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Bosnien und Herzegowina 2013
Amtliche Bezeichnung: Bosnien und Herzegowina Staatsoberhaupt: Staatspräsidium mit turnusgemäß wechselndem Vorsitz, bestehend aus Zeljko Komsic, Nebojsa Radmanovic und Bakir Izetbegovic Regierungschef: Vjekoslav Bevanda (löste im Januar Nikola Spiric im Amt ab)
Im ganzen Land äußerten sich die großen Parteien 2012 vermehrt nationalistisch. Die staatliche Einheit wurde zunehmend infrage gestellt. Die Institutionen auf gesamtstaatlicher Ebene, darunter das Justizwesen, waren geschwächt. Die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen wurde fortgeführt, doch kamen die Prozesse nur schleppend voran, und es herrschte nach wie vor Straflosigkeit. Vielen zivilen Opfern des Krieges war noch immer der Zugang zu Gerechtigkeit und Entschädigungen verwehrt.
Hintergrund
Die wirtschaftliche Situation des Landes verschlechterte sich 2012 erheblich. Die Arbeitslosigkeit war hoch, und die damit einhergehenden sozialen Probleme verschärften sich. Im Januar wurde ein Kabinett gebildet und im April der Staatshaushalt verabschiedet. Damit war endlich der Stillstand beendet, der seit den Parlamentswahlen im Jahr 2010 geherrscht hatte.
Nationalistische Äußerungen führender politischer Parteien in den verschiedenen Landesteilen schwächten die Institutionen auf gesamtstaatlicher Ebene, insbesondere das Justizwesen. Verantwortlich dafür waren u.a. die Kommentare führender Politiker der Republika Srpska (Serbische Republik), die immer häufiger eine Abspaltung forderten. Der Hohe Repräsentant der UN in Bosnien und Herzegowina, der die Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton überwacht, teilte im November mit, es habe kaum Fortschritte bei der euro-atlantischen Integration des Landes gegeben, und das Allgemeine Rahmenübereinkommen für den Frieden, einschließlich der Souveränität und territorialen Integrität von Bosnien und Herzegowina, werde deutlich häufiger infrage gestellt. Die Arbeit des Parlaments war aufgrund mangelnden politischen Willens wenig effektiv. Die politische Führung der Republika Srpska verstärkte ihre Kritik am Friedensabkommen von Dayton und äußerte sich zunehmend separatistisch. Die Kommunalwahlen im Oktober erfüllten nach Ansicht von Wahlbeobachtern im Großen und Ganzen demokratische Standards.
Die internationale Gemeinschaft hielt ihre Präsenz in Bosnien und Herzegowina aufrecht. Sowohl der EU-Sonderbeauftragte für Bosnien und Herzegowina als auch der Hohe Repräsentant der UN nahmen weiterhin ihre jeweiligen Mandate wahr. Die Entscheidung, die EU-Militärpräsenz von 1300 auf 600 Personen zu verringern, wurde zum Teil dadurch kompensiert, dass einige EU-Mitgliedstaaten zusätzliche Reservetruppen im Land stationierten.
Internationale Strafverfolgung von Kriegsverbrechen
Ende 2012 waren fünf Verfahren wegen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit Bosnien und Herzegowina vor der Verfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien anhängig. Drei weitere Fälle befanden sich im Berufungsverfahren.
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Das Verfahren gegen den ehemaligen Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, wurde fortgesetzt. Im Juni verkündete die Verfahrenskammer des Gerichts mündlich ihre Entscheidung, den Antrag auf Freispruch in zehn der insgesamt elf Anklagepunkte abzulehnen. Das Gericht sprach Radovan Karadzic jedoch bezüglich des ersten Anklagepunkts frei, der ihm Völkermord in verschiedenen Orten von Bosnien und Herzegowina zwischen März und Dezember 1992 zur Last gelegt hatte. Nach Ansicht des Gerichts waren die Beweise "nicht ausreichend, um einen vernünftigen Faktenprüfer zu dem Schluss kommen zu lassen, dass in diesen Gemeinden ein Völkermord verübt wurde".
- Im Mai begann das Verfahren gegen den ehemaligen Oberbefehlshaber der Armee der Republika Srpska, Ratko Mladic, der 2011 in Serbien festgenommen und an den Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien überstellt worden war. Er wurde persönlich und als Vorgesetzter in zwei Fällen des Völkermords angeklagt. Außerdem wurden ihm Verfolgung, Ausrottung, Mord, Deportation, unmenschliche Handlungen, Terror, widerrechtliche Angriffe auf Zivilpersonen und Geiselnahme zur Last gelegt.
Innerstaatliche Strafverfolgung von Kriegsverbrechen
Die Gerichte in Bosnien und Herzegowina waren 2012 weiterhin damit beschäftigt, den großen Rückstand bei Verfahren wegen Kriegsverbrechen abzuarbeiten. Anfang 2012 erhielt das Büro des Staatsanwalts von Bosnien und Herzegowina eine Übersicht über alle Fälle, die bei den Gerichten im gesamten Land lagen. Die Liste wurde an den Staatsgerichtshof übergeben, der gemäß den in der Nationalen Strategie zur Strafverfolgung von Kriegsverbrechen genannten Kriterien entschied, auf welcher Ebene die Fälle weiterverfolgt werden sollten: auf der Ebene des Gesamtstaats oder auf der Ebene der Verwaltungseinheiten Föderation Bosnien und Herzegowina und Republika Srpska.
Nach der Durchsicht von 1271 Fällen wurden 592 (47%) an die Staatsanwaltschaften der Verwaltungseinheiten übergeben. 679 (53%) wurden der Staatsanwaltschaft auf gesamtstaatlicher Ebene zugewiesen. Dies stellte eine positive Entwicklung dar. Zuvor war die Umsetzung der Nationalen Strategie zur Strafverfolgung von Kriegsverbrechen dadurch verzögert worden, dass die genaue Anzahl der Verfahren nicht erfasst war. Die Gefahr paralleler Untersuchungen und Strafverfahren auf der Ebene des Gesamtstaats und der Verwaltungseinheiten wurde auf diese Weise ebenfalls erheblich verringert.
Etwa die Hälfte der Fälle war allerdings bereits vor der Überprüfung und Neuzuordnung seit vielen Jahren bei den Staatsanwaltschaften auf der Ebene der Verwaltungseinheiten anhängig. Die Tatsache, dass diesen Staatsanwaltschaften weitere 120 Fälle übertragen wurden, führte ebenfalls nicht zwangsläufig zu einer schnelleren Bearbeitung.
Die Kammer für Kriegsverbrechen am Staatsgerichtshof von Bosnien und Herzegowina spielte weiterhin eine zentrale Rolle bei der Strafverfolgung von Verbrechen nach dem Völkerrecht. Die Bemühungen des Landes, Kriegsverbrechen zu ahnden, wurden jedoch von hochrangigen Politikern nach wie vor untergraben. In öffentlichen Äußerungen griffen sie die Justizbehörden an, die sich der Untersuchung und strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen widmeten, und leugneten Kriegsverbrechen, einschließlich des Völkermords von Srebrenica im Juli 1995. Im Februar beantragte eine Koalitionspartei aus der Republika Srpska, den Staatsgerichtshof und die Staatsanwaltschaft von Bosnien und Herzegowina abzuschaffen. Das Parlament von Bosnien und Herzegowina wies die Anträge zurück. Doch gaben führende Politiker weiterhin entsprechende öffentliche Stellungnahmen ab und beeinträchtigten damit die Arbeit des staatlichen Justizwesens.
Obwohl mehrere mit Menschenrechtsabkommen befasste internationale Organe gefordert hatten, die Definition von sexueller Gewalt im Strafgesetzbuch den Standards und der Rechtsauffassung auf internationaler Ebene anzupassen, nahmen die Behörden keine entsprechenden Änderungen vor. Nach dem Strafgesetzbuch von Bosnien und Herzegowina aus dem Jahr 2003 muss das Opfer Gewalt oder einer unmittelbaren Bedrohung seines Lebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt sein. Die Umstände eines bewaffneten Konflikts werden dabei außer Acht gelassen, obwohl dieser eine Zwangssituation darstellt, weshalb ein in diesem Rahmen geäußertes Einverständnis zum Geschlechtsverkehr als nichtig zu betrachten ist.
Auf der Ebene der Verwaltungseinheiten wandten die Gerichte bei der Strafverfolgung von Verbrechen, die während des Krieges zwischen 1992 und 1995 begangen wurden, sogar weiterhin das Strafgesetzbuch der ehemaligen Sozialistischen Republik Jugoslawien an. Der UN-Menschenrechtsausschuss wies in seinen abschließenden Bemerkungen im November darauf hin, dass dieses Strafgesetzbuch schwerwiegende Lücken aufweise. So seien darin beispielsweise weder "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" noch "Befehlsverantwortung" definiert.
Auf gesamtstaatlicher Ebene existierten zwar Maßnahmen zum Zeugenschutz, bei Gerichtsverfahren auf der Ebene der Verwaltungseinheiten gab es jedoch keine Maßnahmen zur Unterstützung und zum Schutz von Zeugen – ungeachtet dessen, dass etwa die Hälfte aller anstehenden Prozesse wegen Kriegsverbrechen auf dieser Ebene angesiedelt war.
Die Behörden legten kein umfassendes Programm zur Entschädigung der Opfer von Kriegsverbrechen auf.
Rechte von Frauen
Opfer von Kriegsverbrechen – sexuelle Gewalt Von ihrer Gründung im Jahr 2005 bis zum Jahresende 2012 schloss die Kammer für Kriegsverbrechen am Staatsgerichtshof von Bosnien und Herzegowina 29 Verfahren ab, in denen es um Verbrechen sexueller Gewalt während des Krieges von 1992 bis 1995 ging. In zwei weiteren Fällen waren noch Rechtsmittel anhängig. Es gab keine verlässlichen Angaben zur Zahl der Ermittlungen und Strafverfahren wegen des Kriegsverbrechens der Vergewaltigung und anderer Formen sexueller Gewalt auf der Ebene des Gesamtstaats und der Verwaltungseinheiten.
Es wurde kein Gesetz bezüglich der Rechte von Folteropfern und zivilen Kriegsopfern verabschiedet. Auch gab es keine Strategie für eine juristische Aufarbeitung der Vergangenheit (Übergangsjustiz) und kein Programm für diejenigen, die während des Konflikts Opfer sexueller Gewalt geworden waren. Alle diese Maßnahmen hätten es den Überlebenden von sexueller Gewalt erleichtert, ihr Recht auf Wiedergutmachung geltend zu machen.
Vielen Überlebenden von Kriegsverbrechen der sexuellen Gewalt wurde weiterhin ihr Recht auf Wiedergutmachung vorenthalten. Sie wurden als Vergewaltigungsopfer stigmatisiert. Den weiblichen Opfern wurde der Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung verwehrt, selbst dann, wenn sie infolge der Vergewaltigung gesundheitliche Beschwerden hatten. Nur ein kleiner Teil der Frauen, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen litten, hatte die Möglichkeit, psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Verschwindenlassen
Etwa 10000 Personen, die während des Krieges zwischen 1992 und 1995 "verschwunden" waren, wurden noch immer vermisst. Das 2004 verabschiedete Gesetz über vermisste Personen wurde nicht umgesetzt. Dies stellte die Familien der "Verschwundenen" vor Probleme, da ihnen u.a. ihr Anspruch auf Gerechtigkeit und Entschädigung verwehrt wurde. Der in dem Gesetz vorgesehene Fonds zur Unterstützung von Angehörigen vermisster Personen war noch immer nicht eingerichtet. Zudem wurden viele Urteile des Verfassungsgerichts von Bosnien und Herzegowina zu Fällen des Verschwindenlassens nicht umgesetzt.
Diskriminierung
Minderheiten Die Behörden setzten das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009 nicht um. Es betraf eine Klage von Dervo Sejdic, der der Gemeinschaft der Roma angehört, und Jakob Finci, der jüdischer Herkunft ist. Die beiden Männer hatten beanstandet, dass man ihnen das Recht verweigert habe, für politische Ämter zu kandidieren, weil sie keiner der großen ethnischen Gruppen angehörten. Die derzeit geltenden gesetzlichen Bestimmungen gestehen nur Angehörigen der "konstitutiven Nationen" (Bosniaken, Kroaten und Serben) das passive Wahlrecht zu. Das Gericht sah die Kläger durch die Verfassung und das Wahlrecht diskriminiert und forderte die Behörden auf, Abhilfe zu schaffen.
Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen Obwohl das Antidiskriminierungsgesetz Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität verbietet, existierte kein System, um Fälle von Diskriminierung zu erfassen. Angriffe gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle wurden von staatlicher Seite nicht öffentlich verurteilt. Gegen die Verantwortlichen für die Angriffe auf die Organisatoren und Teilnehmer des Sarajevo Queer Festivals im Jahr 2008 wurden weder Ermittlungen eingeleitet, noch wurden sie strafrechtlich verfolgt.
Amnesty International: Missionen und Berichte
Delegierte von Amnesty International besuchten Bosnien und Herzegowina zwischen März und April sowie zwischen Oktober und November.
The right to know: Families still left in the dark in the Balkans Bosnia and Herzegovina: Stankovic arrest – victims of war-time rape must feel safe to testify Old crimes, same suffering: No justice for survivors of wartime rape in north-east Bosnia and Herzegovina BiH should allow individuals to petition the Committee on Enforced Disappearances Bosnia and Herzegovina: Families of the victims of genocide committed in Srebrenica 17 years ago are still waiting for truth, justice and reparation Bosnia and Herzegovina: Submission to the UN Human Rights Committee When everyone is silent: Reparation for survivors of wartime rape in Republika Srpska in Bosnia and Herzegovina