Amnesty Report Sri Lanka 09. Mai 2012

Sri Lanka 2012

 

Amtliche Bezeichnung: Demokratische Sozialistische Republik Sri Lanka Staats- und Regierungschef: Mahinda Rajapaksa Todesstrafe: in der Praxis abgeschafft Einwohner: 21 Mio. Lebenserwartung: 74,9 Jahre Kindersterblichkeit: 14,7 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 90,6%

Die Regierung ließ weiterhin willkürlich Menschen festnehmen, foltern oder misshandeln und "verschwinden" und schritt in den meisten Fällen nicht gegen die Straflosigkeit für Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts ein. Da die Regierung wiederholt den Vorwurf zurückwies, dass beide Konfliktparteien während des im Jahr 2009 beendeten Konflikts Kriegsverbrechen begangen hätten, sah sich Amnesty International dazu veranlasst, erneut eine unabhängige internationale Untersuchung zu fordern.

Hintergrund

Die Regierung Sri Lankas stützte sich weiterhin auf Sicherheitsgesetze und einen Militärapparat, woraus fortgesetzte Verletzungen der Menschenrechte resultierten. Sie widersetzte sich Bestrebungen zu größerer öffentlicher Transparenz, als sie im Juni 2011 einen von der Opposition unterstützten Gesetzesentwurf über das Recht auf Information ablehnte. Im Land gab es weiterhin eine starke Bereitschaft zu politischer Gewalt, und die Bemühungen um ethnische Aussöhnung machten kaum Fortschritte.

Am 30. August hob Sri Lanka den seit Jahrzehnten fast ohne Unterbrechung geltenden Ausnahmezustand auf, ließ jedoch das repressive Antiterrorgesetz (Prevention of Terrorism Act – PTA) in Kraft. Zudem wurden auf der Grundlage des PTA neue Rechtsvorschriften erlassen, die es ermöglichten, das Verbot der Befreiungstiger von Tamil Eelam (Liberation Tigers of Tamil Eelam – LTTE) aufrechtzuerhalten, weiterhin mutmaßliche LTTE-Mitglieder ohne Anklage oder Gerichtsverfahren zu inhaftieren und Hochsicherheitszonen unter militärischer Kontrolle zu behalten. Die Armee übernahm Polizeiaufgaben, und die Special Task Force – ein Elitekommando der Polizei, das sich in der Vergangenheit zahlreicher Übergriffe schuldig gemacht hatte – war in allen Teilen des Inselstaats aktiv. Die Armee schränkte die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit im Norden und Osten ein. Sogar für Familienfeiern waren vorherige Genehmigungen erforderlich. Die Sicherheitskräfte forderten von den tamilischen Einwohnern dieser Gebiete die Registrierung ihrer Haushaltsmitglieder, obwohl ein Gerichtsurteil diese Praxis als diskriminierend bewertet hatte.

Binnenvertriebene

Bis Ende 2011 kehrten zwar fast 400000 im Zuge des Konflikts aus ihren Wohnorten vertriebene Menschen in den Norden zurück, doch viele von ihnen lebten weiterhin in unsicheren Verhältnissen und schlechten Unterkünften; sie hatten kaum Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung. Etwa 16000 Menschen befanden sich noch immer in von der Regierung verwalteten Flüchtlingslagern. Die Behörden planten, die verbliebenen Übergangslager für die Vertriebenen zu schließen und die ungefähr 5500 Menschen, die dort lebten und aus weiterhin militärischer Kontrolle unterstehenden Gebieten im Bezirk Mullaitivu stammten, in einer Urwaldsiedlung in Kombavil anzusiedeln. Rechtsbeistände der Vertriebenen befürchteten, dass die Umsiedlung nicht freiwillig erfolgen würde.

Menschenrechtsverstöße durch mit der Regierung verbündete bewaffnete Gruppen Banden, die den Sicherheitskräften und mit der Regierung verbündeten politischen Parteien wie der Eelam People’s Democratic Party, den Tamil People’s Liberation Tigers und der Sri Lanka Freedom Party nahestanden, wurden beschuldigt, für Raub, Entführungen, Vergewaltigungen, Überfälle und Morde in Jaffna, Ost-Sri-Lanka und zunehmend auch in anderen Landesteilen verantwortlich zu sein. Politisch engagierte Personen, in ihre Heimatorte zurückkehrende Vertriebene und ehemalige LTTE-Mitglieder waren die Opfer.

Verschwindenlassen

Es trafen weiterhin Meldungen über das Verschwindenlassen von Personen ein, und Tausende Fälle aus früheren Jahren blieben unaufgeklärt. Die Regierung unterließ es weiterhin, das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen zu ratifizieren.

Im Januar 2011 erschienen Augenzeugen vor der Ad-hoc-Untersuchungskommission zur Auswertung gewonnener Erkenntnisse und zur Versöhnung (Lessons Learnt and Reconciliation Commission – LLRC) in Mannar und Madhu, um Angehörige zu finden, die sich ihrer Beobachtung nach im Mai 2009 der Armee ergeben hatten.

  • Am 30. Juni forderten Hunderte Demonstrierende in der Hauptstadt Colombo Aufklärung über das Schicksal und den Verbleib vermisster Familienangehöriger, von denen sie annahmen, dass sie von Regierungstruppen verschleppt worden waren. In gleicher Weise wandten sich im Juni über 1300 Personen an die neu eröffneten Informationszentren des Terrorist Investigation Department, um Informationen über vermisste Verwandte zu erhalten, die sich ihrer Ansicht nach in Regierungsgewahrsam befanden. Nur wenige erhielten jedoch eine Antwort auf ihre Fragen.

Die Polizeibehörde Sri Lankas gab im Juli bekannt, dass seit 2009 insgesamt 1700 Personen entführt worden seien, die meisten zwecks Lösegelderpressung. Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen.

Die Regierung bestätigte im November 2011, dass sich 876 Erwachsene auf der Grundlage des PTA in Administrativhaft ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren befanden, darunter 845 tamilische Männer und 18 tamilische Frauen. Diese Inhaftierten gehörten zu den fast 12000 mutmaßlichen LTTE-Mitgliedern – Männer, Frauen und Kinder –, die sich ergeben hatten oder von der Armee gefangen genommen worden waren und nach dem Ende des Konflikts noch monate- oder jahrelang ohne Anklage in Haft gehalten wurden. Personen, die zur "Rehabilitierung" festgehalten worden waren, kamen nach und nach in Gruppen frei (Ende 2011 waren noch rund 1000 inhaftiert), blieben jedoch unter militärischer Aufsicht und waren Berichten zufolge Drangsalierungen durch die Behörden ausgesetzt.

  • Am 23. August 2011 gingen Soldaten gewaltsam gegen zahlreiche junge Männer aus Navanthurai im Bezirk Jaffna vor und nahmen sie fest. Zuvor hatten die Dorfbewohner dagegen protestiert, dass die "Fettteufel" (grease devils) militärischen Schutz genossen. (Bei den "Fettteufeln" handelte es sich um mysteriöse Unbekannte, die einigen Berichten zufolge mit Fett oder Gesichtsfarbe beschmiert waren und von den Dorfbewohnern beschuldigt wurden, Zivilpersonen, insbesondere Frauen, zu überfallen.) Einwohner legten dem Gericht von Jaffna mehr als 50 Eingaben vor, in denen sie geltend machten, dass bei Vorfällen, an denen "Fettteufel" beteiligt waren, ihre Rechte durch Repressalien der Sicherheitskräfte verletzt worden seien.

Folter und andere Misshandlungen

Trotz vorhandener Gesetze, die Folter verbieten, waren Folter und andere Misshandlungen von Personen, die verdächtigt wurden, Straftaten begangen zu haben, oder die sich wegen mutmaßlicher Verbindungen zur LTTE in Haft befanden, weit verbreitet. Die Behörden nahmen Vergewaltigung und andere geschlechtsspezifische Gewaltanwendung, die als Folter zu betrachten war, nicht ernst. Sexuelle Gewalt führte kaum zu Anzeigen, und falls es doch dazu kam, wurde nur unzureichend ermittelt.

Exzessive Anwendung von Gewalt

Am 30. Mai 2011 setzte die Polizei in der größten Freihandelszone des Landes Tränengas und scharfe Munition gegen demonstrierende Arbeiter und Gewerkschafter ein. Berichten zufolge wurden dabei Hunderte Demonstrierende und Polizisten verletzt. Der 21-jährige Roshan Chanaka wurde getötet. Präsident Mahinda Rajapaksa ordnete eine Untersuchung an. Nach dem Vorfall trat der Generalinspektor der Polizei von seinem Amt zurück, und mehrere weitere hochrangige Polizeibeamte wurden versetzt.

Tod in Gewahrsam

Es gab nach wie vor Todesfälle in Polizeigewahrsam. Viele dieser Fälle ereigneten sich unter Verdacht erregenden Umständen. Häufig behauptete die Polizei, dass die betreffende Person bei einem Fluchtversuch erschossen worden sei.

  • Die Polizei gab an, dass Asanka Botheju am 30. August 2011 bei der Identifizierung eines Waffenverstecks im Kelaniya-Fluss in Colombo ertrunken sei. Er hatte sich 19 Tage lang rechtswidrig in Haft befunden.

  • Gayan Saranga aus der Stadt Dompe starb am 29. September. Die Polizei behauptete, er sei von einem Polizeifahrzeug gefallen, mit dem er zur Identifizierung gestohlenen Eigentums befördert worden war. Zeugen sagten aus, dass er in der Polizeistation gefoltert worden sei.

  • Vier Polizisten aus dem Ort Angulana wurden im August wegen der Ermordung von zwei jungen Männern in Gewahrsam zum Tode verurteilt.

Fehlende Rechenschaftslegung

In den meisten Fällen von mutmaßlichen Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts führte die Regierung keine ausreichenden Untersuchungen und Strafverfolgungen durch. Das galt auch für die in der Schlussphase des bewaffneten Konflikts verübten Menschenrechtsverletzungen. Die Regierung wies die Ergebnisse einer Untersuchung zurück, die ein vom UN-Generalsekretär einberufenes Expertengremium über die Rechenschaftslegung in Sri Lanka durchgeführt hatte.

Das Expertengremium war zu dem Schluss gekommen, dass es glaubhafte Aussagen gebe, wonach von beiden Seiten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden seien. Es stellte zudem fest, dass die Untersuchungskommission LLRC, die von Regierungsbeamten als ausreichender Rechenschaftslegungsmechanismus zur Aufarbeitung der während des Krieges begangenen Handlungen angepriesen worden war, "zutiefst mangelhaft" sowie nicht ausreichend unabhängig und unparteiisch sei. Das Expertengremium empfahl deshalb, dass der UN-Generalsekretär für die Durchführung einer unabhängigen Untersuchung der Vorwürfe sorgen und eine Überprüfung der UN-Aktionen in Sri Lanka anordnen solle. Der UN-Menschenrechtsrat reagierte jedoch nicht auf die Empfehlungen des Expertengremiums.

Der Abschlussbericht der LLRC, der am 16. Dezember 2011 veröffentlicht wurde, bestätigte schwere Menschenrechtsprobleme in Sri Lanka, ging aber nicht umfassend auf die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein, die in der Endphase des Konflikts begangen worden waren. Die Stellungnahmen der Regierung wurden unkommentiert in den Bericht aufgenommen, so dass umso deutlicher wurde, dass eine unabhängige internationale Untersuchung erforderlich ist.

Srilankische Regierungsangehörige, unter ihnen der Präsident des Landes und ranghohe Diplomaten, wurden vor Gerichten in der Schweiz, in Deutschland und in den USA wegen Mordes, Folter und militärischer Angriffe auf Zivilpersonen angeklagt.

  • Im Oktober 2011wurde die australische Polizei aufgefordert, gegen den Botschafter Sri Lankas in Canberra wegen vermeintlicher Kriegsverbrechen zu ermitteln. In den Niederlanden wurden fünf mutmaßliche LTTE–Mitglieder der illegalen Geldbeschaffung für die LTTE für schuldig befunden. Freigesprochen wurden sie dagegen von dem von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und demzufolge auch von der Verantwortung für die Rekrutierung von Kindersoldaten und für Morde.

  • Der ehemalige Armeekommandant Sarath Fonseka wurde im November 2011 wegen Aufstachelung zu ethnischem Hass zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte den Verteidigungsminister Sri Lankas beschuldigt, gegen Ende des Krieges die Tötung von LTTE-Kadern, die sich ergeben hatten, angeordnet zu haben.

  • Am 30. März 2011 wurden in einem seltenen Fall der Strafverfolgung von Militärangehörigen wegen Menschenrechtsverletzungen drei Soldaten zum Tode verurteilt. Sie waren beschuldigt worden, im Jahr 1996 in Nord-Sri-Lanka eine junge Frau vergewaltigt und getötet zu haben. Die drei Soldaten legten umgehend Rechtsmittel gegen das Urteil ein.

Menschenrechtsverteidiger

Friedlich geäußerte abweichende Meinungen wurden in vielen Fällen weiterhin unterdrückt. Menschenrechtsverteidiger, die sich in internationalen Gremien für die Respektierung der Menschenrechte engagierten oder mit internationalen NGOs, UN-Organisationen oder Diplomaten zusammenarbeiteten, wurden in den staatlichen Medien als Verräter gebrandmarkt und waren anonymen Drohungen und Verleumdungskampagnen ausgesetzt.

  • Am 22. August 2011 starb Perumal Sivakumara aus dem Bezirk Puttalam, nachdem er von Angehörigen des Sondereinsatzteams der Polizei geschlagen worden war. Die Polizei warnte seine Familie davor, rechtliche Schritte zu unternehmen. Die Familie erstattete trotzdem Anzeige gegen die Polizei, zu Ermittlungen kam es jedoch nicht.

  • Im Juli 2011 wurde in einem erst teilweise fertiggestellten Haus im Osten Sri Lankas ein Leichnam exhumiert, bei dem es sich offenbar um die sterblichen Überreste des seit Februar 2010 vermissten Menschenrechtsverteidigers Pattani Razeek handelte. Nach Monaten staatlicher Untätigkeit wurden schließlich zwei Verdächtige festgenommen, die Kontakte zu einem Minister der Regierung unterhielten.

  • Die politischen Aktivisten Lalith Kumar Weeraraj und Kugan Muruganathan "verschwanden" am 9. Dezember 2011. Sie organisierten gerade eine Demonstration, auf der die Freilassung von Gefangenen gefordert werden sollte, die seit dem Ende des Krieges ohne Anklageerhebung in Haft gehalten wurden. Kollegen der Männer gingen davon aus, dass sie von Militärangehörigen verschleppt wurden.

Meinungsfreiheit – Journalisten

Die Behörden attackierten und zensierten Medienschaffende und -einrichtungen und legten keine Rechenschaft zu Übergriffen gegen Journalisten ab. Am 7. November 2011 sperrte die Regierung Internetseiten, deren Inhalt sie als "schädlich" für das Image Sri Lankas bewertete. Gleichzeitig kündigte sie an, dass jegliche Internetseite mit Informationen über Sri Lanka beim Ministerium für Massenmedien und Information registriert werden müsse; Zuwiderhandlung hätte gerichtliche Schritte zur Folge.

  • Bennet Rupasinghe, der Nachrichtenredakteur der Internetseite Lanka E News, wurde am 31. März 2011 festgenommen und beschuldigt, einen Mann bedroht zu haben, der unter dem Verdacht stand, einen Brandanschlag auf das Büro der Lanka E News unternommen zu haben. Rupasinghe wurde im April gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Im Oktober wurde die Internetseite in Sri Lanka gesperrt, nachdem darin berichtet worden war, Baratha Lakshman Premachandra, ein der Regierungspartei angehörender Politiker, sowie vier weitere Männer seien bei einer Auseinandersetzung mit einem anderen Politiker der Regierungspartei erschossen worden.

  • Ende Juli wurde der Nachrichtenredakteur der in Jaffna erscheinenden Zeitung Uthayan, Gnanasundaram Kuhanathan, von Unbekannten mit Eisenstangen angegriffen und schwer verletzt zurückgelassen.

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