unterstützen, der von Kofi Annan, dem gemeinsamen Sondergesandten der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, ausgearbeitet worden war. Russland und China legten zweimal im UN-Sicherheitsrat ihr Veto gegen einen Resolutionsentwurf zur Lage in Syrien ein. Der ehemalige algerische Diplomat Lakhdar Brahimi löste Kofi Annan im August ab, konnte aber bis Ende 2012 keine allgemein anerkannte politische Lösung des Konfliktes erreichen.

Im Februar 2012 hielt die Regierung eine Volksabstimmung über die neue Verfassung ab. Obwohl die Verfassung das jahrelange Machtmonopol der Ba’ath-Partei beendete, wurde den Forderungen der Opposition nach weitreichenden politischen Reformen nicht Rechnung getragen. 90 Tage später fanden Parlamentswahlen statt.

Die Regierung machte nach wie vor nicht näher bestimmte "bewaffnete Banden" für die Tötung von Demonstrierenden verantwortlich und verabschiedete im Juli ein neues Antiterror-Gesetz, das bei Festnahmen und unfairen Prozessen gegen politische Aktivisten Anwendung fand. Die vage formulierten Anklagen lauteten auf "terroristische Handlungen", und die Verfahren fanden vor dem neuen Antiterror-Gerichtshof statt, der im September seine Arbeit aufnahm.

Am 18. Juli 2012 kamen bei einem Bombenanschlag in der Hauptstadt Damaskus der Verteidigungsminister und sein Stellvertreter, der stellvertretende Vizepräsident und der Leiter des Nationalen Sicherheitsdienstes ums Leben. Die FSA bekannte sich zu dem Attentat. Zwei Tage später begannen bewaffnete oppositionelle Gruppen eine Offensive. Damit weitete sich der bewaffnete Konflikt auf Aleppo, Damaskus und andere Landesteile aus.

Im September 2012 erweiterte der UN-Menschenrechtsrat das Mandat der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission, die im Jahr 2011 berufen worden war. Die Kommission kam im Februar und August zu dem Schluss, dass die Regierungskräfte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen hätten. Die Kriegsverbrechen, die von den bewaffneten oppositionellen Gruppen begangen worden seien, hätten nicht die "Schwere, Häufigkeit und das Ausmaß" der durch die Regierungskräfte verübten Verstöße erreicht. Die Behörden verweigerten sowohl dem UN-Menschenrechtsrat als auch der Untersuchungskommission weiterhin die Einreise ins Land. Die Einreise von Medienvertretern und unabhängigen Menschenrechtsorganisationen unterlag ebenfalls Einschränkungen. Dennoch verschafften sich diese Zugang zu manchen Gebieten, darunter solchen, die von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrolliert wurden.

Im Januar und Oktober 2012 kündigte die Regierung jeweils Generalamnestien an. Wie viele der willkürlich inhaftierten Gefangenen tatsächlich freigelassen wurden, blieb allerdings unklar.

Im November schlossen sich verschiedene Oppositionsgruppen zur Nationalen Koalition der syrischen revolutionären und oppositionellen Kräfte zusammen. Die Vereinigung wurde nach und nach auf internationaler Ebene als die einzig rechtmäßige Vertretung des syrischen Volkes anerkannt.

Die USA und die Arabische Liga hielten ihre Sanktionen gegen Syrien aufrecht und forderten Präsident Bashar al-Assad wiederholt auf, die Macht abzugeben. Die Europäische Union weitete ihre gezielten Sanktionen gegen die syrische Führungsriege aus.

Verstöße gegen das Völkerrecht

Regierungskräfte und mit ihnen verbündete Milizen verübten Kriegsverbrechen bei ihrem Streifzug durch Großstädte, Städte und Dörfer, die als Hochburgen der Opposition gelten, z.B. in den Provinzen Homs, Idlib, Hama, Damaskus und Aleppo. Sie führten wahllose Angriffe durch, bei denen Tausende Zivilisten ums Leben kamen oder Verletzungen erlitten. Viele der Todesfälle waren zu beklagen, weil die Regierungskräfte ungenaue Kriegswaffen in unzulässiger Weise in dicht besiedelten zivilen Gebieten einsetzten. Sie warfen ungesteuerte Bomben wahllos aus Flugzeugen ab. Sicherheitskräfte feuerten Granaten, Artilleriegeschosse, Brandbomben und Raketen auf Wohngebiete ab. Zudem wurden international geächtete Waffen wie Anti-Personen-Minen und Streubomben eingesetzt. Es kam zu systematischen Plünderungen, Verwüstungen und zur Brandschatzung von zivilem Eigentum. Berichten zufolge wurden auch die Leichen getöteter Gegner verbrannt.

  • Hassan und Rayan al-Bajri, elf und acht Jahre alt, ihre Mutter Salha und ihr Vater Naasan kamen zusammen mit zwei ihrer Nachbarn im Juli 2012 ums Leben, als ihr Haus in Ma’arat al-No’man von einer Granate getroffen wurde, die von Regierungskräften abgefeuert worden war.

  • 22 Zivilpersonen wurden getötet und viele weitere verletzt, als Regierungskräfte am 28. August 2012 einen Markt im Dorf Kafr Anbel aus der Luft angriffen. Unter den Opfern befanden sich auch die neunfache Mutter Fatiya Fares Ali al-Sheikh sowie die Teenager Mohamed und Jumaa al-Sweid.

Verstöße durch bewaffnete oppositionelle Gruppen

Bewaffnete Gruppen, die gegen die Regierung kämpften, darunter auch Gruppierungen mit Verbindungen zur FSA, verübten schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die Kriegsverbrechen gleichkamen. Die Opfer waren meist bekannte oder mutmaßliche Angehörige der Regierungskräfte oder der Milizen. Sie wurden nach ihrer Festnahme gefoltert oder nach unfairen "Prozessen" vor provisorischen Gerichten summarisch getötet. Auch Journalisten regierungsnaher Medien und die Familien mutmaßlicher Angehöriger regierungstreuer Milizen gerieten ins Visier. Bewaffnete Gruppen bedrohten und entführten Zivilpersonen und forderten manchmal Lösegeld für deren Freilassung. In einigen Fällen wurden Personen als Geiseln festgehalten, darunter gefangen genommene Soldaten sowie libanesische und iranische Staatsangehörige. Die bewaffneten Gruppen verübten Selbstmordattentate und Bombenanschläge, feuerten von Zeit zu Zeit ungenaue Waffen wie Artilleriegeschosse oder Granaten auf dicht besiedelte Stadtviertel ab, setzten unterschiedslose Waffen wie Anti-Personen-Landminen ein und bearbeiteten oder lagerten Munition und Sprengstoff in Wohnhäusern und brachten damit die Bewohner in große Gefahr. Kinder wurden als militärische Hilfskräfte eingesetzt, allerdings meist nicht bei Kampfhandlungen. Ende 2012 bedrohten bewaffnete oppositionelle Gruppen Berichten zufolge zunehmend Gemeinschaften von Minderheiten, von denen sie annahmen, sie seien regierungstreu.

  • Neun der elf schiitischen Libanesen, die am 22. Mai während ihrer Reise vom Iran in den Libanon von der bewaffneten 'Asifat al-Shimal-Brigade als Geiseln genommen worden waren, befanden sich Ende 2012 immer noch in Gewahrsam.

  • Nach heftigen Zusammenstößen nahm die al-Tawhid-Brigade am 31. Juli 2012 14 Angehörige des regierungstreuen sunnitischen al-Berri-Clans gefangen. Ein Video zeigte, wie die gefangenen Männer gefoltert wurden. Kurz darauf erschossen die Brigaden mindestens drei der Männer, darunter den Anführer des Clans, Ali Zein al-’Abdeen al-Berri. Der Leiter der Presseabteilung der FSA verurteilte die Tötungen und kündigte eine Untersuchung an, die bisher dem Vernehmen nach noch nicht eingeleitet wurde.

Recht auf freie Meinungsäußerung – Übergriffe auf Journalisten

Journalisten sahen sich von allen Seiten bedroht. Die syrischen Regierungskräfte attackierten auch Aktivisten, die über Ereignisse im Land berichteten. Mindestens elf von ihnen fielen offensichtlich geplanten Angriffen zum Opfer, andere wurden festgenommen oder als Geiseln genommen. Weitere Journalisten starben durch wahllosen Beschuss oder im Kreuzfeuer.

  • Die US-Journalistin Marie Colvin und der französische Fotograf Remi Ochlik starben, als Regierungskräfte am 22. Februar 2012 ein Gebäude in Homs beschossen. Überlebende Journalisten vermuteten, das Gebäude sei mit Absicht angegriffen worden, weil es als Medienzentrum genutzt wurde. Der syrische Aktivist Rami al-Sayed, der aus Homs berichtete, erlag am selben Tag seinen Verletzungen durch Granatsplitter.

  • Der syrische Korrespondent Maya Nasser, der für den iranischen Fernsehsender Press TV arbeitete, soll am 26. September 2012 von Scharfschützen der Opposition erschossen worden sein, als er über einen Bombenanschlag auf das Hauptquartier der Streitkräfte in Damaskus berichtete. Sein Kollege Hussein Mortada vom iranischen Nachrichtensender al-Alam erlitt bei dem Angriff Verletzungen. Beide Männer hatten im Vorfeld Drohungen vonseiten der oppositionellen Kräfte erhalten. < Ali Mahmoud Othman, ein Aktivist im Medienzentrum von Homs, wurde am 24. März 2012 in seinem Haus festgenommen. Obwohl er im April im Staatsfernsehen zu sehen war, gelang es seiner Familie bis Ende 2012 nicht, von staatlicher Seite Auskunft über seinen Aufenthaltsort zu erhalten.

  • Mazen Darwish, der Leiter des Syrischen Zentrums für Medien und Meinungsfreiheit (Syrian Center for Media and Freedom of Expression – SCM), sowie vier weitere Mitarbeiter des SCM – Abd al-Rahman Hamada, Hussein Gharir, Mansour al-Omari und Hani al-Zitani – wurden nach ihrer Festnahme durch Beamte des Geheimdienstes der Luftwaffe am 16. Februar in Damaskus ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Ende 2012 befanden sie sich noch immer in Gewahrsam. Elf weitere Personen, die zur gleichen Zeit festgenommen worden waren, kamen frei; allerdings wurden sieben von ihnen später von einem Militärgericht wegen "Besitzes von verbotenem Material mit der Absicht, es zu verbreiten" für schuldig befunden.

Außergerichtliche Hinrichtungen durch Regierungskräfte und verbündete Milizen

Regierungskräfte und die an ihrer Seite operierenden Milizen drangen mit Militärgewalt in Gebiete ein, deren Bewohner mutmaßlich die Opposition unterstützten, und richteten gefangen genommene Kämpfer und Zivilisten oft in großer Anzahl hin. Häufig wurden die Toten mit auf dem Rücken gefesselten Händen gefunden. Sie wiesen mehrere Schusswunden am Oberkörper auf, und manche von ihnen waren verbrannt worden.

  • Am 23. März 2012 zerrten Soldaten der Regierung drei Brüder – die zwischen 20 und 30 Jahre alten Bauarbeiter Yousef, Bilal und Talal Haj Hussein – aus ihrem Haus in Sarmin, einem Vorort von Idlib, und erschossen sie vor den Augen ihrer Mutter und ihrer Schwestern. Danach steckten sie die Leichen in Brand.

  • Zahlreiche Menschen, darunter viele Zivilpersonen, die sich nicht an Kampfhandlungen beteiligt hatten, wurden am 25. Mai 2012 während eines militärischen Übergriffs auf das Dorf Houla in der Nähe von Homs summarisch hingerichtet. Obwohl die syrische Regierung diese Vorwürfe zurückwies, kam die unabhängige internationale Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu dem Schluss, dass "über 100 Zivilpersonen, fast die Hälfte davon Kinder" von Regierungssoldaten und verbündeten Milizen getötet wurden.

Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt durch Regierungskräfte und verbündete Milizen

Regierungskräfte und Milizen wandten regelmäßig tödliche und unverhältnismäßige Gewalt an, um friedliche Proteste für den "Sturz des Regimes" niederzuschlagen. Hunderte Menschen, darunter auch Kinder und Passanten, von denen keine Gefahr für die Sicherheitskräfte oder andere Personen ausging, wurden von Scharfschützen der Regierung während Protestaktionen und öffentlichen Beisetzungen von "Märtyrern" erschossen oder verwundet. Die Behörden zwangen einige Familien der Opfer zur Unterzeichnung von Dokumenten, mit denen sie die Regierungskräfte entlasteten und bewaffneten terroristischen Gruppen die Schuld für den Tod ihrer Angehörigen gaben.

  • Mohammed Haffar besaß einen Süßwarenladen in Aleppo. Er stand am 17. Mai 2012 vor seinem Geschäft und wurde erschossen, als Regierungskräfte das Feuer auf einen Demonstrationszug eröffneten.

  • Mo’az Lababidi, ein 16-jähriger Schüler, war eine von zehn Personen, die am 25. Mai 2012 von Sicherheitskräften und Milizionären in Zivil erschossen wurden. Er wurde vor einer Polizeistation in Aleppo getötet, als er sich an einem Trauerzug für vier Demonstrierende beteiligte, die am selben Morgen ebenfalls erschossen worden waren.

Angriffe auf Verletzte und medizinisches Personal

Regierungskräfte und Milizen machten Jagd auf verletzte Zivilpersonen und Kämpfer der Opposition. Einige von ihnen wurden in staatlichen Krankenhäusern misshandelt. Regierungskräfte griffen auch provisorische Gesundheitseinrichtungen an, die von der Opposition errichtet worden waren, um Verwundeten zu helfen. Die freiwillig dort arbeitenden Ärzte, das Pflegepersonal und die Sanitäter gerieten ebenfalls ins Visier der Behörden.

  • Am 24. Juni 2012 wurden in Aleppo die verbrannten und verstümmelten Leichen der Studenten Basel Aslan, Mus’ab Barad und Hazem Batikh entdeckt. Die drei Männer, die einem medizinischen Netzwerk zur Behandlung verletzter Protestierender angehörten, waren eine Woche zuvor von Angehörigen des Geheimdienstes der Luftwaffe festgenommen worden. Basel Aslans Hände waren auf seinem Rücken gefesselt. Er war gefoltert worden und hatte Kopfschüsse erlitten.

  • Osama al-Habaly soll am 18. August 2012 vom syrischen Militärgeheimdienst an der syrisch-libanesischen Grenze festgenommen worden sein. Er befand sich auf der Heimreise, nachdem er im Libanon ärztlich behandelt worden war. Seiner Familie wurde mitgeteilt, er sei gefoltert worden. Weitere offizielle Auskünfte über sein Schicksal konnten die Angehörigen nicht bekommen.

Unterdrückung Andersdenkender

Die Regierung schränkte die Rechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit weiterhin stark ein. Regierungskräfte und Angehörige von Milizen nahmen Tausende Menschen bei Demonstrationen, Razzien in Wohnungen und Durchsuchungen von Haus zu Haus während militärischer Aktionen fest. Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen wurden ohne Kontakt zur Außenwelt unter Bedingungen festgehalten, die dem Verschwindenlassen gleichkommen. Sie wurden teilweise in geheimen oder behelfsmäßigen Hafteinrichtungen festgehalten, wo Folter und andere Misshandlungen an der Tagesordnung waren. Die Verantwortlichen gingen dabei straffrei aus. Unter den Häftlingen befanden sich politische Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, Blogger, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Imame. Einige von ihnen wurden in unfairen Gerichtsverfahren schuldig gesprochen und verurteilt. Die Verfahren fanden auch vor Militärgerichten oder Sondergerichtshöfen statt.

  • Der prominente Menschenrechtsanwalt Khalil Ma’touq und sein Freund Mohammed Thatha "verschwanden" am 2. Oktober 2012, nachdem sie an einem der Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte in Damaskus angehalten worden waren. Ihren Familien wurde mitgeteilt, sie befänden sich ohne Kontakt zur Außenwelt in einem Haftzentrum des Staatssicherheitsdienstes in Damaskus.

  • Vier Frauen – Ru’a Ja’far, Rima Dali und die Schwestern Kinda al-Za’our und Lubna al-Za’our – wurden nach ihrer Festnahme durch die Sicherheitskräfte sieben Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Am 21. November 2012 waren sie als Bräute gekleidet durch die Straßen von Damaskus gezogen und hatten ein Ende der Gewalt in Syrien gefordert.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen, darunter auch Kinder, durch Regie- rungskräfte und verbündete Milizen waren weit verbreitet und blieben straffrei. Die Sicherheitskräfte wollten auf diese Weise Informationen erhalten, "Geständnisse" erpressen und mutmaßliche Regierungsgegner drangsalieren und bestrafen. Die am häufigsten genannten Foltermethoden waren schwere Prügel, das Aufhängen an den Gliedmaßen, das Einspannen in einen Autoreifen, das Verabreichen von Elektroschocks sowie Vergewaltigung und anderer sexueller Missbrauch. Die Gefangenen mussten häufig in völlig überfüllten und unhygienischen Zellen ausharren. Die notwendige medizinische Betreuung wurde ihnen oft verweigert oder sie wurden sogar vom medizinischen Personal misshandelt.

  • Der palästinensische Journalist und jordanische Staatsbürger Salameh Kaileh wurde am 24. April 2012 aufgrund eines Austauschs auf Facebook und wegen Besitzes einer linksorientierten Informationsschrift in seinem Haus in Damaskus festgenommen und anschließend von Angehörigen des Geheimdienstes der Luftwaffe gefoltert. Die Beamten schlugen mit einer Peitsche auf seine Fußsohlen ein und beleidigten ihn. Am 3. Mai wurde er in ein Militärkrankenhaus verlegt, wo er und weitere Gefangene geschlagen und verhöhnt wurden. Er durfte nicht zur Toilette gehen und bekam keine Medikamente. Am 14. Mai wurde er nach Jordanien abgeschoben.

Auch die bewaffneten oppositionellen Gruppen folterten oder misshandelten gefangen genommene Angehörige der Sicherheitskräfte sowie Anhänger der Regierung.

Todesfälle in Gewahrsam

Mindestens 550 Menschen, darunter auch Kinder, kamen Berichten zufolge 2012 in der Haft ums Leben. In vielen Fällen deuteten die verfügbaren Beweise auf Folter und andere Misshandlungen als Todesursache hin. Viele der Getöteten waren mutmaßliche Gegner der Regierung. Keiner der Täter wurde wegen des Todes der Gefangenen zur Rechenschaft gezogen.

  • Die Brüder Ahmad und Yahia Ka’ake wurden am 29. September 2012 an einem Kontrollpunkt der Armee in der Nähe von Aleppo festgenommen. Tage später entdeckte ein Verwandter den Leichnam von Ahmad Ka’ake in einer Leichenhalle. Der Tote wies vier Schussverletzungen auf. Yahia Ka’ake wurde Ende 2012 immer noch ohne Kontakt zur Außenwelt gefangen gehalten.

Fälle von Verschwindenlassen

Regierungskräfte gaben keine Auskunft über das Schicksal von Hunderten, wenn nicht Tausenden Menschen, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt unter Bedingungen festgehalten wurden, die dem Verschwindenlassen gleichkommen. Die Behörden machten auch weiterhin keine Angaben über den Verbleib von rund 17000 Menschen, die seit Ende der 1970er Jahre in syrischem Gewahrsam "verschwunden" sind. Unter ihnen befanden sich Hunderte Palästinenser und libanesische Staatsangehörige, die entweder in Syrien festgenommen oder aber von syrischen Sicherheitskräften oder libanesischen und palästinensischen Milizen aus dem Libanon nach Syrien entführt worden waren. Die Freilassung des Libanesen Yacoub Chamoun fast 27 Jahre nach seinem "Verschwinden" nährte unter den Familien mancher Opfer allerdings die Hoffnung, dass ihre Angehörigen noch am Leben sein könnten.

  • Die Aktivistin Zilal Ibrahim al-Salhani "verschwand", nachdem sie am 28. Juli in ihrem Haus in Aleppo von Sicherheitskräften festgenommen worden war. Ende 2012 blieb ihr Schicksal weiter im Dunkeln.

Straflosigkeit

Die Regierung unternahm keine Schritte, um die zahlreichen Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte aufzuklären und die Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsverletzungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Es herrschte weiterhin ein Klima der Straflosigkeit, noch verschärft durch ein Gesetz, das den Angehörigen der Sicherheitskräfte strafrechtliche Immunität bei rechtswidrigen Tötungen, Folter, Verschwindenlassen und anderen Menschenrechtsverletzungen garantiert. Es wurden auch keinerlei Schritte unternommen, um die schweren Menschenrechtsverletzungen der vergangenen Jahre zu untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Das Schicksal Tausender Menschen, die dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen waren, blieb weiterhin ungeklärt. Die Behörden gaben auch weiterhin keine Auskunft über die Gefangenen, die im Juli 2008 im Sednaya-Militärgefängnis und im Juni 1980 im Tadmur-Gefängnis getötet worden waren. Im Februar überreichte die unabhängige internationale Untersuchungskommission der Vereinten Nationen der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte eine versiegelte Liste mit den Namen hochrangiger Regierungsbeamter, gegen die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein Untersuchungsverfahren eingeleitet werden sollte.

Bewaffnete oppositionelle Gruppen verstießen ebenfalls gegen das humanitäre Völkerrecht. Unter anderem schritten sie nicht gegen Kriegsverbrechen wie Folter und summarische Tötungen von Kriegsgefangenen ein.

Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge

Die Regierungskräfte führten häufig wahllose Luftangriffe auf Gebiete durch, die von der Opposition kontrolliert wurden. Dies veranlasste fast alle Anwohner, aus diesen Gebieten zu fliehen. Andere, vor allem Angehörige von Minderheiten, flohen ebenfalls aus ihren Wohnungen, da sie Übergriffe durch bewaffnete oppositionelle Gruppen befürchteten. Viele Menschen kampierten auf dem Land oder suchten Zuflucht in Höhlen. Manche zogen zu ihren Verwandten oder verließen das Land. Für in Syrien ansässige Flüchtlinge aus anderen Ländern, u.a. für die palästinensischen Flüchtlinge, war es besonders schwer, sich in Sicherheit zu bringen

Im Dezember 2012 schätzten die Vereinten Nationen, dass über 2 Mio. Menschen infolge des Konflikts als Binnenflüchtlinge galten und humanitäre Hilfe in Anspruch nehmen mussten. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) teilte mit, dass bereits fast 600000 Syrer in der Türkei, in Jordanien, dem Libanon, im Irak und in Nordafrika als Flüchtlinge registriert worden seien oder auf ihre Registrierung als Flüchtlinge warteten. Die genaue Zahl der aus Syrien geflohenen Menschen liegt wahrscheinlich noch sehr viel höher. Die Nachbarländer gewährten Tausenden Flüchtlingen aus Syrien Sicherheit und Unterstützung auf ihrem Staatsgebiet. Mitte August beschränkten die Türkei und der Irak allerdings die Einreise, was einem Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt. Zum Ende des Jahres lebten Tausende Menschen unter sehr schlechten Bedingungen in Lagern entlang der türkischen Grenze.

Todesstrafe

Die Todesstrafe blieb 2012 weiterhin in Kraft. Es lagen jedoch keine bestätigten Informationen darüber vor, ob Todesurteile verhängt oder vollstreckt wurden.

Amnesty International: Missionen und Berichte.

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