Slowakei 2012
Amtliche Bezeichnung: Slowakische Republik Staatsoberhaupt: Ivan Gasparovic Regierungschefin: Iveta Radicová Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 5,5 Mio. Lebenserwartung: 75,4 Jahre Kindersterblichkeit: 6,9 pro 1000 Lebendgeburten
Angehörige der Gemeinschaft der Roma wurden weiterhin diskriminiert, was den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Wohnraum betraf. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befand die Regierung für schuldig, die Menschenrechte einer Frau verletzt zu haben, die den Vorwurf einer Zwangssterilisierung erhob.
Hintergrund
Nach einem Misstrauensvotum gegen die Regierung im Oktober wurden für März 2012 vorgezogene Neuwahlen angesetzt. Die Ministerpräsidentin und ihr Kabinett besaßen nur noch eingeschränkte Befugnisse, um wichtige Maßnahmen der Sozial- und Wirtschaftspolitik durchzusetzen.
Nachdem Verhandlungen zwischen der Regierung und den Gewerkschaften über die Privatisierung von Krankenhäusern und die Arbeitsbedingungen der Ärzte gescheitert waren, reichten Ende November 2011 mehr als 1200 Ärzte an öffentlichen Kliniken ihre Kündigung ein. Es gab Berichte, wonach einige Krankenhäuser nicht mehr in der Lage waren, eine ausreichende medizinische Versorgung sicherzustellen. Die Regierung rief den Notstand aus, so dass die Ärzte gezwungen waren, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. Bei einer Weigerung hätten ihnen strafrechtliche Konsequenzen gedroht. Schließlich einigten sich Regierung und Ärzte auf einen Kompromiss, und der Notstand wurde am 8. Dezember wieder aufgehoben.
Diskriminierung – Roma
Internationale Kontrollgremien zur Einhaltung der Menschenrechte und nichtstaatliche Organisationen kritisierten die Slowakei wegen der anhaltenden Diskriminierung der Roma. Der UN-Menschenrechtsausschuss stellte im April 2011 fest, Roma seien von der politischen Teilhabe ausgeschlossen und würden beim Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Wohnraum diskriminiert.
Im Juni reagierte der Innenminister auf Spannungen zwischen Nicht-Roma und Roma im Dorf Zehra in der Ostslowakei. Er schlug vor, die Gesetze für die Kommunen dahingehend zu ändern, dass es Gemeinden künftig erlaubt sein soll, sich in zwei Teile aufzuspalten. Nichtstaatliche Organisationen und der Regierungsbevollmächtigte für Roma-Gemeinschaften bemängelten, die Initiative könne dazu führen, dass sich Gemeinden auf der Grundlage ethnischer Zugehörigkeit teilten.
- Im September 2011 errichtete die Gemeinde Vrútky eine Betonmauer, um einen Kindergarten, Altersheime und Wohnhäuser von einem Gebiet abzutrennen, in dem vor allem Roma lebten.
Recht auf Bildung
Im April 2011 erklärte der UN-Menschenrechtsausschuss, es gebe noch immer Berichte, wonach Roma-Kinder in den Schulen faktisch abgesondert seien. Auch würden sie allzu oft in Klassen für Schüler mit "leichter geistiger Behinderung" untergebracht. Der Ausschuss forderte die Regierung nachdrücklich auf, die Segregation im Bildungssystem zu beenden. Die Europäische Kommission beriet im Mai in der Slowakei über die Integration von Roma. Dabei stellten die Teilnehmenden fest, dass die Diskriminierung im Bildungssystem fortbestehe. Das Treffen endete mit dem Appell an die Regierung, sie möge eine klare Strategie entwickeln, um die Ungleichbehandlung zu beenden. Im Dezember empfahl der Menschenrechtskommissar des Europarats den slowakischen Behörden, alle Schulen zu verpflichten, die Segregation zu beenden.
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Im September 2011 erfuhren Roma-Eltern, dass die Grundschule der Stadt Levoca Roma-Erstklässler in gesonderten Klassen unterrichten werde. Berichten zufolge richtete die Schule die getrennten Klassen ein, weil Nicht-Roma-Eltern in einer Petition eine Begrenzung der Anzahl von Kindern aus "asozialen" Gemeinschaften gefordert hatten. Der Schulleiter teilte mit, mit diesen Klassen werde ein für die Roma-Kinder geeignetes pädagogisches Umfeld geschaffen. Der Regierungsbevollmächtigte für Roma-Gemeinschaften äußerte Bedenken, dass die Einrichtung gesonderter Schulklassen möglicherweise den Tatbestand der Segregation auf Grundlage ethnischer Zugehörigkeit erfülle. Er kündigte an, bei der staatlichen Schulaufsichtsbehörde Beschwerde einzulegen, falls die Pläne weiterverfolgt würden.
- Das Landgericht von Presov in der Ostslowakei entschied im Dezember 2011, dass die Grundschule in dem Ort Sarisské Michalany gegen das Antidiskriminierungsgesetz verstoßen habe, weil sie Roma-Kinder in separaten Klassen untergebracht hatte.
Recht auf Wohnen
Den Bewohnern informeller Roma-Siedlungen drohten rechtswidrige Zwangsräumungen, die in einigen Fällen auch vollstreckt wurden. Zudem fehlte es in den Siedlungen an grundlegenden Versorgungsleistungen. Im September 2011 schlug das Parlament vor, das Baurecht dahingehend zu ändern, dass Kommunen verpflichtet sind, Bauten einzureißen, die ohne Genehmigung und ohne Rechtstitel für das Grundstück errichtet wurden. Der Reformvorschlag sah Strafen für diejenigen Kommunen vor, die den Abriss nicht innerhalb einer gesetzlich festgelegten Frist vornahmen. Das Büro des Regierungsbevollmächtigten für Roma-Gemeinschaften wendete ein, dass der Vorschlag gegen das Antidiskriminierungsgesetz verstoße und schwerwiegende Auswirkungen auf die informellen Roma-Siedlungen haben würde. Das Ministerium für Bauwesen und Regionalentwicklung kündigte im November an, es werde den Vorschlag überarbeiten und 2012 einen neuen Gesetzentwurf vorlegen.
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Am 16. Mai 2011 wurde in Kosice die informelle Roma-Siedlung Demeter, in der rund 80 Menschen lebten, von der Gemeindeverwaltung niedergerissen. Zur Begründung hieß es, die Siedlung und eine in der Nähe gelegene Mülldeponie stellten ein Gesundheits- und Sicherheitsrisiko dar. Bewohner, die nach Notunterkünften fragten, wurden in Zelten untergebracht. Der Regierungsbevollmächtigte für Roma-Gemeinschaften wies darauf hin, dass das Vorgehen der Gemeindeverwaltung den Tatbestand der rechtswidrigen Zwangsräumung erfülle und sowohl gegen slowakische als auch gegen internationale Rechtsnormen verstoße.
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Im Mai 2011 forderte der Bürgermeister der Stadt Ziar nad Hronom die Regierung auf, "das Roma-Problem in Angriff zu nehmen", insbesondere das Problem der informellen Siedlungen. Die Initiative, der sich mehr als 300 Bürgermeister angeschlossen haben sollen, forderte strenge Vorschriften für die Siedlungen und eine Kontrolle ihrer "asozialen Bewohner". Im Juni kündigte die Gemeindeverwaltung von Ziar nad Hronom an, man werde Roma aus einer informellen Siedlung an einen anderen Ort umsiedeln und sie dort in Metallcontainern unterbringen. Die Räumung fand im November statt. Berichten zufolge stellten die lokalen Behörden den Betroffenen keinerlei Hilfe zur Verfügung, mit dem Argument, dass diese nicht darum gebeten hätten. 13 Roma wurden durch die Räumungsaktion obdachlos.
- Fast 90 Roma-Familien im nördlich von Bratislava gelegenen Dorf Plaveck Stvrtok drohte weiterhin die rechtswidrige Zwangsräumung. Der Abriss der Unterkünfte war bereits 2010 angekündigt worden, wurde jedoch von der Staatsanwaltschaft wegen Verfahrensmängeln gestoppt. Der Bürgermeister des Dorfes kündigte an, die Gemeindeverwaltung werde den Bewohnern der illegal errichteten Häuser erneut Abrissverfügungen zustellen. Im Oktober wurde die Versorgung der Häuser mit fließendem Wasser eingestellt. Die Gemeindeverwaltung installierte einen Wassertank für die Siedlung; die Gebühren für das Wasser wurden im Umlageverfahren erhoben.
Zwangssterilisierung von Roma-Frauen
Im April kritisierte der UN-Menschenrechtsausschuss, dass die Slowakei der Untersuchung mutmaßlicher Zwangssterilisierungen in der Vergangenheit zu wenig Bedeutung beigemessen habe. Der Ausschuss stellte zudem fest, es fehle an Informationen darüber, dass die Zwangssterilisierungen eingestellt worden seien. Dem Vernehmen nach fanden sie weiterhin statt.
- Am 8. November 2011 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem ersten Urteil zu Zwangssterilisierungen, die slowakische Regierung habe die Menschenrechte der Roma-Frau V. C. verletzt. Die Sterilisierung ohne ihre volle und informierte Zustimmung erfülle den Tatbestand eines größeren Eingriffs in ihren reproduktiven Gesundheitszustand. Das Gericht sah das Recht der Frau, keiner Misshandlung ausgesetzt zu sein, und ihr Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt. Ferner stellte das Gericht fest, das medizinische Personal habe in der Krankenakte die ethnische Herkunft von V. C. vermerkt, was auf eine bestimmte Einstellung schließen lasse, wie mit der Gesundheit einer Roma umzugehen sei. Eine gesetzliche Vertreterin der Frau von der nichtstaatlichen Beratungsstelle für Bürger- und Menschenrechte (Poradna pre obcianske a l’udské práva) sagte, der Fall von V. C. sei nur die Spitze des Eisbergs. Sie appellierte erneut an die Regierung, ihre Verantwortung für diese Praxis nicht länger zu leugnen, sich bei allen Opfern zu entschuldigen und sie in ausreichendem Ausmaß zu entschädigen.
Folter und andere Misshandlungen
Der UN-Menschenrechtsausschuss ermahnte die Slowakei mehrfach, stärker gegen rassistische Übergriffe vorzugehen, die von Beamten mit Polizeibefugnissen verübt werden, vor allem gegen Roma.
- Im September 2011 fand vor dem Bezirksgericht in Kosice eine Anhörung wegen der mutmaßlichen Misshandlung von sechs Roma-Jungen durch die Polizei im April 2009 statt. Dabei sagten die beschuldigten Polizeibeamten und die Eltern der Roma-Jungen aus. Das Verfahren war Ende des Jahres noch anhängig.
Guantánamo-Häftlinge
Von den drei Männern, die sich in US-Gewahrsam in Guantánamo Bay befunden hatten und die 2010 von der Slowakei aufgenommen worden waren, kehrten zwei in ihre Heimatländer Tunesien und Ägypten zurück. Berichten zufolge wurde einer der beiden bei seiner Rückkehr nach Ägypten im Juni 2011 festgenommen und wegen Terrorismus angeklagt. Der slowakische Innenminister teilte mit, die Ausreise der beiden Männer sei freiwillig erfolgt. Alle drei ehemaligen Guantánamo-Häftlinge hatten im Jahr 2010 Aufenthaltsgenehmigungen für die Slowakei erhalten. Während sie auf die Genehmigungen warteten, waren sie in einer Einrichtung für Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus inhaftiert. Dort traten sie in den Hungerstreik, um gegen ihre Inhaftierung und die schlechten Lebensbedingungen zu protestieren.
Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern
Im April 2011 trat eine Reform des Arbeitsgesetzes in Kraft, durch die der Schutz vor Diskriminierung ausgeweitet wurde. Er umfasst jetzt auch den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.
Im Juni fand zum zweiten Mal der jährliche Straßenumzug Bratislava Pride von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern statt, an dem mehr als 1000 Menschen teilnahmen. Die Organisatoren lobten die gute Zusammenarbeit mit der Polizei und die Fortschritte gegenüber dem Vorjahr. Im Jahr 2010 hatte die Polizei angekündigt, sie werde nicht in der Lage sein, die Teilnehmer zu schützen, woraufhin die Organisatoren die Route des Marschs ändern mussten. Im Berichtsjahr wurden nur kleinere Vorfälle gemeldet; die Polizei nahm einige Gegendemonstranten fest. An dem "Pride"-Marsch nahmen auch der Bürgermeister von Bratislava und einige Parlamentsabgeordnete teil.
Amnesty International: Missionen und Bericht
Delegationen von Amnesty International besuchten die Slowakei im Februar, Mai, Juni und November.