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Naher Osten und Nordafrika 2013
"Ich fand meine Söhne brennend auf der Straße liegen. Sie hatten sie aufeinander gelegt ... und in Brand gesteckt." Eine Mutter beschreibt einem Ermittler von Amnesty International in Syrien, was ihren drei Söhnen in Sarmin, Provinz Idlib, am 23. März 2012 angetan wurde.
Proteste und Aufstände, die ab Ende 2010 Nordafrika und den Nahen Osten erfasst hatten, prägten auch im Jahr 2012 die menschenrechtliche Entwicklung in den Ländern der Region.
In Syrien wütete weiterhin der bewaffnete Konflikt zwischen Regierungstruppen und Opposition. Das gesamte Jahr über verübten beide Konfliktparteien schwere Menschenrechtsverstöße und Kriegsverbrechen; die Regierung war auch für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich. Zu den Vergehen zählten wahllose Angriffe auf Wohngebiete, politisch motivierte Morde und Folter. Der großflächige Terror und die Zerstörung führten zu mehr als 2 Mio. Binnenvertriebenen, die unter katastrophalen humanitären Bedingungen lebten. Bis Ende 2012 waren zudem fast 600000 Menschen ins Ausland geflohen, was die Nachbarstaaten stark unter Druck setzte. Die Wirtschaft und die Infrastruktur Syriens lagen am Boden, und ein Ende der Kämpfe war nicht in Sicht – die Zukunft Syriens sah sehr düster aus.
Andernorts bot sich 2012 ein gemischtes Bild. In Ägypten, Jemen, Libyen und Tunesien, wo autokratische Herrscher gestürzt worden waren, war die Pressefreiheit größer, und die Zivilgesellschaft gewann zunehmend Handlungsspielraum. Gleichzeitig waren jedoch auch Rückschläge zu verzeichnen – so wurde das Recht auf freie Meinungsäußerung immer wieder aus religiösen oder moralischen Gründen eingeschränkt. In Libyen verbesserte sich die menschenrechtliche Situation nicht im gewünschten Maße, weil es der Regierung nicht gelang, die Milizen unter Kontrolle zu bringen.
Menschenrechtsverteidiger und politisch engagierte Personen wurden in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens weiterhin unterdrückt. Viele Frauen und Männer kamen allein deshalb ins Gefängnis, weil sie ihre Meinung äußerten, viele wurden in Gewahrsam gefoltert, mit einem Reiseverbot belegt oder von Staatsbediensteten schikaniert, viele wurden bei friedlichen Protesten geschlagen oder sogar getötet. In den Golfstaaten kamen Aktivisten, Dichter, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und andere Personen ins Gefängnis, weil sie Reformen gefordert oder ihre Meinung geäußert hatten. In Bahrain kündigten die Behörden zwar Reformen an, gleichzeitig inhaftierten sie jedoch weiterhin führende Mitglieder der Opposition und Menschenrechtler – allesamt gewaltlose politische Gefangene. Die Länder Algerien und Jordanien verschärften die Kontrolle der Medien durch neue Gesetze, und in Marokko gingen die Behörden massiv gegen Journalisten und Dissidenten vor.
In den Ländern, in denen sich politische Veränderungen vollzogen, wurde zwar darüber diskutiert, dass eine grundlegende Reform der Justiz und des Sicherheitsapparats notwendig sei. Die Debatte blieb jedoch überwiegend folgenlos. Die Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen blieb im Großen und Ganzen unangetastet, vereinzelt wurden jedoch Schritte eingeleitet, um Verstöße, die in der Vergangenheit begangen worden waren, im Nachhinein zu ahnden. Willkürliche Festnahmen, Folter und unfaire Gerichtsverfahren waren nach wie vor an der Tagesordnung. Viele Staaten verhängten weiterhin häufig die Todesstrafe, insbesondere der Iran und Saudi-Arabien.
Die Hoffnungen der Frauen, die maßgeblich an den Aufständen beteiligt waren, erfüllten sich nicht einmal ansatzweise. Ihre Forderung, die geschlechtsspezifische Diskriminierung zu beenden, verhallte ungehört, und einige Demonstrantinnen wurden Opfer sexueller Gewalt. Dennoch wehrten sich Frauen in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas weiterhin gegen die im Alltag vorherrschende und gesetzlich verankerte Diskriminierung. Sie forderten außerdem angemessene Schutzmaßnahmen gegen häusliche und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt.
Israel hielt währenddessen die Militärblockade des Gazastreifens aufrecht und weitete die rechtswidrige Besiedlung des besetzten Westjordanlandes aus. Für die 1,6 Mio. Palästinenser im Gazastreifen bedeutete dies, dass die humanitäre Krisensituation anhielt. Außerdem schränkten die israelischen Behörden die Bewegungsfreiheit der Bewohner des Gazastreifens und des Westjordanlandes weiterhin stark ein. Im November 2012 ging Israel mit einer achttägigen Militäroperation gegen bewaffnete palästinensische Gruppen im Gazastreifen vor, die wahllos Raketen nach Israel abgeschossen hatten. Dabei wurden mindestens 160 Palästinenser und 6 Israelis getötet.
Zwar waren 2012 einige Rückschläge zu verzeichnen, doch die Entschlossenheit und der Mut, den die Menschen bei ihrem nicht nachlassenden Einsatz für Gerechtigkeit, Würde und Menschenrechte bewiesen, bot auch Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken.