Amnesty Report Irak 23. Mai 2013

Irak 2013

 

Amtliche Bezeichnung: Republik Irak Staatsoberhaupt: Jalal Talabani Regierungschef: Nuri al-Maliki

Tausende von Menschen waren inhaftiert. Es ergingen Hunderte von Todesurteilen nach häufig unfairen Verfahren und wegen Anklagen im Zusammenhang mit Terrorismus. Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen waren weiterhin an der Tagesordnung, die Verantwortlichen gingen straffrei aus. Hunderte Gefangene saßen in den Todestrakten. Mindestens 129 Menschen wurden hingerichtet, darunter mindestens drei Frauen. Bewaffnete Gruppen, die gegen die Regierung kämpften, waren weiterhin für schwere Menschenrechtsverstöße verantwortlich. Sie verübten zahlreiche Selbstmordattentate und Bombenanschläge, bei denen Hunderte von Zivilpersonen ums Leben kamen. Nach wie vor gingen Meldungen über Drangsalierungen, Einschüchterungen und Gewalt gegen Journalisten und andere Medienschaffende ein. Über 67000 Flüchtlinge aus Syrien suchten Zuflucht im Irak.

Hintergrund

Die politische Pattsituation im Parlament behinderte auch 2012 das Gesetzgebungsverfahren. So konnte u.a. ein Amnestiegesetz nicht verabschiedet werden. Die politischen Spannungen wurden verschärft durch die Festnahme zahlreicher Personen aus dem Umfeld von Vizepräsident Tariq al-Haschimi, der aus Bagdad geflohen war, nachdem ihm eine Anklage wegen des Organisierens von Todesschwadronen drohte. Im Dezember 2011 hatte das irakische Fernsehen "Geständnisse" von Gefangenen ausgestrahlt, die als Leibwächter für ihn tätig gewesen sein sollen. Sie sagten aus, sie hätten für den Vizepräsidenten bezahlte Auftragsmorde verübt. Der Vizepräsident entging einer Festnahme, wurde jedoch zusammen mit seinem Schwiegersohn Ahmad Qahtan wegen Mordes an einer Rechtsanwältin und einem Regierungsbeamten angeklagt und in Abwesenheit zum Tode verurteilt. In weiteren Prozessen im November und Dezember 2012 ergingen in Abwesenheit weitere Todesurteile gegen die beiden.

Die Beziehungen zwischen Bagdad und der Regierung der autonomen Region Kurdistan blieben angespannt. Es konnte keine Einigung über die Verteilung der Einkünfte aus der Erdölförderung erzielt werden. Außerdem gab es weiterhin Differenzen bezüglich des Verlaufs der internen Gebietsgrenzen.

Junge Leute, vor allem solche, die als Nonkonformisten gelten, wurden zur Zielscheibe einer Einschüchterungskampagne. In den Bagdader Stadtteilen Sadr City, al-Hababiya und Hay al-'Amal tauchten im Februar diffamierende Flugblätter und Poster auf. Die Kampagne richtete sich gegen Jugendliche mit mutmaßlicher homosexueller Orientierung und gegen Personen, die einen alternativen Lebensstil vertraten und dies mit auffallenden Frisuren, Kleidung oder ihrem Musikgeschmack zum Ausdruck brachten.

Im März 2012 fand zum ersten Mal seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 ein Treffen der Arabischen Liga in Bagdad statt. Im Vorfeld der Sitzung kam es in Bagdad zu Massenfestnahmen durch die Sicherheitskräfte, angeblich als "vorsorgliche" Maßnahme. Im April stimmte das Parlament der Gründung einer unabhängigen Menschenrechtskommission zu.

Im Dezember begannen zehntausend vornehmlich sunnitische Iraker mit täglichen friedlichen Demonstrationen gegen die Regierung. Sie protestierten damit gegen die Misshandlung von Gefangenen. Ausgelöst worden waren die Proteste durch die Inhaftierung mehrerer Leibwächter von Finanzminister Rafi’e al-Issawi, einem führenden sunnitischen Politiker, sowie durch Vorwürfe über sexuelle und andere Misshandlungen von weiblichen Gefangenen. Ein Parlamentsausschuss, der diese Vorwürfe untersuchen sollte, kam zu widersprüchlichen Schlussfolgerungen.

Verstöße bewaffneter Gruppen

Bewaffnete Gruppen, die die irakische Regierung bekämpften, begingen erneut schwere Menschenrechtsverstöße, darunter wahllose Tötungen von Zivilpersonen.

  • Am 5. Januar 2012 kamen bei Selbstmordattentaten und anderen Anschlägen mindestens 55 Zivilpersonen ums Leben, darunter schiitische Pilger, die auf dem Weg nach Kerbala waren. Zahlreiche weitere Personen trugen Verletzungen davon. Hauptziele dieser Übergriffe waren die überwiegend von Schiiten bewohnten Viertel in Bagdad wie Sadr City und Khadimiya sowie ein Polizeikontrollpunkt in der Nähe von al-Nassirya, wo sich Pilger für ihre Reise nach Süden sammelten.

  • Mindestens 100 Zivilpersonen und Angehörige der Sicherheitskräfte kamen am 23. Juli 2012 in einer Welle von Bombenanschlägen und Schusswechseln in Bagdad und anderen Städten wie Kirkuk und Taji ums Leben.

  • Mindestens 81 Menschen, darunter viele Zivilpersonen, wurden am 9. September 2012 in einer koordinierten Bombenanschlagsserie in Bagdad, Baquba, Samarra, Basra und anderen Städten getötet.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen waren insbesondere in den vom Innen- und Verteidigungsministerium kontrollierten Gefängnissen und Haftzentren an der Tagesordnung. Die Verantwortlichen gingen straffrei aus. Zu den üblichen Foltermethoden zählten das Aufhängen an Armen oder Beinen über lange Zeiträume hinweg, Schläge mit Kabeln und Schläuchen, Elektroschocks und das Brechen von Armen oder Beinen. Häftlinge berichteten auch davon, mit Plastiktüten fast erstickt sowie sexuell missbraucht oder mit Vergewaltigung bedroht worden zu sein. Mit den Folterungen wollte man die Gefangenen zu "Geständnissen" zwingen, die vor Gericht als Beweismittel gegen sie verwendet werden konnten.

  • Nabhan 'Adel Hamid, Mu'ad Muhammad 'Abed, 'Amer Ahmad Kassar und Shakir Mahmoud 'Anad wurden Ende März bzw. Anfang April in Ramadi und Fallujah festgenommen. Sie sollen während ihrer Haft im Amt für Verbrechensbekämpfung in Ramadi mehrere Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten und gefoltert worden sein. Ihre "Geständnisse" wurden anschließend im Lokalfernsehen ausgestrahlt. Während ihres Prozesses vor dem Strafgericht von Anbar gaben sie an, man habe sie unter Folter gezwungen, ein "Geständnis" über Beihilfe zum Mord abzulegen. Zeugenaussagen von Mitgefangenen bestätigten ihre Foltervorwürfe. Eine medizinische Untersuchung eines der Gefangenen ergab Verbrennungen und weitere Verletzungen, die auf Folter schließen ließen. Trotzdem ergingen gegen die vier Männer am 3. Dezember 2012 Todesurteile. Eine unabhängige Untersuchung ihrer Foltervorwürfe wurde offenbar nicht eingeleitet.

Tod in Gewahrsam

Mehrere Gefangene kamen während der Haft ums Leben. Die Umstände legen nahe, dass Folterungen der Grund für die Todesfälle waren oder dazu beigetragen haben.

  • Der ehemalige Leibwächter von Vizepräsident al-Haschimi, 'Amer Sarbut Zaidan al-Battawi, starb im März 2012 in Gewahrsam. Seine Familie gab an, sein Leichnam habe Folterverletzungen aufgewiesen. Die Behörden bestritten, dass sein Tod als Folge von Folter eintrat, und kündigten weitere Untersuchungen an.

  • Der Apotheker Samir Naji 'Awda al-Bilawi und sein 13-jähriger Sohn Mundhir wurden im September 2012 an einem Kontrollpunkt in Ramadi festgenommen. Drei Tage später erfuhr die Familie der beiden, dass Samir Naji 'Awda al-Bilawi in Gewahrsam gestorben war. In den irakischen Medien veröffentlichte Bilder des Toten zeigten Verletzungen am Kopf und an beiden Händen. Nach seiner Freilassung berichtete Mundhir, er und sein Vater seien auf der Polizeiwache tätlich angegriffen und zum Amt für Verbrechensbekämpfung in Ramadi gebracht worden. Dort seien sie gefoltert und mit Elektroschocks gequält worden. Er berichtete, man habe ihm befohlen, dem Untersuchungsrichter zu sagen, sein Vater habe Verbindungen zu einer terroristischen Vereinigung unterhalten. Die Rechtsbeistände der Familie durften den offiziellen Obduktionsbericht lesen, jedoch keine Kopien anfertigen. Berichten zufolge stand darin, dass Samir Naji 'Awda al-Bilawi an den Folgen von Folter und der Verabreichung von Elektroschocks gestorben sei. Die Verantwortlichen waren bis Ende 2012 noch nicht zur Rechenschaft gezogen worden.

Antiterror- und Sicherheitsmaßnahmen

Die Behörden verhafteten und inhaftierten Hunderte Personen, denen Taten im Zusammenhang mit Terrorismus vorgeworfen wurden. Sie sollen an Bombenanschlägen und anderen Übergriffen gegen Sicherheitskräfte und Zivilpersonen beteiligt gewesen sein. Viele der Inhaftierten gaben an, während ihrer Untersuchungshaft gefoltert oder anderweitig misshandelt und in unfairen Gerichtsverhandlungen für schuldig befunden und verurteilt worden zu sein. In einigen Fällen bekamen irakische Fernsehsender die Genehmigung, Berichte über die Angeklagten auszustrahlen, in denen sie sich noch vor Beginn ihres Prozesses selbst beschuldigten. Damit wurde ihr Recht auf ein faires Gerichtsverfahren verletzt. Gegen einige der Gefangenen ergingen anschließend Todesurteile. Häftlinge wurden vom Innenministerium bei Pressekonferenzen vorgeführt und mussten "Geständnisse" ablegen. Das Ministerium lud diese "Geständnisse" regelmäßig auf seinen YouTube-Kanal hoch.

  • Ende Mai 2012 präsentierte das Innenministerium bei einer Pressekonferenz mindestens 16 Häftlinge, denen die Zugehörigkeit zu einer bewaffneten Gruppierung mit Verbindungen zu Al-Qaida vorgeworfen wurde. Anschließend gab das Ministerium an einige Fernsehsender Aufnahmen weiter, in denen sich mehrere der Gefangenen selbst belasteten. Auf der Pressekonferenz protestierte einer der Gefangenen, Laith Mustafa al-Dulaimi, ein Angehöriger des Provinzrats von Bagdad, gegen diese Praxis und rief laut aus, dass er und andere Häftlinge misshandelt worden seien.

  • Der 70-jährige Ramzi Shihab Ahmad, der sowohl die irakische als auch die britische Staatsangehörigkeit besitzt, wurde am
20. Juni 2012 vom Strafgerichtshof in Resafa zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Er soll bei der Gründung terroristischer Vereinigungen geholfen und religiöse Dekrete (Fatwas) erlassen haben. Das Gericht ließ sein während der Untersuchungshaft abgelegtes "Geständnis" als Beweismittel zu, obwohl vieles dafür sprach, dass es unter Folter erpresst worden war.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Im Februar 2012 wurde damit begonnen, rund 3200 Exiliraner aus dem Camp New Iraq (ehemals Camp Ashraf) in das nordöstlich von Bagdad gelegene Hurriya-Transitzentrum (Camp Liberty) zu verlegen. Zum Ende des Jahres war die Umsiedlung so gut wie abgeschlossen. Die Iraner waren schon seit langem im Irak ansässig. Die meisten von ihnen waren Angehörige oder Unterstützer der iranischen Volksmudschaheddin. Sie beschwerten sich, dass die irakischen Sicherheitskräfte einige von ihnen während ihrer Verlegung tätlich angegriffen hätten und äußerten Kritik an den Lebensbedingungen im Camp Liberty. Im Juli forderte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) die internationale Gemeinschaft öffentlich auf, den Bewohnern von Camp Liberty Siedlungsraum bereitzustellen oder andere Formen der humanitären Aufnahme anzubieten.

Der sich verschärfende Konflikt im Nachbarland Syrien hatte schwerwiegende Auswirkungen auf den Irak. Mehr als 67000 syrische Flüchtlinge überquerten die Grenze, die meisten nach dem 18. Juli und mehrheitlich in die Region Kurdistan. Tausende irakische Flüchtlinge kehrten aus Syrien zurück. Im Oktober verstießen die irakischen Behörden gegen das Völkerrecht, indem sie den Grenzübergang al-Qaem für Flüchtlinge aus Syrien schlossen und nur in Notfällen öffneten. Nach einer vorherigen Grenzschließung im August waren eingeschränkte Grenzübertritte erlaubt worden.

Todesstrafe

Wie in den Vorjahren wurden auch 2012 zahlreiche, wahrscheinlich Hunderte Menschen zum Tode verurteilt. Die Zahl der Gefangenen in den Todestrakten erhöhte sich daher beträchtlich. Die meisten Todesurteile ergingen im Zusammenhang mit Terrorismus. Von den 33 Todeskandidaten, die im ersten Halbjahr 2012 im Tasfirat-Gefängnis in Ramadi einsaßen, waren 27 wegen Straftaten im Zusammenhang mit Terrorismus für schuldig befunden worden. Die Prozesse genügten durchweg nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren. Viele der Angeklagten gaben an, sie seien während der Verhöre in der Untersuchungshaft gefoltert und zum Ablegen von "Geständnissen" gezwungen worden.

  • Gegen Muhammad Hussain und Sohail Akram, zwei Mitarbeiter des Vizepräsidenten al-Haschimi, ergingen im Oktober Todesurteile, nachdem das Zentrale Irakische Strafgericht sie wegen der Tötung von Sicherheitsbeamten schuldig gesprochen hatte.

Mindestens 129 Gefangene wurden hingerichtet, mehr als in jedem Jahr seit 2005, dem Jahr der Wiederaufnahme von Hinrichtungen. Manchmal führten die Behörden Mehrfachexekutionen durch. Im Januar wurden an einem einzigen Tag 34 Todesurteile vollstreckt. An einem Tag im August fanden die Hinrichtungen von 21 Personen statt, darunter drei Frauen. Im September sollen sich mindestens 18 Frauen in den Todeszellen eines Gefängnisses im Bezirk al-Kadhemiya in Bagdad befunden haben.

  • Das Todesurteil gegen den früheren Sekretär und Leibwächter Saddam Husseins, 'Abid Hamid Mahmoud, wurde im Juni vollstreckt. Er war im Oktober 2010 vom Obersten Irakischen Strafgericht zum Tode verurteilt worden.

Region Kurdistan

Das Verhältnis zwischen der kurdischen Regionalregierung und der Zentralregierung in Bagdad blieb unverändert angespannt. Im Juni erließ das kurdische Parlament ein Gesetz über eine Generalamnestie, das in der Region Kurdistan Anwendung fand. Das Amnestiegesetz galt nicht für Gefangene, die wegen sogenannten Ehrenmorden, Vergewaltigungen, Terrorismus oder Drogendelikten schuldig befunden worden waren.

Die kurdischen Behörden gingen weiterhin gegen einige Personen vor, die Kritik an der Korruption im Staatsapparat übten oder abweichende politische Meinungen äußerten. Auch wurden nach wie vor Fälle von Folter und anderen Misshandlungen gemeldet.

  • Der Geschäftsmann Hussein Hama Ali Tawfiq wurde am 27. März 2012 festgenommen. Man brachte ihn zu einer Einrichtung des Sicherheitsdienstes Asayish in Suleimaniya, wo man ihm die Augen verbunden haben soll. Berichten zufolge wurde er mit Fäusten traktiert und mit einem Gegenstand geschlagen, während seine Hände überkreuzt auf dem Rücken gefesselt waren. Er sollte gegen andere in einem Korruptionsfall aussagen, weigerte sich jedoch. Später klagte man ihn wegen Bestechung an. Er blieb bis zu seinem Freispruch im November in Haft. Zu den Foltervorwürfen sind nach derzeitigem Kenntnisstand keine Untersuchungen eingeleitet worden.

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